„Und dafür bin ich Hebamme geworden?“

Nachtdienst im Kreißsaal als Hebamme. Es sind bereits viele Frauen unter der Geburt vor Ort. Doch wie viele es noch werden sollten, ist am gestrigen Abend noch nicht absehbar. Und genau das ist immer wieder in allen Kliniken das Problem. Ebenso wie das Problem, dass nur selten wirklich so viele Hebammen vor Ort sind, wie es laut Stellenschlüssel mindestens sein sollten. Die meisten Kliniken suchen Hebammen. Davon sprechen auch die seitenlangen Stellenausschreibungen in den Fachzeitschriften. Doch während gesucht wird, wird auch weiter geboren.

Ähnlich verhält es sich mit dem generellen Pflegenotstand in Krankenhäusern. Patienten können nicht darauf warten, bis eine Station mit genug Personal aufgestockt ist. Es geht einfach weiter. Auch weil vom Personal letztlich doch keiner wegläuft, auch wenn so manchem Menschen oft genug danach wäre.

Kurz nach Dienstantritt begleite ich die erste Geburt und es ist nur der Autakt für die nächsten acht Stunden zwischen Kreißsaal, Vorwehenzimmer und Schwangerenambulanz. In dieser Nacht ist für alle ständiges Improvisieren angesagt. Es fällt aber gar nicht weiter auf in dem Kreißsaalgewusel aus Gebärenden und Angehörigen. Dazwischen das Stöhnen von Frauen unter der Geburt und immer wieder wieder die ersten Laute der neugeborenen Kinder.

Man merkt überhaupt nicht, dass es mitten in der Nacht ist bei dem hohen Aufkommen von Menschen im Kreißsaal. Aber: Viel zu oft heißt es warten lassen und vertrösten statt Geburtsbegleitung. Die werdenden Eltern sehen, was los ist und haben Verständnis. Aber irgendwie auch nicht.

Geburtshilfe am Limit

Als der Kreißsaal dann komplett am Limit ist, versucht die Ärztin Frauen in anderen Geburtskliniken unterzubringen. Kein leichtes Unterfangen, denn dort ist es genauso voll. Für eine Frau ist der Krankenwagen zur Verlegung bereits bestellt, als sich bei einer erneuten Untersuchung herausstellt, dass die Geburt für eine Verlegung doch bereits zu weit fortgeschritten ist. Kurz darauf wird das Baby geboren, denn Kinder halten sich nunmal nicht an Pläne. Und Geburten sind nicht planbar. Das ist immer wieder die Herausforderung.

Doch es ist sicherlich nicht so, dass Hebammen im Kreißsaal zwischen Langeweile und Überlastung stetig hin und her pendeln. Viel mehr ist die Überlastung hier nur allzu oft der Normalzustand. „Wir müssen noch eine Überlastungsanzeige schreiben“, sagt eine der Kolleginnen am nächsten Morgen. Wenn Zeit dafür ist, denn gerade haben alle noch viel zu viel geburtsspezifischen Papierkram zu erledigen – in den Überstunden nach Dienstende. Alle sind müde und hungrig, denn Zeit zum Essen bleibt in solchen Nächten nicht. Aber daran denkt niemand. Gedanken macht man sich darüber, wie es den Frauen mit solchen Situationen geht. Eine Kollegin weint fast, weil sie das Gefühl hat, nicht genug Zeit für manche der Mütter gehabt zu haben.

Es geht ihr wie uns allen. Sie sagt: „Und dafür bin ich Hebamme geworden?“ Nein, keine von uns ist wohl dafür Hebamme geworden. Die freiberuflichen Hebammen sind am Limit, die Geburtshilfe in der Klinik auch. Alle wissen das, nur scheinbar nicht die, die was daran ändern könnten. Die erzählen weiter von der ach so guten medizinischen Versorgung in Deutschland, von Pflegestärkungsgesetzen, Sicherstellungszuschlägen und anderen Errungenschaften. Vielleicht würde es die Augen öffnen, mal eine Nacht wie diese in der Klinik mitzuerleben. Ich befürchte nur, dass genau dies gar nicht gewollt ist. Denn dann würde das Schönreden auf einmal ganz schön schwierig werden…

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Kommentare

19 Antworten zu „„Und dafür bin ich Hebamme geworden?““

  1. C
    Conny

    Danke für die Worte und eure tolle Arbeit. Ihr leistet enormes und bitte halte durch, es ist so wichtig!
    Ich weiß nicht wie die Situation in Österreich ist, aber ich hatte zwei sehr unterschiedliche Geburtserlebnisse. Die Erste war lang, von insgesamt vier Hembammen betreut, die sich alle kaum bemüht haben mir die Situation zu erleichtern, tw.im Gegenteil. Darunter leide ich immer noch ein wenig. Was kann meine Tochter für mein schlechtes Geburtsterlebnis? Schön geht anders. Die Zweite war kurz und schmerzhaft, dafür mit der besten Hebamme überhaupt. Privat und in einem anderen Spital. Wir waren die einzige Geburt in dieser Nacht und hatten alle Ruhe und Zeit und Raum. Sie kannte mich und ich war gut aufgehoben, auch noch bei den Hausbesuchen danach. Was hätte ich nur ohne sie gemacht?
    Liebe Grüße und viel Kraft

  2. L
    Lise

    Hallo Anja,

    Wir wohnen mit 2 Kindern in Vancouver, BC, Kanada und hier sieht es alles etwas anders aus. Man kann als Frau zwischen Arzt ODER Hebamme waehlen. Die Hebammen arbeiten alle frei und nehmen immer nur so viele Patientinnen auf, wie sie evtl. in einer Nacht/Woche/ Monat betreuen koennen.

    Meine zweite Geburt wurde von einem Team bestehend aus 2 Hebammen begleitet und es war wunderschoen.
    Ja, auch hier gibt es Papierkram und man muss warten, aber die beiden SuperHebammen waren fuer mich da, erklaerten mir und meinem Mann alles was man wissen muss, begruessten unsere kleine Tochter und kamen noch 6 Wochen nach ihrer Geburt zum Hausbesuch.

    http://www.cbc.ca/news/canada/british-columbia/midwife-international-ubc-bridging-1.3388828

    Hier ein vielleicht interessanter Link fuer Dich und Deine Kolleginnen.
    Herzliche Gruesse aus Kanada,
    Lise

  3. K
    kathrin

    Und genau das musste ich bei der Geburt meines Sohnes im August durchleben.Allein gelassen zu werden und dann zack steht plötzlich das leben meines babys aufs Spiel, weil die Hebamme durch Überlastung nicht oft untersucht hatte und leider nicht mit bekam wie er sich selber schon auf den weg machte und der Kopf war schon fast draußen.Er war vollkommen Blau, da ging es um Sekunden! Dank einer liebevollen auch überlasteten, trotzdem für jeden da gewesen hebamme, die durch Zufall rein kam brachte mit mir umgehend meinen Sohn zu Welt!

  4. P
    Petra

    Liebe Anja,
    ich schau hier rein, weil ich neugierig war, wie es Dir ergeht. Und ich bedaure, dass Deine Schilderungen keine Veränderungen zu dem Zeitpunkt zeigen, als ich vor über 15 (!) Jahren im Kreissaal aufgehört habe zu arbeiten. … und zwar genau aus diesen und anderen Gründen!

    Ich frage mich, wieso ein Berufsstand wie jener von uns Hebammen ständig um seine Daseinsberechtigung vor allem bei jenen, welche die Hebel in der Hand haben, kämpfen muss: schwache Lobby, schlechte Vergütung, unbezahlte Rufbereitschaft, die Haftpflichtversicherungproblematik, etc….. geht’s noch?
    Irgendwannmal fragte ich mich: Müssen wir gar eine masochistische Ader haben, um hier „durchzuhalten“?
    Ein schwieriges, gar eher unmögliches Unterfangen, diese Arbeit so über Jahrzehnte zu leben.

    Ich wünsche Dir viel Kraft, pass gut auf Dich auf!

  5. S
    Stefanie

    Meine Große ist auch in so einer Nacht auf die Welt gekommen und ich empfinde die Geburt als schön. Die Hebamme hat trotz der vielen anderen gebärenden Frauen alles für uns getan. Wir waren die ersten in der Nacht und hinterher hat sie erzählt, dass sie dachte: „Oh wie nett, doch noch eine Geburt“. Und dann war die Hölle los. Ein dickes Dankeschön und Hut ab, vor dem Job!

  6. A
    AnnaMama

    Zuerst auch meinen DAnk an die durchhaltenden Hebammen!
    Bei meiner ersten Tochter hatte ich vor 3,5 Jahren das GLück, eine Hebammenschülerin fast durchgehend bei mir haben zu dürfen, die kurz vor den Prüfungen stand, das war beruhigend und ich hatte eine schnelle und gute Geburt, nur die Damen auf der Station danach waren überlastet, unfreundlich und gar nicht hilfsbreit, schade.

    Und jetzt ist Nr. 2 unterwegs und ich bekomme wirklich Angst vor der Geburt, Angst, dass ich viel alleingelassen werde, Angst vor den Schmerzen, die ich damals super mit Hilfe der jungen Hebamme veratmen konnte – ob ich das Atmen alleine so durchgezogen hätte weiß ich nicht, einfach pure Angst.

    Aber wie kann man das Politikern klar machen?
    Es ist zum Verzweifeln, aber bitte bitte haltet durch!

  7. S
    STefanie

    Liebe Anja,
    es ist nicht gut, das zu lesen. Wieder wird auf Kosten von Frauen und Kindern gespart – lasst sie nur gebären, das klappt schon… irgendwie.

    Ich bin froh und dankbar, dass ich vor 12 und 9 Jahren mit meiner „eigenen“ Hebamme im Krankenhaus entbinden konnte, mit viel Ruhe und dem Gefühl, dass sie für mich da ist, mit all ihrer Kompetenz und Herzenswärme.

    Macht weiter und klagt an, bitte hört nicht auf!

    LG

    Stefanie

  8. J
    Julia

    hallo!ja,genau die Frage stelle ich mir in letzter Zeit immer häufiger!Es ist Wahnsinn,viele Geburten will jedes Haus….aber die Stellen erhöhen,das ist zu teuer! Aber dazu kommt ja dann auch noch,dass die Häuser keine Hebammen mehr finden!
    WER WILL DENN SO NOCH ARBEITEN??
    Klar gibt es Dienste,da kann nan mal schön eine Geburt betreuen und davon zehre ich dann auch.
    Ich bin gerne Hebamme,aber ob ich noch weiter im kreisssaal unter den Bedingungen arbeiten möchte….das weiß ich leider nicht mehr!

  9. A
    Anja B.

    Hallo Kathrin, leider macht es keinen Sinn das auf der Seite von Herrn Grohe zu posten. Das habe ich und viele andere im ganzen letzten Jahr gemacht ohne auch nur eine einzige Reaktion. Leider!

  10. K
    Kathrin

    Es macht mich unendlich traurig. Meinst Du es hilft das mal auf die Seite von Herrn Grohe zu posten? Vielleicht kriegen wir das Viral… Na wahrscheinlich ist bei ihm eh Hopfen und Malz verloren…

  11. K

    Meine drei Kinder habe ich beide Male in einer kinderreichen Nacht geboren. Ich bin schon ganz froh, dass ich immer jeweils schon durch war, wenn nach mir der ganz große Rummel im Kreißsaal losbrach.

    Doch auch wenn ich beim zweiten Mal überhaupt rein gar nicht in der Lage war anständig zu kommunizieren, als es endlich los ging, so hätte ich mir mehr Anwesenheit von der Hebamme gewünscht, die immer durch die Räume sprinten musste.

    Ja, ich es war zwar schön, diesen Einling „selbstständiger“ gebären zu dürfen als die Zwillinge, trotzdem… ich hatte eine kurze Zeit der Panik und völliger Hilflosigkeit, als das alles wie ein Orkan losbrach. Mehr Zeit im selben Raum hätte sie vielleicht verstehen lassen? Hätte sie mir die Angst (zu Ersticken) nehmen können? Ich weiß es nicht. Ich konnte in dem Moment nicht reden und auf die kurzen Fragen im Vorbeirauschen antworten.

  12. X
    Xenia Schmidt

    Und wieder einmal bin ich nach solchen Berichten den Tränen nahe. Was soll denn noch endlich passieren, damit mal jemand „da oben in der Politik“ wach wird. Diese Gefasel, was zu nix bringt. Es kommt mir vor wie Sysiphos, der arme Kerl. Immer und immer wieder das gleiche tun. Endlich meint man, es tut sich was, und am Ende rollt das Ding doch wieder weg vom Ziel…

  13. K
    Karin

    Und leider meinen die Kliniken auch immer wieder … „es geht doch auch so, wofür mehr einstellen“… Ich finde Eure Arbeit bewundernswert…. Danke dafür…
    Als Krankenschwester kan ich nachvollziehen wie ihr Euch fühlt… oft hat man das Gefühl mit einem Fuß sogar schon im Knast zu sein 🙁

  14. J
    Julia

    Liebe Anja,

    Danke für dein Engagement, danke für deinen Blog!

    Ich war neulich auf dem hebammenfachtag des Sozialministeriums BaWü. Dort wurde gesagt, dass der betreuungssxhlüssel in KHs so berechnet wäre, dass 95% aller Geburten eine 1:1 Betreuung haben müssten. Wie dieser Schlüssel berechnet wurde, weiß ich nicht, aber er ist offensichtlich falsch berechnet. Aber demnach wäre sogar offiziell eine 95%ige 1:1 Betreuung das Ziel!

    Zudem werden nur soviele Hebammen ausgebildet, dass jede von ihnen 30jahre lang Vollzeit arbeiten müsste, damit es reicht. Sehr realistisch!

    Ich wünsche uns allen, dass wir in diesem neuen Jahr endlich Erfolg mit unseren Forderungen haben.

    Liebe Grüße
    Julia

  15. T
    Teresa

    Ich hab vor kurzem mein Kind in einer Münchner Klinik genau in so einer Nacht geboren. Es ist mein erstes Kind und ich war auch eine der Frauen, die man erst vertrösten wollte, aber dann ging es total schnell. Fast hätte ich im CTG-Raum gebären müssen. Es war eine schöne, schnelle Geburt mit einer tollen Hebamme , trotz Schichtwechsel zwischen CTG und Kreißsaal. Der schlimmste Moment war jedoch, als mein Mann zur Patientenaufnahme geschickt wurde, weil sich eine schnelle Geburt abzeichnete und zugleich die Hebamme den Raum verlassen hat. Da war ich dann alleine mit meinen starken Wehen im fensterlosen Raum, hab mir eine Hand zum Festhalten gewünscht oder etwas Unterstützung, da es meine erste Geburt war. Dann platzte die Fruchtblase und ich hab geklingelt. Im Nachhinein macht es mich immer noch traurig, dass wir nicht ins Geburtshaus mit einer intensiveren Betreuung könnten. Hoffentlich beim zweiten Kind – oder Hausgeburt.
    Ihr Hebammen macht einen unglaublich tollen Job und ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie hart es sein muss, sich so zu zerreißen. Meine Nachsorgehebamme hat mir erzählt, dass ihre Hebammen-Freundin in der selben Klinik mal ELF Geburten in einer Nachtschicht hatte! Ich hoffe, die Versorgung verbessert sich irgendwann, möglichst bald.

  16. M
    Michi Skott

    Liebe Anja,

    danke an euch. Danke dafür, dass ihr Hebammen geworden seid. Danke dafür, dass ihr nicht aufgebe und danke an dich, dass du darüber schreibst. Immer und immer wieder. Auch im neuen Jahr wissen wir: Never give up!

  17. R
    Ralf Houven

    Der Pflegenotstand und auch der Notstand in der Geburtshilfe ist m. E. in erster Linie von denjenigen zu verantworten, die sich darüber mokieren, dass ihre Kliniken nicht genügend Gewinne abwerfen und denen gutes Personal zu teuer ist. Das sind die Eigentümer der Kliniken!

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