Meine erste tragende Rolle als Vater

Es gibt 1001 Alltagsherausforderungen mit Babys. Aber eine der größten ist immer wieder ihr Transport. Dabei ist genau das eigentlich gar kein Problem. Als natürlicher Reflex (der wie so vieles vor allem durch Produktwerbung anerzogen ist), denkt man als werdende Eltern auch 2020 wahrscheinlich zuerst an einen Kinderwagen, um das Baby von A nach B zu transportieren. Denn, so die Idee: Kinder liegen in einem Kinderwagen, friedlich und ruhig schlafend. Ein gängiges Klischee, das Werbeagenturen und Massenmarktkinderbuchillustratoren immer wieder wiederholen. Ich bin auch drauf reingefallen, natürlich…

Beim ersten Kind wollte ich den besten, schicksten, stylishten, praktischsten und damit vielleicht auch teuersten Kinderwagen haben. Es war damals der Bugaboo Frog – und der wurde quasi zeitgleich zum Symbol für die typischen Großstadteltern. Zum Glück hat Anja als Hebamme auch ein Tragetuch mitbestellt für unsere kleine Familie. Das habe ich anfangs eher als nice to have aber nicht wirklich nötig belächelt. Es war vielleicht der größte Irrtum in der gesamten Babyausstattungsdebatte.

Beim ersten Kind haben wir den Kinderwagen tatsächlich relativ viel benutzt. Also, wir haben ihn jedenfalls immer mitgeschleppt: eingeklappt im Auto, weil das wirklich so praktisch ging. Damit er dann bei den Großeltern, die ihn bezahlt hatten, auch mal durch die Kleinstadt rollen durfte. Schon damals hat Anja viel lieber ein Tragetuch oder eine Tragehilfe benutzt. Und auch ich habe schnell meine anfängliche Scheu verloren.

Der Anblick eines Vaters mit seinem Kind vor dem Bauch mag im Jahr 2005 für einige Menschen (außerhalb des Klischee-Bezirks Prenzlauer Berg) noch gewöhnungsbedürftig gewesen sein. Aber die Vorteile des Tragens überwiegen einfach. Mittlerweile tragen Väter recht selbstverständlich ihre Kinder. Und auch die oft den teuren Kinderwagen sponsernden Großeltern sieht man hier mittlerweile, wie sie tragend ihren Enkelkinder die Welt zeigen. 

Tragen hat sich längst etabliert

Das Tragen von Babys hat sich längst etabliert. Die Frage ist nicht mehr, ob getragen wird, sondern womit. Was das angeht, ist die Lage tatsächlich wesentlich unübersichtlicher mittlerweile. Wie viele verschiedene Modelle – natürlich nur zum Testen aus rein beruflichen Gründen als Hebamme – allein mit den letzten beiden Kindern eingezogen sind, unfassbar eigentlich. Bei Kind 1 hatten wir ein gestreiftes Dydimos-Tragetuch und einen  Ergobaby-Carrier, den Anja damals über irgendwelche Insiderquellen aus Hawaii oder sonst woher importiert hatte.

Ich bin und war immer großer Fan von Fertigtragen, die schnell und unkompliziert dafür sorgen, dass mein Kind sofort nahe bei mir ist und sich wohl fühlt, wenn es irgendwie unzufrieden wird. Tücher binden – zumindest die Wickelkreuztrage – kann ich zwar auch. Aber gerade im Alltag mit mehreren Kindern ist das auch immer eine Zeitfrage.

Die Tragekinder genießen das schaukelnde Gefühl – egal ob im Tuch oder in der Tragehilfe, egal ob beim Spaziergang oder zuhause zum Einschlafen. Sie sind geborgen und sicher direkt am Herzen ihrer Eltern. Neben diesen sanften Faktoren sprechen aber auch schlichte Fakten für das Tragen eines Babys. Man hat immer zwei Hände frei, die dann zum Beispiel nutzbar sind, um Texte wie diesen schreiben. So einige Artikel sind mit Baby vor dem Bauch entstanden. Man kann außerdem ganze Menüs kochen oder die Wäsche aufhängen. Oder zu Hause aufräumen, um danach auf dem Sofa sitzend als Belohnung eine halbe Stunde lang die Spielkonsole anzuschmeißen. 

Beratung im Tragedschungel hilft

Rein optisch sind weder Tragetücher (die gibt’s auch in schlichten Farben mittlerweile) noch Tragehilfen heutzutage ein Problem. Selbst im Winter ist ihr Einsatz problemlos, denn man kann seine normale Jacke weiter benutzen, wenn man sich zum Beispiel einfach eine Jackenerweiterung zulegt, die via Reißverschluss eingezippt wird.

Für den Rücken ist das Tragen auch eine gute Angelegenheit. Man steht, geht und sitzt viel aufrechter. Das Gewicht des Babys ist viel gleichmäßiger auf den eigenen Oberkörper verteilt. Wie krumm und schief man doch bisweilen steht, wenn man das Kind längere Zeit auf einem Arm balanciert. Und auch das Tragen auf den Schultern fühlt sich doch um einiges unbequemer an, als das Kleinkind auf dem Rücken oder seitlich im Sling zu tragen. Deshalb lag und liegt bei uns im Auto und im Lastenrad auch immer eine „Notfalltrage“ herum, falls die Kleinkindfüße doch schneller müde sind als gedacht.

Ich bin natürlich „nur“ ein Vater, der seine erste tragende Rolle bei allen vier Kindern sehr geliebt hat. Ich bin kein Trageberater und keine Hebamme.  Darum sind meine Tipps zum Thema hier nur Impulse zum Thema Tragen. Lasst euch individuell beraten und probiert am besten auch vor der Anschaffung aus, welches Tuch und welche Bindetechnik oder welcher Trage am besten zu euch und eurem Kind passt. Danach fühlt sich das alles gar nicht mehr so kompliziert an und ihr könnt das Tragen einfach genießen.

Tipps vom Tragevater

Nun aber zu den Tipps vom Tragevater:

  • Alle Babys sind Traglinge und haben die Erwartung, entsprechend befördert zu werden. Darum gehen zum Beispiel ihre Beinchen gleich in die Anhock-Spreizhaltung, wenn man sie hochnimmt. Welche Art der Unterstützung beim Tragen am besten passt, kann von Kind zu Kind unterschiedlich sein, aber es gibt ja auch verschiedene Möglichkeiten.
  • Die Anhock-Spreizhaltung wird von einer vernünftigen Tragetechnik mit Tuch bzw. einer guten Komforttrage unterstützt. Der Tuch- oder Tragesackteil zwischen den Beinen muss von Kniekehle bis zu Kniekehle gehen. Babys Po muss tiefer als die Knie gut „eingebeutelt“ sein.
  • Da kleine Babys ihren Kopf noch nicht selbst halten können bzw. auch ein älteres schlafendes Kind keine Kopfkontrolle hat, muss die Tragehilfe ihn gut stützen. Der Kopf des Kindes sollte sich auf Kopfkusshöhe befinden. Ein zu tief gebundenes Kind ist weder für den Tragenden noch für den Tragling so richtig angenehm.
  • Babys sollten nicht mit Blick nach vorne getragen werden (ja, ja auch wenn man das immer wieder in irgendwelchen Zeitschriften sieht). Diese Haltung ist eher unphysiologisch für die Hüfte und den Rücken des Babys. Und sie kann Druck auf die Geschlechtsteile des Babys ausüben. Auch für den Tragenden ist diese Haltung nicht wirklich gesund. Am ungünstigsten ist aber, dass die Kinder einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt sind, von der sie sich nicht zurückziehen können. Die Kinder sind zwar in dieser Position scheinbar „ruhig“, aber die Quittung kommt immer wieder am Abend, wenn die vielen Reize verarbeitet werden müssen…
  • Ein Kind, das „mehr sehen“ möchte, kann prima seitlich auf der Hüfte oder dem Rücken getragen werden. Hier hat es einen größeren Überblick, kann sich aber jederzeit bei Mama oder Papa ankuscheln.
  • Für die erste Tragezeit sind Tragetücher unschlagbar, weil sie sich am individuellsten auf die jeweilige Babygröße einstellen lassen. Die Hebamme oder eine Trageberaterin zeigen die richtige Bindetechnik. Mütter und Väter haben meist spätestens nach dem dritten Mal Binden heraus, wie das schnell und einfach geht.
  • Eine gute Komfortrage lässt sich noch schneller an und ablegen. Diese Tragen können je nach Größe des Kindes mehrere Jahre genutzt werden bzw. gibt es sie in Baby- und Kleinkindgrößen (Toddler Size). Denn man kann sicher sein, dass auch ein selbständig laufendes Kind noch genug Zeit auf dem Arm oder wahlweise den (irgendwann schmerzenden) Schultern verbringen wird. Weil eben nicht jede Trage für alle Eltern und jedes Kind passt, lohnt sich hier eine Trageberatung, bei der man mehrere Optionen einfach mal ausprobieren kann. Übrigens ist so eine Trageberatung auch ein schönes Geschenk zur Geburt.
  • Tragen ist auch quasi Frühförderung. Durch die Bewegung des Tragenden werden alle Sinne sowie das Gleichgewichtsgefühl der Babys angeregt. Und das ganz ohne Babykurs.
  • Und wenn der schicke Kinderwagen schon gekauft ist und das Baby aber eindeutig das Tragen bevorzugt? Man kann Einkäufe, Pakete, Geschwisterspielzeug und andere Dinge darin transportieren. Da die meisten Kinderwagen heutzutage auch eine Buggyfunktion haben, kommt er ja vielleicht später noch zum Einsatz, wenn sich das Kind allein hinsetzen kann. Gut ist, dass sich bei Kombikinderwagen der Sitzeinsatz meist zum Schiebenden zugewandt einstellen lässt. Denn auch bei einer Schiebeweise nach vorne droht sonst kleineren Kindern schnell Reizüberflutung. Außerdem ist abgewandt die Kommunikation mit den Eltern kaum möglich. Im Tragetuch ist man mit dem Kind immer auf Augenhöhe und kann aus der gleichen Perspektive die Welt entdecken. 

Aber es geht nicht um Tragen oder Schieben. Denn es geht immer auch beides. Und somit kam unser Bugaboo ab dem Sitzalter dann doch noch sehr gerne und regelmäßig zum Einsatz.

Meine jüngste Tochter ist mittlerweile drei Jahre alt. Immer wieder wird sie auf dem Arm, meinen Schultern und eher selten mal in der Trage auf dem Rücken getragen. Meist will sie laufen, Roller fahren und wahrscheinlich gefühlt übermorgen ausziehen. Ein bisschen wehmütig macht es mich schon, dass diese Tragephase mit unseren vier Kindern nun bald endgültig vorbei ist. Als Großvater werde ich darum unseren Kindern die schönste, beste, stylishte und bestimmt auch teuerste Traghilfe sponsern. Und dann darf ich hoffentlich auch mal auch unseren Enkelkindern tragend die Welt zeigen – irgendwann in der Zukunft.

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