Fragen an die Hebamme: Wie hilft die Schreibabyambulanz?

Manchmal schreien Babys, weil ein Stillproblem vorliegt. Vielleicht kommt die Milchbildung nicht richtig in Gang. Oder ein anderes, konkretes Problem erschwert das Stillen. In diesen Fällen kann man als Hebamme oder Stillberaterin meist gut weiterhelfen. Doch nicht selten weinen Babys auch untröstlich, obwohl das Stillen oder generell die Nahrungsaufnahme gut und unkompliziert klappt. Babys, die sich auch nicht durch andere gängige Beruhigungsmethoden wie das Stillen oder Tragen beruhigen lassen. Relativ oft werde ich für eine Stillberatung kontaktiert, obwohl es gar kein wirkliches Stillproblem gibt. Aber natürlich wird zuerst ein Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme vermutet.

Um Müttern „ohne Milchproblem“ weiterhelfen zu können, habe ich eine Weiterbildung zur Krisenbegleiterin (Körperorientierte Krisenbegleitung – Schreibabyambulanz) bei Schrei-, Schlaf-, Still- und Fütterstörungen bei Paula Diederichs absolviert. Diese hatte bereits 1995 die ersten Schreibaby-Ambulanzen in Berlin etabliert. Babys mit besonders hohen Bedürfnissen werden auch „Schreibaby“ genannt. Dieser Begriff ist nicht besonders glücklich gewählt, weil er das Baby so sehr auf sein Schreiverhalten reduziert. Aber das Wort hat sich umgangssprachlich etabliert. Ob nun „Schreikind“, „High Needs Baby“ oder „untröstlich weinendes Baby“ – gemeint sind Kinder, die ihre Eltern ganz besonders intensiv herausfordern, wenn sie oft und lange untröstlich weinen.

Ein bisschen erhoffte ich mir ja von der Ausbildung, die geheimen Zaubertricks zu erfahren, die möglichst schnell das untröstliche Weinen des Babys „abstellen“. Es soll dem Baby und den Eltern doch schnell wieder besser gehen. Natürlich gab und gibt es keine geheimen Tricks, die über die üblichen Beruhigungsstrategien hinaus gehen, die ich aus der Hebammenarbeit kannte. Viel Körperkontakt, nach Bedarf stillen oder füttern, das Tragen, das Vermeiden von zu vielen Reizen. Natürlich gilt es zudem, tatsächliche körperliche Beschwerden als Ursache auszuschließen. Das sind also die gängigen Sofortmaßnahmen. Bei einem Baby mit einer Regulationsstörung haben die Eltern allerdings nur mäßigen oder gar keinen Erfolg damit.

Eltern sind die Experten für ihr Kind

In der Arbeit mit einem Schreibaby werden Eltern auch noch mal bestimmte bewährte Haltungen oder Massagen fürs Kind gezeigt. Aber ob dies alles unmittelbar hilft, ist von Kind zu Kind verschieden. Wie bei den meisten Sorgen, die Eltern in Bezug auf ihre Kinder haben, gibt es nicht den einen Knopf, den man drückt und der dann dafür sorgt, dass das Kind sich so verhält, wie es das Leben der Eltern vielleicht erleichtern würde. Das Schlafarrangement, was für die eine Familie zu ruhigen Nächten führt, kann bei der anderen vielleicht die Probleme sogar verstärken. In Babyfragen gibt es nur selten Patentlösungen.

In der Schreibabyambulanz geht es deshalb vor allem auch um das Befinden der Eltern. Und darum, wie dieses nachhaltig verbessert werden kann. Denn wie sich das Schreiverhalten des Kindes entwickelt, weiß keiner. Manche Eltern sind nur kurz sehr davon gefordert. Andere müssen ihr Baby eine längere Zeit sehr intensiv begleiten. Und es ist besonders wichtig, dass Eltern in dieser Zeit gut für sich sorgen. Das klingt ein bisschen paradox. Denn das so bedürftige Baby lässt ja genau dafür kaum Raum und Zeit. Aber ohne dem Beachtung zu schenken, werden die elterlichen Akkus allzu bald leer sein.

Deshalb werden Eltern in der Schreibabyambulanz zum Beispiel Atemübungen, Bewegungsabläufe oder andere Techniken gezeigt, die ihnen helfen, bei sich zu bleiben. Sie sollen eben nicht auf das hohe Erregungsniveau ihres Kindes einsteigen. Schreibabytherapeuten haben hierbei verschiedene Ansätze. Aber die Grundidee ist immer gleich. Die Eltern sollen so gestärkt werden, dass sie ihr Baby mit seinen hohen Bedürfnissen gut begleiten können, ohne dabei die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren. Natürlich beinhaltet dies auch zu schauen, wie man den Alltag noch optimieren kann und welche Hilfe es gibt.

Schreiambulanz verteilt keine Entspannungsrezepte

Zudem sollen Eltern davor bewahrt werden zu vereinsamen in dieser anstrengenden Zeit. Meist wird dabei sehr lösungsorientiert gearbeitet. Das heißt, dass nicht der Therapeut vorgibt, was zu tun ist, sondern die Eltern sich etwa durch das Bewusstmachen der eigenen Ressourcen individuelle Lösungsmöglichkeit erarbeiten. Manchmal sind das einfach Kleinigkeiten. Aber im anstrengenden Alltag mit einem Schreibaby sieht man die dann nicht mehr.

Manche Mütter sind von ihrem Baby so sehr gefordert, dass sie erst im Rahmen der Arbeit in der Schreiambulanz wahrnehmen, dass es vielleicht noch ein eigenes Thema zu bearbeiten gibt. Das kann zum Beispiel eine traumatische Geburt sein. Es werden jedenfalls keine „Kochrezepte für entspannte“ Babys in der Schreiambulanz verteilt. Im Zentrum steht primär eine emotionale Unterstützung für die Eltern und ihr Baby. Es werden zwar auch Methoden vermittelt, die dem Baby helfen sollen, leichter in seine Entspannung zu kommen. Aber Schlafprogramme, bei der das weinende Kind sich selbst mit seinem Kummer überlassen wird, sind keine bindungsorientierte Strategie.

Das Ablegen des schreienden Babys an einem sicheren Ort ohne Bezugsperson sollte nur als absoluter Notfallplan eingesetzt werden. Und nur dann, wenn aus großer Überforderung heraus die Gefahr besteht, es sonst womöglich zu verletzen. Der Umgang mit Wut, Verzweiflung oder Kontrollverlust sollte in der Beratung auch ein Thema sein. Eltern sollten eine Strategie haben, wenn sie das Weinen des Babys an ihre Grenzen bringt und keine unmittelbare Hilfe vor Ort ist.

Besonders bedürftiges Kind gut begleiten

Eltern sollten auch beim Aufsuchen einer Schreibabyambulanz darauf achten, dass das dort Vermittelte nicht entgegen ihren Überzeugungen und ihrem Bauchgefühl ist. Auch wenn sie sich aufgrund der Situation vielleicht gerade sehr hilflos fühlen, sind und bleiben sie als Eltern die Experten für ihr Kind. Nur die Eltern wissen letztlich, was für sie passend ist und was eher nicht.

Das Angebot der Schreibabyambulanz gibt es in Sozial-Pädiatrischen Zentren, in Privatpraxen, Nachbarschaftszentren oder in öffentlichen Beratungsstellen. Zum Teil wird es kostenlos, mit Zuzahlung oder auch als privat zu zahlende Leistung angeboten. In der Regel können die Hebamme oder der Kinderarzt entsprechende regionale Kontaktadressen vermitteln. In manchen Städten gibt es auch Selbsthilfegruppen, in denen sich Eltern unter fachlicher Leitung austauschen können. All diese Angebote werden meist nicht dafür sorgen, dass das untröstliche Weinen des Babys sofort aufhört. Aber sie können Eltern dabei unterstützen, ihr zu diesem Zeitpunkt besonders bedürftiges Kind gut auf seinem Weg zu begleiten.

Hilfreiche Adressen:
Trostreich- interaktives Netzwerk Schreibabys | Gesellschaft für seelische Gesundheit in der frühen Kindheit | Schreibabyambulanzen in Deutschland

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Kommentare

2 Antworten zu „Fragen an die Hebamme: Wie hilft die Schreibabyambulanz?“

  1. A
    Anja

    Liebe Ulrike,

    natürlich gerne. Danke für den Hinweis auf die Gruppe hier. Gerade in ländlicheren Regionen ist das Hilfsangebot ja wesentlich dünner, da kann auch der Online- Elternclan eine gute Stütze sein.

    Liebe Grüße,

    Anja

  2. U
    Ulrike

    Wenn ich darf würde ich gern auf unsere Facebook-Gruppe „Ich habe ein Schreibaby-24-Stunden-Baby-Kolikbaby“ hinweisen. Der Titel wurde auch gewählt damit die Gruppe leichter gefunden werden kann weil Schreibaby sich nun einmal etabliert hat. Wir sind Größtenteils selbst Betroffene oder ehemals Betroffene und ein bedürfnisorientierter Ansatz ist den meisten von uns wichtig- wobei bedürfnisorientiert sich auf ALLE Familienmitglieder bezieht.

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