Soll ich wirklich Hebamme werden?

Während manche Menschen schon ganz früh den Wunsch verspüren, Hebamme zu werden, überlegen sich andere nach einem vielleicht ganz anderen bisherigen Berufsleben, diesen Weg zu gehen. Nicht selten spielen auch die eigenen Erfahrungen mit Schwangerschaft und Geburt eine Rolle.

Während man direkt nach dem Schulabschluss meist noch etwas flexibler ist, sieht das später im Leben womöglich anders aus. Der Schritt zur Bewerbung für die Ausbildung bzw. das Studium muss noch mal anders durchdacht werden, wenn man bereits im Berufs- oder Familienleben steht. Immer wieder werde ich dazu gefragt von Leserinnen. Darum möchte ich mal generell ein paar Überlegungen und Tipps dazu teilen.

Was machen Hebammen eigentlich so?

Um wirklich einen Eindruck von der Hebammenarbeit zu bekommen, ist ein Praktikum sicherlich der beste Weg. Viele Hebammenschulen und Hochschulen, in denen man Hebammenkunde studieren kann, setzen ein Praktikum bei der Bewerbung voraus. Da ein großer Teil der praktischen Ausbildung in der Klinik stattfindet, ist es sinnvoll, genau hier in einen Einblick in die Hebammenarbeit zu gewinnen. Denn auch wenn wir als Hebammen im Kreißsaal die gleichen Wünsche haben wie in der garantierten 1:1-Betreuung im außerklinischen Bereich, läuft in der Klinik doch einiges anders. 

Ideal wären ein Klinikpraktikum und ein Praktikum bei einer außerklinischen Hebamme oder im Geburtshaus, um einen umfassenden Einblick in die möglichen Arbeitsbereiche inklusive der Betreuung vor und nach der Geburt zu bekommen. Aber in der Realität sind diese Plätze knapp. Auch deshalb, weil bereits die auszubildenden bzw. studierenden Hebammen im Rahmen ihrer praktischen Ausbildung die praktizierenden Hebammen begleiten. Und so Kapazitäten binden. Und natürlich muss in diesem Rahmen das Recht auf Intimität und Privatsphäre der Eltern gewahrt werden. Es sollen nicht ganz viele zusätzliche Personen mit im Gebärraum oder beim Wochenbettbesuch anwesend sein. 

Das alles macht es mit den Praktikumsplätzen bei Hebammen oft schwierig. In manchen Häusern sind kürzere Praktika möglich. Andere wiederum nehmen lieber Praktikantinnen für einen längeren Zeitraum. Auch das muss man erst mal organisieren, wenn man bereits einen anderen Beruf oder eben kleinere Kinder zu versorgen hat. Darüber hinaus ist es natürlich auch sinnvoll, sich auf allen anderen Wegen über den Beruf zu informieren: Literatur, Blogs oder Social-Media-Kanäle von und über Hebammen sind ein guter Anfang. Was Hebammen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und in der Zeit danach tun lässt sich auch auf diesem Blog nachlesen.

Hebamme – der schönste Beruf der Welt?

Das Bild von der Hebammenarbeit ist gesellschaftlich sehr positiv besetzt. Und ja, tatsächlich ist es auch sehr bereichernd, Familien am Lebensanfang so intensiv begleiten zu dürfen. Aber weder Schwangerschaft, noch Geburt und Wochenbett verlaufen immer rosig. Hebammenarbeit bedeutet auch, sich mit Schmerz, Krankheit, Angst, Verlust, Trauer und auch dem Tod auseinanderzusetzen. Und zwar so, dass Eltern gerade in diesen sehr besonderen Situationen gut betreut sind. 

Durch meine vorherige Arbeit als Krankenschwester war mir das Thema Sterben und Tod bereits vertraut. Allerdings ist die Konfrontation damit im Hebammenalltag noch mal eine andere. Denn hier soll doch eigentlich das Leben beginnen. Die schweren und traurigen Situationen sind zum Glück deutlich in der Unterzahl. Aber es ist eben auch ein ganz wichtiger Aspekt der Hebammenarbeit, Frauen und Familien auf diesen besonders schweren Wegen gut zu begleiten. 

Zudem ist Hebammenarbeit generell emotional immer wieder sehr anstrengend. Situationen im Kreißsaal und auch in der häuslichen Betreuung nimmt man nicht selten mit nach Hause. Ebenso wie miterlebtes Glück und große Freude und Zufriedenheit.

Hebamme ist man auch am Wochenende und nachts

Eine große Herausforderung können auch die Arbeitszeiten von Hebammen sein. Denn egal, ob im Kreißsaal oder in der Freiberuflichkeit: Hebammenarbeit kennt keine Sonn- und Feiertage. Natürlich gibt es Möglichkeiten, sich die Arbeitszeiten später zu organisieren, so dass man auch mal frei hat. Aber generell gehört eben auch die Arbeit am Wochenende mit dazu.

Schichtdienst und Rufbereitschaft sind ebenso fester Bestandteil der Geburtsbegleitung. Denn geboren wird rund um die Uhr ohne Zeitplan. Wenn im Rahmen eines Praktikums die Möglichkeit besteht, im Schichtsystem zu arbeiten, sollte man die Gelegenheit nutzen. Denn auch in der Ausbildung wird der größte Praxisteil im Drei-Schicht-System in der Klinik stattfinden.

Das ist übrigens nicht nur eine Herausforderung für einen selbst, sondern auch für die eigene Familie, die dann Weihnachten auch mal ab mittags „allein“ unter dem Baum sitzen wird. Kinderbetreuung und Schichtdienst sind auch nicht so leicht zu vereinbaren. Um 5:45 Uhr morgens hat kaum eine Kita auf. Das heißt, dass man besser vorab die organisatorischen Herausforderungen überlegt – gerade wenn man selbst noch kleinere Kinder hat. Auch wenn man später „nur“ Wochenbettbetreuung anbietet, wird das immer wieder dazu führen, dass private Pläne über Bord geworfen werden müssen, weil Kinder früher kommen oder der Milchstau keinen Feiertag kennt. Wer sehr klar geregelte Arbeitszeiten bevorzugt, sollte sich das gut überlegen.

Hebammen lernen ein Leben lang

Auch wenn sich viele Kolleginnen am Ende der Ausbildung bzw. des Studiums ein wandelndes Hebammenkundebuch fühlen, hört das Lernen danach nie wieder auf. Allerdings ist in der Ausbildung das neben dem Schichtdienst zu bewältigenden Lernpensum schon extrem hoch. Neben den Präsenzzeiten in der Hochschule muss natürlich auch noch zu Hause viel gelernt und ausgearbeitet werden. Geprüft wird eine Hebamme schriftlich, mündlich und praktisch.

Hebammen unterliegen entsprechend ihrer Berufsausbildung einer Fortbildungspflicht, so dass das Lernen ein Leben lang weiter geht. Und im Hebammenalltag lernt man bei jeder Betreuung dazu, denn jede Familie ist individuell. Diesen Aspekt empfinde ich als besonders bereichernd. Langweilig jedenfalls ist mir bei meiner Arbeit als Hebamme in bald zwanzig Berufsjahren noch nie gewesen.

Hebammen zahlen ihre Miete nicht mit Dankbarkeit

Auch wenn ich immer wieder Hebamme werden würde, muss man realistisch sagen, dass die Verdienstmöglichkeiten in anderen Berufen sicherlich besser sind. In der Klinik unterliegt man genau wie die Pflegeberufe den Tariftabellen des Hauses. Dass diese Personalgruppe im Gesundheistwesen in Bezug auf ihre Verantwortung, die hohe Belastung und die schwierigen Arbeitszeiten nicht besonders gut bezahlt ist, ist kein Geheimnis.

Freiberuflich unterliegt die Bezahlung der Hebammengebührenordnung, die in vielen Punkten tatsächlich nicht wirklich angemessen ist. Anders als andere Freiberufler können Hebammen ihre Preise nicht selbst gestalten. So wird man wahrscheinlich für seine Yoga-Stunde in der Freizeit immer deutlich mehr bezahlen, als eine Hebamme für eine Stunde Geburtsvorbereitung von der Kasse erstattet bekommt. Was den Kassensatz zusätzlich deutlich senkt, sind die hohen Lohnnebenkosten wie die Haftpflichtversicherung. Aber auch QM-Auflagen oder die Fortbildungspflicht kosten Geld. Je weniger man freiberuflich dann später arbeitet, umso teurer wird der Spaß. Hebammenpraxen und Geburtshäuser müssen meist über die Hebammenarbeit hinaus gut ausgelastet sein, etwa mit anderen Kursangeboten, damit sich das Gesamtkonstrukt rechnet.

Hebammen haben vielfältige Möglichkeiten, ihren Beruf freiberuflich oder angestellt oder als Kombination dessen auszuüben. Aber finanziell gibt es sicherlich „atrraktivere“ Berufe. Gerade am Anfang des Berufslebens fühlt man sich oft noch von der Dankbarkeit der Eltern „bezahlt“. Aber natürlich müssen auch Hebammen ihre laufenden Lebenshaltungskosten mit ihrer Arbeit zahlen können. Gerade wer einen Berufswechsel plant, sollte auch diesen Aspekt mit in seine Überlegungen fließen lassen. Auch wenn Tarife und Gebührenordnungen immer wieder neu verhandelt werden, sind die Anpassungen doch meist eher klein.

Und trotz der hier aufgeführten nicht immer nur rosigen Hebammenrealität, würde ich auch heute diesen Beruf sofort wieder ergreifen. Längst weiß ich, dass ich mit Christian einen „Hebammenmann“ an meiner Seite habe, der den Beruf genauso schätzt und mich deshalb zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten unterstützt. Denn Familie und Freunde tragen das Hebammesein immer ein Stück weit mit.

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