Das kenne ich auch! Wirklich?!

Es kann ein wohltuender Satz für die gestresste Elternseele sein, wenn jemand anders sagt: „Das kenne ich auch…“. Man fühlt sich verstanden und gesehen mit seinen momentanen kleinen oder auch großen Sorgen. Manchmal denkt man aber vielleicht nur, dass man die Lage des anderen tatsächlich kennt. Eltern eines Kindes mit hohen Bedürfnissen hören bisweilen auch von anderen Eltern, dass sie die damit verbundenen Schwierigkeiten kennen. Alle Babys weinen ja schließlich mal.

Doch wenn diese Eltern nicht auch selbst ein „Schreibaby“ haben, werden sie es nicht kennen. Denn es ist sehr entscheidend, wie oft und wie lange ein Baby untröstlich weint, um die dadurch entstehende elterliche Belastung auch nur ansatzweise einschätzen zu können. Die meisten Babys haben immer wieder mal Phasen, in denen sie vermehrt weinen und sich vielleicht nur schwer beruhigen lassen. Zähne, Schmerzen oder auch Gebärmutterheimweh sind nur einige der möglichen Gründe. Und diese Zeiten sind wahnsinnig anstrengend. Denn das Schreien eines Babys verursacht immensen Stress- auf körperlicher und emotionaler Ebene. Deshalb handeln wir als Eltern auch und versuchen alles, um unser Baby wieder in die Entspannung kommen zu lassen. Das ist manchmal eine wirklich schwere Aufgabe.

Eltern eines Babys mit hohen Bedürfnissen stehen jeden Tag vor dieser Aufgabe. Oft stundenlang und nur unterbrochen von kurzen Momenten, in denen das Baby dann doch einmal schläft. Aber selbst dann haben sie noch das Schreien ihres Babys im Ohr. Oder sie sind in erneuter Anspannung, weil es gleich wieder losgehen könnte. Das wiederholt sich, Tag für Tag. Und sie wissen nicht, wann diese Phase wieder vorbei ist. Zähne sind irgendwann durch. Infekte klingen ab. Und auch das Gebärmutterheimweh verringert sich, wenn das Baby größer wird.

Austausch in Krisenzeiten extrem wichtig

Wann es ein Kind mit einer Regulationsstörung schafft, sich selbst und mit Unterstützung zu beruhigen, ist meist unklar. Und so wissen die Eltern nicht, wie lange sie ihr Baby noch so sehr herausfordern wird. Die Begleitung eines Kindes mit so starken Emotionen ist eine Aufgabe, die den ganzen Alltag stark beeinflusst. Das Kind „läuft“ nicht im Alltag der Eltern mit, sondern sie versuchen ihren so anzupassen, dass sich mögliche Stressfaktoren minimieren. Doch genau das wiederum kann auch zu Isolation und einer zusätzlicher Belastung führen.

Unterstützung in diesen anstrengenden Babyzeiten ist also enorm wichtig. Ebenso wie das Verständnis für die Probleme. Doch Eltern, die kein untröstlich weinendes Kind haben, kennen den Schreibaby-Alltag nicht und können darum wohl nur erahnen, wie es sich anfühlt, wenn man sein Baby nicht oder nur schwer beruhigen kann. Und das immer wieder. Wenn all die guten Tipps und Ideen nicht helfen. Wenn stillen, tragen, pucken oder Bauchmassagen das Baby nicht entspannen. Eben dann, wenn alles nicht „nur eine Phase…“ ist.

Vernetzen, online und offline

Der Austausch mit anderen betroffenen Eltern ist hier also wie in vielen Krisensituationen wichtig und hilfreich. Denn das „Kenne ich“ hat ein ganz anderes Gewicht, wenn jemand wirklich eine ähnliche Situation erlebt. Früher gehörte es auch mit zu den elementaren Hebammenaufgaben, Eltern miteinander zu verknüpfen. Das passierte im Rückbildungskurs oder in der Stillgruppe. Und auch heute brauchen Eltern andere Eltern. Heute bietet das Internet diverse Möglichkeiten, Informationen und Gleichgesinnte zu finden.

Es ist gut, wenn Eltern sich vernetzen, online und offline. Experten, Therapeuten, Bücher oder Blogs sind wichtig. Aber den realen Austausch untereinander können sie nicht ersetzen. Deshalb gibt es jetzt passend zu unserem im April erscheinenden Buch Mein Schreibaby verstehen und begleiten bei Gut & Geborgen die Gruppe Bindungsorientierte Begleitung von High Need Babys und Kindern, in der sich Eltern in einem geschützten Rahmen austauschen über ihre Erfahrungen austauschen können. Da das Projekt Gut & Geborgen aber nicht nur für High-Need-Baby-Eltern ist: Zu welchen Elternthemen wünscht ihr euch Videos und vielleicht auch weitere Gruppen?

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Kommentare

6 Antworten zu „Das kenne ich auch! Wirklich?!“

  1. A
    Anna

    Das Thema mit dem notkaiserschnitt fände ich auch sehr interessant!

  2. A
    Aneta

    Sehr gerne würde ich mehr zum Thema Kaiserschnitt, insbesondere Notkaiserschnitt, lesen. Wie geht es den meisten Frauen danach und wie bewältigt man diese Erfahrung?
    Denn auch acht Monate nach der Geburt, beschäftigt es mich sehr, dass es ganz plötzlich in einem OP Saal mit Vollnarkose endete.
    Ich habe danach lange meinen Bauch vermisst. Mir fehlte der Abschied von der Schwangerschaft und die Begrüßung meines Kindes.

  3. M
    Marie

    Unser kleiner Mann hat auch quasi die ersten sechs Monate durchgeschrieen. Das hat mich/uns auch völlig fertig gemacht und uns auch sehr isoliert. Zum Glück hat meine Hebamme mir sehr früh von der Schreiambulanz erzählt. Das hat mich „gerettet“. Von meinen (noch kinderlosen) Freunden kamen da nur Kommentare wie „Also meiner Meinung nach ist ein Kind ja keine Krankheit, man kann sich ja doch mal melden“ oder „In 3 Monaten ist ja alles vorbei, dann Schreien sie ja nicht mehr so viel“. Was es bedeutet ein 24h Kind zu haben, was das psychisch und physisch mit einem macht, konnten die wenigsten verstehen. Das tat schon sehr weh und macht es noch immer. Ich wünsche es keinem so etwas durchmachen zu müssen, aber anders kann man sich da nicht reinversetzen. Darum ist es gut eine blickige Hebamme an seiner Seite zu haben und den Kontakt zu „Erste-Hilfe-Einrichtungen“ wie die Schreiambulanz nicht zu scheuen. Und wenn da einem nur jemand auf die Schulter klopft und sagt „Du machst nichts verkehrt, du machst das alles sehr gut.“ Das hilft sehr.

    1. J
      Jenny

      Ich habe größten Respekt vor dir und all den anderen Eltern, die den Alltag mit einem Schreibaby meistern!
      Ich finde gerade kinderlose Freunde sollten sich von sich aus melden und nachfragen, ob man Hilfe braucht oder ob alles gut ist und man vielleicht einfach mal Lust auf einen Kaffee hat. Dir Vorwürfe zu machen, weil du dich nicht meldest, empfinde ich als sehr unverschämt dir/euch gegenüber.

      Ich lasse unbekannter Weise eine riesen Portion Respekt und eine Umarmung hier und hoffe dass du dies liest und vor allem, dass ihr mittlerweile ruhigere Zeiten erreicht habt und die Zeit als Familie mit echten Freunden genießen könnt.

  4. H
    Henrike Gerdzen

    Ich fände es schön, wenn mal etwas über kinder mit besonderen bedürfnissen, sprich mit einer behinderung geschrieben wird. Ich finde dass dieses thema nicht nur auf speziellen blogs angesprochen werden sollte. Und dass ihr mit euren viel besuchten blogs so einen beitrag zur inklusion leisten könnt.
    Ich bin selbst mutter eines geistig behinderten kindes und fänds mutig und klasse wenn dieses thema auf einem „ganz normalen“ blog vertreten wäre

    1. A
      Anja

      Liebe Henrike,

      danke für die Anregung. Dazu gibt es tatsächlich noch nicht viel auf dem Blog. Kennst Du diesen Gastbeitrag schon: http://www.vonguteneltern.de/david-ist-genauso-ein-kind-wie-ihr-auch/
      Vielleicht hast Du ja selbst auch Zeit und Lust einen Beitrag zu schreiben? Oder auch gerne als Interview (aktuell ist gerade auch eins mit einer Mutter eines Kindes mit Autismus in der Planung). Wenn ja, meld Dich auch gerne via Email an info@vonguteneltern.de

      Liebe Grüße,

      Anja

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