Wenn Hebammen Kinder kriegen: Jule

Jule ist 29 Jahre alt und seit sechs Jahren Hebamme. Derzeit ist sie mit ihrem zweiten Kind in Elternzeit. Davor hat sie freiberuflich in der Hebammensprechstunde und in der Wochenbettbetreuung gearbeitet. Außerdem hat sie Kurse gegeben. Aktuell bloggt sie auf Hebamme Zauberschön und schreibt an einem Buch für Mütter. Jule hat ihre beiden Kinder zu Hause geboren und erzählt hier von ihrer letzten Geburt im Wasser.

Ich habe mich entschieden, von unserer Geburt zu erzählen, denn es gibt so viele Horrorgeschichten, so viele Ängste und schlimme Vorstellungen darüber, wie eine Geburt sein kann. Doch eine Geburt kann auch ein Fest sein. Voller Freude und Wunder. Und da ich mit einer dieser Geburten beschenkt wurde, möchte ich davon erzählen. Vielleicht macht sie der einen oder anderen Frau Mut.

Am Mittwochmorgen um drei Uhr wurde ich wach und war mir plötzlich sicher, dass sich unser Kind in der nächsten Zeit auf den Weg zu uns machen würde. Es war früher als wir erwartet hatten, doch ich war nicht überrascht. Ich weckte meinen Mann und erzählte ihm davon. Gemeinsam standen wir auf und fingen an, das Wohnzimmer zur Geburt herzurichten. Ich hatte in unregelmäßigen Abständen Kontraktionen, die sich aber nicht von den Kontraktionen unterschieden, die ich in den letzten Wochen immer mal wieder hatte.

Wir bereiteten also ganz entspannt und mit müder Vorfreude alles vor. Noch war ich nicht sicher, ob dieser Tag der Geburtstag sein würde oder ob es noch ein paar Tage dauern würde. Wir bereiteten alles so vor, dass es jederzeit bereit wäre, wann auch immer das sein würde. Als der Gebärpool stand, Kleidung für mich und das Kleine bereit lagen, das Sofa mit Folie und Decken abgedeckt war und die Heizungen aufgedreht waren, ging ich ganz entspannt ins Bad und bereitete mich auf den Tag vor. Ich war voller Vorfreude und genoss die Ruhe.

Wir hörten Musik, lachten und ließen es uns gut gehen

Gegen fünf Uhr haben wir uns noch einmal ins Bett gelegt, um etwas zu ruhen. Die Kontraktionen kamen nun regelmäßig etwa alle acht Minuten, waren aber weder schmerzhaft noch unangenehm. Gegen sechs Uhr rief ich meine Mutter an, um sie darauf vorzubereiten, dass sie an diesem Tag eventuell nicht zur Arbeit gehen könne. Denn es war abgesprochen, dass sie zu meiner Unterstützung zur Geburt kommen würde und voll und ganz für unser großes Kind da sein wollte.
Auch unsere Hebamme rief ich an und erzählte ihr, wie es mir ging. Sie bot an, zu kommen und nach uns zu sehen. Das Angebot nahm ich gern an, auch wenn ich noch immer nicht sicher war, ob ich mich bereits unter der Geburt befand.

Unser großes Kind wachte auf und kuschelte sich zu uns ins Bett. Ich erzählte ihm, dass sein Geschwisterchen nun bald zu uns kommen würde. Er freute sich und wollte den Bauch noch einmal kuscheln. Er gab dem Baby einen Kuss und seine Freude war spürbar. Nun kamen die Kontraktionen in kürzeren Abständen, waren aber weiter nicht schmerzhaft. Gegen sieben Uhr haben mein Mann und unser Junge angefangen, den Geburtspool zu befüllen. Meine Mutter, bepackt mit frischen Brötchen für alle, und unsere Hebamme, bepackt mit reichlich Gepäck für die Geburt (unter anderem dem Gebärhocker) kamen gleichzeitig an. Eine freudvolle und aufgeregte, fast demütige Stimmung erfüllte das Haus. Alle waren gespannt, ob wir heute Geburtstag feiern würden.

Die Hebamme untersuchte mich und stellte fest, dass der Muttermund sich bereits öffnete (er war vier Zentimeter geöffnet) und auch sonst alles gut war. Es war also wirklich soweit. Unser kleines Wunder hatte sich auf den Weg zu uns gemacht. Wir freuten uns alle sehr und stellten uns auf einen langen Geburtstag ein. Da ich weiter super mit den Wehen zurecht kam und mich rundum wohl fühlte, beschlossen wir, dass unsere Hebamme noch einen Hausbesuch bei einer anderen Familie machen würde und wir uns melden würden, wenn wir sie brauchten. Meine Mutter schlug vor, einen kleinen Ausflug (zur Autowerkstatt) mit dem großen Jungen zu machen und danach wiederzukommen.

So waren mein Mann und ich gegen neun Uhr alleine und genossen die Ruhe. Wir hörten Musik, lachten und ließen es uns gut gehen. Ich ging davon aus, dass die Geburt sich hinziehen würde und unser Kind am Abend oder der Nacht das Licht der Welt erblicken würde, da ich mich weiterhin gut und entspannt fühlte, auch wenn die Wehen nun kräftiger wurden und ich verschiedene Positionen ausprobierte, in denen ich die Wehen veratmete. Immer wieder sahen wir uns an: „Jetzt ist es wirklich soweit! Unser Kind kommt! Kannst du das glauben?“. Ich bat meinen Mann, letzte Bilder von mir mit dem Kugelbauch zu machen und machte selbst noch einige Bilder von dem Geburtsraum. Ich fühlte mich so wohl, sicher und umsorgt. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich Zweifel, dass es uns an etwas fehlen würde.

Der Sturm, das Erdbeben, das dieses Wunder auf die Welt gebracht hat

Gegen zehn Uhr veränderte sich etwas: Ich empfand die Wehen als deutlich intensiver, tauchte ganz in sie ein, konnte mich nicht mehr auf meine Umwelt konzentrieren und war ganz bei mir. Ein bisschen wie ein kurzer Ausflug in eine andere Welt. Wir beschlossen also, dass meine Mutter und unser Junge erst einmal nicht zurück kommen würden, sondern er noch ein wenig bei ihr spielen würden, damit ich mich weiterhin auf die Wehen konzentrieren könnte. Unsere Hebamme riefen wir auch an, um sie zu bitten, wiederzukommen. Ich beschloss, in den Gebärpool zu gehen. Und das Wasser brachte eine so große Erleichterung! Dankbarkeit und Freude machten sich in mir breit, wie gut ich es hatte, in dem warmem Wasser um mich, meinem kleinen Kind so nah.

Inzwischen waren die Wehen stärker und das war für meinen Mann und die Hebamme, die gegen 10.30 Uhr ankam, deutlich hörbar. Kurz darauf begann ich intuitiv zu schieben und die Fruchtblase sprang während einer Wehe. Nun gab es kein Halten mehr. Unser Kind machte sich auf den Weg durchs Becken. Und es ließ sich dafür nicht viel Zeit. Sechs Wehen später war es geboren. Unser kleines Wunder. Und diese letzten Wehen hatten es in sich. Ich fühlte mich, als ob ich den Boden unter den Füßen verlieren würde. Von der Macht der Wehen und des Gefühls, dass das Kind durchs Becken geht, war völlig haltlos. Orientierungslos. Noch immer im Wasser in einer hockenden Position, konnte ich mich an meinem Mann mir gegenüber festhalten. Und sein fester Griff an meinen Oberarmen gab mir die Orientierung und die Erdung, die ich brauchte. Es war nicht primär der Schmerz, der mich bewegte, sondern mehr der Sturm, das Erdbeben, das dieses Wunder auf die Welt gebracht hat. Das Erdbeben in mir.

Und dann war es da. Um 11.03 Uhr. Unser kleines Kind. Ich habe es aus dem Wasser gehoben und auf meine Brust gelegt. Unser kleines Wunder. Kurz darauf bin ich aus dem Gebärpool ausgestiegen und auf das Sofa umgestiegen. Hier kam die Nachgeburt problemlos und erst danach haben mein Mann und die Hebamme die Nabelschnur durchtrennt. Das Kleine lag auf meiner Brust und als es soweit war, habe ich es zum ersten Mal gestillt. So haben wir zwei Stunden gekuschelt, bevor dann die U1 des Kindes bei mir auf dem Sofa gemacht wurde. Ich ging duschen und unser Kleines wurde in eine wärmende Decke eingekuschelt. Die Hebamme verabschiedete sich und wir warteten auf unseren großen Jungen, das kleine Wunder fest im Arm.

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Kommentare

5 Antworten zu „Wenn Hebammen Kinder kriegen: Jule“

  1. E
    Elsbeth

    … bei susanne muss man sich zum kommentieren anmelden, und da ich dazu zu faul bin, schreibe ich bei guteneltern – in der sicheren annahme, dass fraumireau der kommentar erreicht.

    ich würde darum bitten, den regelmäßig verwendeten begriff „ammenmärchen“ kritisch zu reflektieren und ihn vielleicht nicht mehr als synonym für „unwissenheit/lügen“ zu verwenden.

    milchfluss und wärme sind zwei eurer tragenden werte und soweit ich schlecht informiert bin, spendeten ammen in jahundert x genau diese. waren ammen womöglich zugleich hebammen? vermittelten ammen dem säuger nicht mitunter mehr urvertrauen als die babymutter?

    hebammen = hexen
    ammen = lügnerinnen

    sehe ich eine gewisse analogie? stichpunkt hexenverbrennung 2.0?

    wäre spannend, die ammen geschichtlich zu rehabilitieren. auf in die forschung!

    1. E
      Elsbeth

      Wikipedia: Im eigentlichen Sinn des Wortes wird allerdings jede Frau zur Amme, sobald sie stillt. Erst im übertragenen Sinn des Wortes gilt das Wort Amme für Frauen, die ein fremdes Kind gegen Entlohnung an die Brust legen.

      1. S

        Liebe Elsbeth,
        Wie schön, dass Sie sich Mühen ersparen und uns Großfamilienmütter damit beauftragen, von einem zum anderen Nachrichten weiter zu reichen.
        Hier können Sie den Ursprung des Begriffs „Ammenmärchen“ nachlesen: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Ammenm%C3%A4rchen

  2. K
    Kristin

    Eine wundervolle Beschreibung einer Geburt. So wie Du schreibst, fühlt man sich wie dabei gewesen. Ich wünschte, ich hätte es vor der Geburt unseres Sohnes gelesen. Es macht Vieles klarer und nimmt einem die „Angst“, die doch immer irgendwo im Hinterkopf ist.

  3. Y
    Yvonne Egeler

    Ich hab meine kleine zwar im krankenhaus bekommen aber wollte es so natürlich wie möglich.
    Ich hatte nur 1x Wehenblocker bekommen, um eine Wehe auszusetzen, weil man von meinem Kind vom Kopf Blut abnehmen musste. Das war der allereinzigste Eingriff.
    Ich hab mit meiner Kleinen alles alleine geschafft, gemeinsam.
    Ja, klar war es Schmerzhaft aber auch total schön irgendwie.
    Meine Wehen begannen gegen 9 und ich wusste nicht, dass es Wehen waren, als ich morgens auf dem Klo etwas „feucht“ war.
    Ich frühstückte mit meinem Mann und fragte ihn noch , „meinst du, ich soll mal im Kreissaal anrufen?“.
    Gesagt , getan aber ich wollte auch nicht ewig im Krankenhaus hocken, wenn die Blase geplatzt war.
    Also warteten wir ab, ich putzte die Wohnung, wischte, räumte auf und irgendwann dachte ich mir, nachdem ich schon dezent veratmen musste, mess doch mal die Zeitspanne.
    Die war inzwischen schon bei 2x 20 Min, dann 2x 10 Min und dann gleich alle 5 Min.
    Ich rief meinen Mann an und wir fuhren ins Krankenhaus. Im Auto bekam ich eine etwas heftigere Wehe, wobei ich immer noch nicht realisieren konnte, dass jetzt Wehen kommen.
    Gegen halb 13:30 kamen wir im Kreissaal an und es wurde auf Fruchtwasser untersucht aber nichts. Der Muttermund war 1 cm geöffnet und ich erwiderte , „Ah sehr gut, dann kann ich ja nochmal heim“, die Hebamme sagte “ Nein! Sie sind inter der Geburt“.
    Also blieben wir im Aufnahmeraum zurück und die Hebammen machten Übergabe, das waren 1,5 Stunden und der Schmerz kam, intemsivierte sich und ging wieder.
    Das, worüber ich mich im Vorbereitungskurs lustig machte, kam mir gerad recht.
    Dann ging ich in die Wanne, Muttermund stagnierte bei ca. 3 cm. Ich bekam ein Zäpfchen, und DAS wirkte. Ich bewegte mich in dem Wasser völlig frei, war nur bei mir und freute mich so sehr auf Leonie, streichelte meinen Bauch und redete mit ihr ( Jaaaa, unter der Geburt macht man schon komische Sachen)

    Nach etwas über 1 Stunde ging ich aus der Wanne raus in den kreissaal nebendran.
    Ich sackte auf die Isomatte auf alle voere und bewegte mich wie in der Wanne. Der Peziball gab mir Halt.
    Und , ich weiß nicht, 30 Min später war es dann soweit, die Presswehen setzten ein, ich glaub 6 waren es auch bei mir.
    Die Hebamme ließ mich machen und bereitete alles vor, nahm das Telefon und ging raus und ich wusste, gleich ist es soweit.
    DAnn bekam ich noch kurz den Wehenblocker um Blut abnehmen zu können.
    Und dann kam der finale Moment
    19:01 war der halbe Kopf da, 19:03 meine Prinzessin.

    Der schönste Augenblick meines Lebens.

    Und ich hatte so eine riesige Angst, hatte so viele Horrorgeschichten gehört, auch von all jenen aus dem Vorbereitungskurs, die vor mir entbunden haben, aber zum Glück sind die Frauen in Naturvölkern da mein Vorbild. Und ich hab mich auf mich, meinen Körper, mein Kind und meinen geliebten Mann verlassen.

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