Zwischen Normalität und Therapiebedarf in der Babyzeit

Bei dem immer größer werdenden Beratungs- und Therapieangebot für Eltern und Kinder ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Und vor allem wirklich dorthin zu gelangen, wo es wirklich jene Hilfe gibt, die eine Situation erfordert. Ein guter Freund ist Osteopath und behandelt seit vielen Jahren auch Säuglinge. Eltern kommen zu ihm, weil das Baby viel schreit oder sich motorisch nicht entsprechend entwickelt. Oder auch, weil es Schwierigkeiten beim Stillen gibt. In der Tat habe ich gute Erfahrungen mit der osteopathischen Behandlung von Säuglingen gemacht, zum Beispiel bei Saugproblemen und auch in vielen anderen Situationen.

Der eingangs erwähnte Freund und Ehemann einer Hebamme und Stillberaterin erzählt oft, dass Kinder bei ihm vorgestellt werden, die eigentlich keine Probleme haben, die sich mittels einer osteopathischen Behandlung lösen lassen. Denn nicht selten liegt zum Beispiel das vermehrte Schreien einfach an der Tatsache, dass Mütter das Baby zu selten anlegen. Für viele Eltern ist es schwer vorstellbar, dass so ein kleiner Mensch nach ganz kurzer Zeit schon wieder stillen möchte.

Und wenn es ihnen keiner sagt, werden sie vielleicht verunsichert sein und versuchen, auf andere Weise den Bedürfnissen des Kindes nachzugehen. Das Kind lässt sich aber nicht durch Tragen, Schaukeln oder andere Strategien beruhigen. Ein erneutes Anlegen ziehen sie vielleicht gar nicht in Erwägung, weil das Baby ja erst vor eine Stunde oder noch kürzerer Zeit getrunken hat. Das Baby schreit weiter. Die Eltern werden verzweifelter und greifen nach jedem Strohhalm.

Babyberatungsmarkt ist groß und verspricht schnelle Hilfe

Der Babyberatungsmarkt ist groß und verspricht schnelle Hilfe. Außerdem hagelt es von außen auch noch jede Menge guter Tipps, was man noch so ausprobieren könnte. In solchen Situationen gilt es, ganz genau zu erfragt, wie eine Situation tatsächlich ist. Und dann zu erkunden, was die Eltern sich von Therapie oder Beratung erhoffen. Passiert das nicht, bringt die osteopathische Behandlung vielleicht genauso wenig wie der Besuch in der Schreibabyambulanz.

Als erstes müssen Eltern wissen, wie die Bedürfnisse von kleinen Babys aussehen. Sie sollen erkennen, was realistisch zu erwarten ist und was eben nicht. Viele Eltern denken, dass ihr Baby ein Schlafproblem hat, bis sie in der Stillgruppe oder an anderer Stelle hören, dass sich andere Babys ganz genauso verhalten. Und dass genau das normal ist und so sein darf. Natürlich gibt es tatsächlich Kinder mit Regulationstörungen, Stillschwierigkeiten oder anderen eventuell auch behandlungsbedürftigen Problemen. Aber allzu oft wird ein altersgemäßes Verhalten – auch von Fachleuten – als nicht normal bewertet und es beginnt ein Marathon von einem Behandlungs- oder Beratungsangebot zum nächsten.

Manchmal ist weniger einfach mehr

Mittlerweile haben zunehmend weniger Eltern eine Hebamme nach der Geburt. Ein elementarer Teil der Wochenbettbetreuung ist es, Eltern zu vermitteln, wie das Leben mit einem Neugeborenen realistisch aussieht und wie sie am besten durch diese auch anstrengende Zeit kommen. Ich habe eine Zusatzausbildung als Still- und Lakationsberaterin IBCLC. Daher melden sich viele Mütter mit Stillproblemen bei mir, die ich nicht vor und nach der Geburt betreue. Doch auch hier erlebe ich es oft, dass eigentlich gar nichts wirklich „behandlunsgbedürftig“ ist. Es müssen eher Eltern darin bestärkt werden, dass sich ihr Baby völlig angemessen und artgerecht verhält. Und dass die Eltern bereits instinktiv das Richtige tun.

Es braucht manchmal gar keine Stillberatung, keinen Osteopathen, keine Schreibabyambulanz. Die Eltern brauchen etwas Ermutigung und Bestärkung darin, ihren Weg mit ihrem Kind zu gehen. Es mit Nähe, Liebe und auch Muttermilch zu nähren und ihm zu helfen, hier in der Welt anzukommen. Das Kind braucht keine Therapie. Und die Eltern vielleicht nur etwas Zuspruch oder auch den Austausch mit anderen Eltern.

Meine Aufgabe als Hebamme sehe ich auch immer in einer Art Lotsenfunktion, in der ich gemeinsam mit den Eltern schaue, was im „normalen Rahmen“ ist und wo zusätzliche Unterstützung erforderlich sein könnte. Gerade weil ich im Wochenbett nicht nur eine einzelne Beratungssituation erlebe, sondern einen Verlauf begleite, lässt sich ein Hilfebedarf sinnvoll einschätzen. Und die Eltern haben immer einen ersten Ansprechpartner für ihre Fragen und Sorgen. Gemeinsam kann man dann überlegen, was sinnvoll ist. Gerne halte ich dafür auch dann Rücksprache mit anderen Therapeuten wie dem eingangs erwähnten Osteopathen-Freund. Und manchmal ist weniger einfach mehr.

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Kommentare

11 Antworten zu „Zwischen Normalität und Therapiebedarf in der Babyzeit“

  1. L
    Lira

    Meine beiden Babys haben stundenlang geschrien. Ohne meine hebamme hätte ich es nicht überlebt. Mein zweites Baby ist mittlerweile 11 Monate und schreit immer noch sehr viel in der Nacht. Ich habe alles versucht um rauszufinden was es hat.das war auch wichtig für mich! Ich wollte das Gefühl haben, das ich alles versucht habe um meinem kleinen zu helfen. Leider ohne Erfolg. Ich kann jetzt einfach in Ruhe stillen und tragen wärend mein kleiner schreit, weil mir meine hebamme so dermaßen den Rücken gestärkt hat, das ich weiß das alles so in Ordnung ist,solange ich einfach da bin und Stille.

  2. T
    Theresa-Christine

    Ich hatte auch eher Pech mit den Hebammen: da hieß es von vornherein „Deine Brustwarzen sind zu klein zum Stillen“ oder „Ich hatte auch Schmerzen beim Stillen, da musst du durch“ und „Du legst das Baby zu oft an“. Eines kam zum anderen und es waren harte erste Monate, weil die Tipps, die ich dann noch ungefragt von Außen bekommen hatte, wenig sinnvoll waren und mich noch mehr unter Druck setzten..aber ich blieb nichtsdestotrotz innerlich irgendwie beharrlich und das Stillen wurde leichter. Hier haben mir auch verschiedene Blogs im Netz geholfen und die Seite der La Leche Liga. Außerdem würde ich mich beim nächsten Mal bei Problemen direkt an eine Stillberaterin wenden, wenn due Hebamme keine ist.

  3. B

    Hallo Anja,

    das kenne ich auch aus meiner Arbeit als Erziehungsberaterin , dass es oft nicht viel und schon gar keine „Behandlung“ bedarf.
    Wenn man einmal durchleuchtet, was hinter dem Verhalten der Kinder steckt, bemerkt man, dass die Kinder häufig einfach bestimmte Entwicklungsphasen durchlaufen und sich für diese Phasen typisch verhalten.
    Versteht man, was in dieser Phase wichtig ist für das Kind und kann dann entsprechend handeln, lösen sich viele Probleme von selbst auf.

  4. F
    Friederike

    Die zwei wichtigsten Ratschläge von meiner Hebamme beim ersten Kind: „Tagsüber die Kleine von Anfang an oft auf den Bauch lagern“ und „Vertrau deinem Kind“ 🙂 Das trifft es. Hat auch bei Nummer zwei gut funktioniert

  5. J
    Jana

    @ Sarah
    Ich könnte mir aber Vorstellen, dass ďie meisten frischgebackenen Mütter einer Hebamme einfach mehr vertrauen , einfach weil man ihnen durch ihre jahrelange Erfahrung auf genau diesem Gebiet mehr Kompetenz zutraut, als vielleicht einer Mutter mit einem oder zwei Kindern. Und vielleicht ist auch ein bisschen Frust dabei , es nicht allein in den Griff zu bekommen.

  6. S
    Sarah

    Ich lese schon eine ganze Weile deinen Blog mit und hatte, auch dank guter Vorbereitung und dem Vertrauen in meine eigenen mütterlichen Instinkte, nie „Probleme“ mit meinem mittlerweile 11monatigem. Mir fällt aber auch auf, dass viele Mütter Tipps und Tricks anderer Mütter oftmals nicht annehmen können oder wollen, da es sich um die ratgebende Person eben nur um eine andere Mutter handelt und nicht um einen, durch irgendein Zertifikat deklarierten „Experten“. Mamas hört auf euer Herz!

    1. N
      Nanne.

      Liebe Sarah,

      eine Hebamme ist im besten Fall nicht nur mit dem Zertifikat ausgestattet, sondern mit Erfahrung und einem kompetenten Fachwissen.
      Ich frage bei bestimmten Sachen lieber meine Hebamme um Rat einfach, weil ich dort genau an der richtigen Stelle bin – sie mein Kind und mich kennt und sich erstmal überhaupt anhört, was das Problem genau ist „Erzähl mal“ und daraufhin Tipps gibt.
      Wenn ich mit anderen Müttern spreche, was ich hier und da auch mache, sind fünfzig Prozent der Tipps einfach an unserer Realität vorbei, weil sie immer von sich und ihren Kindern ausgehen, statt von uns.
      Mir geht es ähnlich wie dir – ich habe seit der Schwangerschaft ein großes Vertrauen in mich empfunden und vieles instinktiv (richtig) gemacht. Nie hatte ich das Gefühl, dass nicht zu schaffen. Aber es gab eben immer wieder Themen (Stillprobleme / auffälliges Verhalten), da war ich froh Rücksprache mit meiner tollen Hebamme halten zu können.
      Liebe Grüße Nanne

  7. A
    Anka

    Also braucht es mehr Hebammen für die unsicheren Eltern!

    Aber keine Sorge, es gibt auch welche, die ihrem Gefühl folgen, denen nicht von Schwieger/Groß-Müttern usw. reingequatscht wird/wurde, die nicht wissen, was ein Osteopath ist (aber wissen, dass die Kinderärztin den passenden Spezialisten empfiehlt, wenn es Bedarf gibt), und die selber nachlesen können, wann man eine Schreiambulanz fürs Baby braucht.

    1. A
      Anja

      Für die Eltern, die Unterstützungsbedarf haben, ist die Hebammenbetreuung sicherlich das niedrigschwelligere (und auch durch die KK finanzierte) Angebot. Ich erlebe es halt recht oft, dass sich Eltern mit ganz „normalen Anfangssorgen“ melden, weil sie denken, ihr Kind habe ein Schlaf-,Still-,oder Fütterproblem. Meist sind das Eltern, die keine Hebammenbetreuung oder auch keine sonstige Vorbereitung auf das Leben mit dem Kind hatten. Für die wäre das also oder auch der Austausch mit anderen erfahrenen Eltern sicher sinnvoll.

  8. J
    Jana

    Mal wieder viel wahres in deinem Artikel!
    Ich habe auch oft das Gefühl, dass in unser heutigen Zeit den Müttern in den natürlichen Instinkt reingequatscht wird. Für jedes „Problemchen“ gibt es was zu kaufen oder eine passende Therapie. Ganz sicher gibt es auch wirklich Schwierigkeiten , die professioneller Hilfe bedürfen , aber nach meinem Eindruck fällt es vielen einfach schwer den Konflikt zwischen der eigenen Vorstellung , wie ein Baby sich so verhält und der Realität , dass es sich eben wirklich verhält wie zu Urzeiten zu akzeptieren. Zumal es einfach nicht in unsere Zeit passt , in der alles zügig und effektiv gehen soll, dass ein Baby nur für eine schnöde Mahlzeit stundenlang der Mutter an der Brust hängt . Schade , dass in Zukunft vermutlich häufig nur noch die, von ihrer Generation geprägten ,Großeltern den frischgebackenen Eltern ihre Tipps überhelfen . Wenn man Glück hat, deckt es sich ja mit den eigenen Vorstellungen , wenn nicht bleibt wieder eine verunsicherte , gestresste Mutter zurück , die eine erfahrene Hebamme hätte gebrauchen können.

  9. I
    Ines

    Schöner Artikel!

    Unsere Hebamme kritisierte, dass ich unser Baby „bei jedem Schreien“ anlege, das wäre falsch, damit würde ich dem Baby ja „den Mund stopfen“ und ihm eben nicht beibringen, sich selbst zu beruhigen …. mindestens zwei Stunden Abstand seien von Nöten, lieber mehr.
    Im ersten Moment war ich davon total eingeschüchtert und begann, ein Stillprotokoll zu schreiben. Da unser Baby aber offensichtlich von Anfang an wusste, was richtig und gut für es ist, hat es sich allerdings direkt mit seinem Dickkopf durchgesetzt und ich habe es einfach immer wieder angelegt. Erzählt habe ich davon aber nichts. Nachdem wir schon nicht hatten stillen sollen (unser Baby war ein Frühchen; erst hieß es, stillen brauchen wir nicht zu versuchen, sie sei zu schwach; dann hieß es, stillen brauchen wir nicht mehr zu versuchen, jetzt sei es dafür zu spät – auch hier hat sich das Kind durchgesetzt und einfach beschlossen, dass nach fast sieben Wochen abgepumpter Milch per Flasche ein flotter Wechsel direkt an die Brust das sinnvollste ist).

    Jedenfalls erwies sich im weiteren Verlauf die Angst, ich könne alle von Babys Bedürfnissen „mit der Brust ersticken“ als unsinnig heraus. Mit zunehmenden Alter ließ sich unterscheiden, welches Problem wie zu lösen ist. Das Kind ist jetzt knapp 15 Monate alt, darf bei Bedarf immer noch stillen, kann aber seine Bedürfnisse ausdrücken und ist alles andere als „mundtot von der Brust“. 😀

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