Geborgenheit für alle Kinder

Gerade habe ich wieder vier Hochschultage für meine Weiterbildung zur Familienhebamme absolviert. Der Block war harte Kost, denn es standen Themen wie „Häusliche Gewalt“, „Kindesvernachlässigung und Misshandlung“ oder „Psychische Erkrankungen und Geburtstraumen“ auf dem Stundenplan.

Gerade der Unterrichtsinhalt über die seelische und körperliche Gewalt gegen Kinder war häufig erschütternd. Die Fallbeispiele waren manchmal schlicht nicht aushaltbar. Die Frage, wie es Kindern wohl wirklich geht, die so etwas erleben und überleben, stellte sich mehrfach. Und dann kehrt man wieder zurück in seine kleine heile Welt und macht sich Gedanken über zu viel Süßigkeiten oder zu hohen iPad-Konsum. Und „streitet“ darüber, ob Stoff- oder Wegwerfwindeln oder gleich windelfrei die bessere Wahl fürs Baby sind.

Wir packen unserem Kind eine Brotdose mit gutem Brot und diversen Obst-und Gemüsesorten aus dem Bioladen, während wir über das schlechte Schulessen schimpfen. Die Babytrage kann mehr oder weniger gut sein und die Stillzeit länger oder kürzer. Man kann viel Zeit dafür aufbringen, das herauszufinden. Überhaupt sind Essen und Schlafen die Themen, die unter Eltern immer wieder für reichlich Diskussionsstoff sorgen. Auf der ewigen Suche nach dem richtigen Weg…

Kinder brauchen Eltern, die sich Gedanken machen

Wenn man sich einen Seminartag lang angehört hat, wie viel unfassbares Leid manche Kinder ertragen müssen, kommt einem das alles so banal und belanglos vor. Denn letztlich wissen wir, dass nicht das ab und an zugekaufte Gläschen mit etwas mehr Zucker darin oder der gelegentlich mal etwas höher ausfallende Fernsehkonsum gleich auf eine Vernachlässigung des Kindes schließen lassen. Auch Holzspielzeug versus Plastikspielwaren entscheidet nicht über gute oder schlechte Eltern. Auch die nicht immer korrekte Ansprache des Kindes oder das vermeintlich richtige Loben oder auch Nichtloben, werden ein Kind nicht gleich zu Schaden kommen lassen. Schon gar nicht, wenn wir auch unsere „Fehler“ sehen, reflektieren und die Verantwortung dafür übernehmen.

Ist es deshalb komplett überflüssig, weiter über diese Dinge nachzudenken oder gar zu diskutieren? Nein, das denke ich nicht. Denn es zeigt, dass uns unsere Kinder wichtig sind. Sehr wichtig sogar. Phasenweise vielleicht sogar mal so wichtig, dass wir uns etwas übereifrig in manche Projekte rund um das Kind stürzen. Und auch mal scheitern dabei. Aber das alles sind nicht Dinge, die ein Kind ernsthaft gefährden. Kinder brauchen Eltern, die sich Gedanken machen. Vielleicht auch manchmal um kleinste Kleinigkeiten. Die meisten Eltern kommen ja auch wieder in eine gesunde Balance, wenn sich Situationen ändern. Und es ändert sich ständig etwas mit Kindern.

Wir sollten also ruhig weiterhin (bisweilen auch kleinlich) genau sein, wenn es um unsere Kinder geht. Es macht uns feinfühlig für ihre Bedürfnisse. Und das hoffentlich auch über den eigenen Tellerrand hinaus. Alle Kinder haben das Recht auf eine respektvolle und gewaltfreie Erziehung. Manche Eltern können das ihren Kindern nicht geben und brauchen Unterstützung in ihrem trotzdem ja in der Regel vorhandenen Wunsch, gute Eltern zu sein. Aufgabe einer Gesellschaft ist es, auch diese Kinder zu sehen und ihnen zu helfen. Wenn ich selbst achtsam und sensibel mit den Bedürfnissen meines eigenen Kindes umgehe, werde ich hoffentlich sehen und einschreiten, wenn an anderer Stelle einem Kind Unrecht getan wird oder es vernachlässigt wird. Und damit ist sicher nicht die „falsche Tragehilfe“ gemeint…

Darum lasst uns weiter darüber nachdenken und diskutieren, was für Kinder wichtig und richtig sein könnte, damit sie geborgen groß werden können.

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Kommentare

4 Antworten zu „Geborgenheit für alle Kinder“

  1. K

    Danke für diesen Beitrag, wirklich <3

    Ich las in der letzten Ausgabe des Dummy-Magazins in einem Artikel über Bewährungshilfe einen Aktenauszug vom Prozess solch eines misshandelten Kindes. Der Dreijährige ist schließlich an den Misshandlungen gestorben. Dieser Artikel verfolgte mich wochenlang, immer wieder schlichen sich die grausamen Details in meine Gedanken. Und auch jetzt habe ich wieder einen Kloß im Hals.

    Und doch ist es die Verschiebung der Perspektive, die häufig einen wichtigen Denkimpuls gibt. Die Suche nach der "richtigen" Tragehilfe hat mich auch eine gute Weile in Schach gehalten – bis ich mich dann einfach mal ein bisschen entspannt habe 😀

  2. A
    Anna

    Was für ein guter Beitrag, Anja! Dein Blog ist so eine Perle!
    Ich denke auch, dass wenn wir die Bedürfnisse unserer Kinder wahrnehmen, die Empathiefähigkeit zunimmt und diese Kinder wiederum Verantwortung für andere übernehmen können.
    Love makes a difference!

  3. P
    Petra

    Ich bin 1981 geboren und habe selbst körperliche und psychische Gewalt erlebt. Vielleicht bin ich deshalb jetzt so eine von den Gluckenmüttern. In mir brodelt es, besonders wenn meine Verwandtschaft heute noch Ratschläge solcher Art zu meiner Erziehung beiträgt. Wenn ich also sehe, wie viel sich in den vergangenen 30 Jahren verändert hat, wie alte Einstellungen immer noch leben, wie verunsichert ich selbst bin aber auch wie motiviert,dann freue ich mich über jede andere Meinung, die mich bestärkt in meinem Tun und Lassen,die mir andere Ansichten erklärt und begründet. Bitte nicht aufhören!

  4. S
    Saskia

    Das Recht auf gewaltfreie Erziehung wurde erst im Jahre 2000 (!) im BGB verankert. Davor wurde die Schwächsten jahrhundertelang physisch wie psychisch geprügelt, in der Kaiserzeit, Weimarer Republik, während der NS-Zeit erst recht, die „geprügelte Generation“ der 1950er und 1960er folgte. Erst ab den 1968ern wurden die innerfamiliär wie institutionell praktizierten „Züchtigung“ gegenüber Kindern und Jugendlichen nachhaltig in Frage gestellt.

    Unfassbares körperliches wie seelisches Leid müssen auch heute noch viele Kinder ertragen. Gewalt wird über Generationen hinweg vererbt – auf ein gewaltfreies Erbe kann leider kaum eine Familie zurückblicken. Selbstreflektion ist der Schlüssel für eine gewaltfreie Erziehung, familiäre und seelische Stabilität seitens der Inhaber der „Erziehungsgewalt“ unabdingbar.

    Glücklich der, der seinen Kindern eine glückliche Kindheit bieten kann. Glücklich der, bei dem bei einem barschen „Nein“ und einem Packen am Arm in großen Stresssituationen die Grenze der Gewalt gegenüber seinen Kindern erreicht ist. Und noch glücklicher der, der selbst diese Minimalgewalthandlungen kritisch hinterfragt und sich anschließend bei seinen Kindern entschuldigt.

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