Stillstreik – zwischen Brustverweigerung und Abstillwunsch

Der Begriff Stillstreik ist nicht wirklich ein medizinisches Fachwort. Und doch haben die meisten Stillberaterinnen oder Hebammen eine konkrete Vorstellung von der Situation, wenn sich eine Stillende mit diesem Problem an sie wendet. Mit Stillstreik ist in der Regel nicht gemeint, dass eine Mutter genervt vom Stillen in den Streik geht. Denn dem mütterlichen Abstillwunsch sollte natürlich niemand mit einem Generalstreik, sondern einem sanften Abstillweg für Mutter und Kind begegnen. 

Der Streik geht also hierbei vom Baby aus. In der Babyzeit sind kleine Menschen unbedingt noch auf die Ernährung in Milchform angewiesen. Beikost ergänzt lange Zeit nur das Stillen oder das Füttern mit Pre-Nahrung bei nicht (mehr) gestillten Kindern.

Es ist also sehr normal und sinnvoll, dass Babys in dieser Zeit auch ihre hauptsächliche Nahrung saugend zu sich nehmen wollen. Die Bezeichnung Säugling löst nicht nach dem sechsten Monat der Begriff „Beiköstling“ ab. Säugling heißt ein Kind durchgehend im ganzen ersten Lebensjahr, auch wenn es parallel Brei mit dem Löffel oder Fingerfood mit den Händen isst.

Das ist wichtig zu wissen um zu verstehen, dass sich ein Baby nicht einfach mal so eben im 5. oder auch im 9. Lebensmonat abstillt. Immer wieder aber erhalten Stillende diese Falschinformationen, wenn sie anderen, auch Fachpersonal, erzählen, dass das Baby plötzlich von heute auf morgen die Brust verweigert. Natürlich gibt es ein vom Baby ausgehendes Abstillen. Der Begriff Baby-led weaning erklärt genau diese vom Kind geleitete Entwöhnung. Im jeweiligen individuellen Tempo reduziert das Kind nach und nach die Stillmahlzeiten. Entsprechend wird es mehr und mehr vom Familientisch essen.

All das passiert nicht von heute auf morgen

Auch Trost, Geborgenheit oder Unterstützung beim Einschlafen wird es auf andere Art und Weise als beim Stillen erfahren. Und irgendwann wird es gar nicht mehr Stillen wollen. Da Stillen ein Prozess zwischen Kind und Mutter ist, bestimmt natürlich auch ihr Verhalten, wie dieser allmähliche Abstillprozess verläuft. Aber klar ist: All das passiert nicht von heute auf morgen.

Bei einem Stillstreik ist aber genau das meist der Fall: Das Baby verweigert plötzlich die Brust komplett oder es saugt kurz an und lässt sie dann empört schreiend los. Der Stillstreik tritt auch manchmal nur zu  bestimmten Tageszeiten auf. Typisch ist, dass nachts das Stillen noch prima klappt, aber am Tag ein einziger „Kampf“ ist.

So eine Situation, egal ob man sie Brustverweigerung, Brustschimpfphase oder eben Stillstreik nennt, ist enorm belastend. Besonders für die Mütter, denn die elterliche Urangst, dass das Kind verhungern könnte, wird besonders in der Babyzeit ganz schnell aktiviert. Deshalb ist es absolut richtig, sich auch bei einem kurzen Stillstreik schnell Hilfe zu holen. Neben der mentalen Belastung ist nämlich auch die Brust schnell überfordert, wenn sie keinen Abnehmer findet. Die Kombination aus psychischem Stress und unzureichender Entleerung ist sehr begünstigend für die Entwicklung eines Milchstaus.

Wenn das Baby plötzlich nicht mehr an der Brust trinkt

Neben Beruhigung und unterstützendem Zuspruch, dass sich die Situation lösen lassen wird, sind nun drei Sachen wichtig:

  • die Suche nach den Ursachen
  • die Entleerung der Brust und eine stillfreundliche Versorgung des Babys mit Muttermilch
  • Stillversuche ohne Stress und Druck

Alles wird gut: Wenn das Baby plötzlich nicht mehr an der Brust trinken möchte, löst das bei der Stillenden große Verunsicherung bis hin zu richtiger Hilflosigkeit aus. Deshalb besteht Hilfe auch darin, ihr wieder Zuversicht zu geben, dass das Problem lösbar sein wird. Was die Beruhigung angeht, ist es wichtig, auch das andere Elternteil oder aufgeregte Verwandte und Freunde mit einzubeziehen. Denn das gut gemeinte, schnell besorgte Fläschchen mit industriell hergestellter Säuglingsnahrung ist eben nicht die beste Lösung in dieser Situation. Ganz im Gegenteil kann damit ein Rattenschwanz an neuen Problemen folgen.

Manche Stillende fühlt sich auch abgelehnt von ihrem Kind und hegt vielleicht sogar Zweifel an ihrer Mutter-Kind- Beziehung. Auch diese Gefühle dürfen und sollen Raum bekommen. Es geht meist weit über die Sorge „Mein Kind bekommt nicht genug Nahrung“ hinaus, wenn es plötzlich zu einem Stillstreik kommt.

Wann tritt die Brustverweigerung auf?

Ursachenforschung: In der Stillberatung gibt es eine ganze Reihe von Standardfragen, um einer Ursache der Brustverweigerung auf die Spur zu kommen. Auch der Zeitpunkt des Auftretens kann schon auf eine mögliche Ursache hinweisen. Es gilt auch hier noch mal zu unterscheiden, ob die Brustverweigerung im frühen Wochenbett, also unmittelbar nach der Geburt oder zu einem späteren Zeitpunkt auftritt. Hat das Baby nur wenige Male oder noch gar nicht effektiv an der Brust getrunken, liegen hier in der Regel andere Ursachen zugrunde als in der späteren Stillzeit. Mögliche Gründe sind hier zum Beispiel:

  • Trennung von Mutter und Kind postpartum
  • Erschöpfung nach einer einer schwierigen Geburt
  • Auswirkungen von Medikamenten unter der Geburt
  • Irritationen etwa durch forciertes Absaugen von Fruchtwasser, generell zu viel Manipulation oder Druck (auch bei der Stillhilfe)
  • Nichtbeachtung der frühen Hungerzeichen des Kindes
  • Anwendung von künstlichen Saugern
  • Schmerzen oder Übelkeit beim Baby
  • Erkrankungen oder anatomische Besonderheiten der Mutter oder des Babys
  • eine zu große Milchmenge kann das Baby so überfordern, dass es die Brust ganz ablehnt

Hat ein Kind bereits mehrere Wochen oder auch Monate gut an der Brust getrunken und verweigert dann plötzlich das Stillen, kommen in der Regel andere Gründe dafür in Frage:

  • Geschmacksveränderungen der Muttermilch etwa durch Wiedereinsetzen der Menstruation, Medikamenteneinnahme oder blutige Mamillen 
  • Baby reagieren bisweilen sehr sensibel auf geruchliche Veränderungen etwa durch Körperpflegeprodukte, Parfüme oder Salben
  • Auch Stress der Mutter oder innerhalb der Familie kann Auswirkungen auf das Stillen haben
  • Bei Zahnungsbeschwerden, beginnenden Infekten oder nach Impfungen lassen sich immer wieder temporäre Stillstreiks beobachten

Die Liste möglicher Ursachen ist noch wesentlich länger als die hier exemplarisch aufgeführten Beispiele. Eine gründliche Stillanamnese führt oft auf die richtige Spur. Aber manchmal findet man trotz alldem keinen ersichtlichen Grund.

Nahrungszufuhr fürs Baby sichern

Muttermilch entleeren und stillfreundlich füttern: Egal ob die Ursache nun gefunden und behoben werden kann oder nicht, zur akuten Hilfe gehört immer, der Stillenden zu zeigen, wie sie ihre Milchproduktion aufrecht erhalten und die Brust entleeren kann. Zum einen ist so die Milchbildung weiterhin gesichert und auch das Auftreten eines Milchstaus verhindert. Für das Baby bedeutet es, dass die Nahrungszufuhr weiterhin gesichert ist, auch wenn es die Muttermilch temporär erst mal auf einem anderen Weg bekommt.

Die Muttermilch lässt per Handentleerung oder mittels einer Milchpumpe gewinnen. Damit das Baby in Sachen Saugen nicht noch weiter irritiert wird, empfiehlt es sich, die Muttermilch per Becher oder Löffel zu füttern. Auch auf den Einsatz eines Beruhigungssaugers sollte man in dieser Zeit besser verzichten – solange, bis sich das Stillen problemlos (wieder) eingespielt hat.

Ein klassischer Stillstreik hält meist nur kurze Zeit an. Es gilt meist „nur“ eine sehr überschaubare Zeit zu überbrücken. Bei einer Brustverweigerung unmittelbar nach der Geburt muss natürlich auch geschaut werden, wie sich die Situation entwickelt. Bei einer länger anhaltenden Phase, in der das Baby nicht direkt an der Brust trinkt, ist es sehr wichtig, die individuellen Ressourcen der Mutter gut im Blick zu haben. Ebenso ist hier Einsatz von guten Hilfsmitteln sinnvoll, die die Mehrfachbelastung aus Stillversuchen, Abpumpen und Feeden etwas abfedern.

Steigender Stresspegel

Entspannte Stillversuche und Brustkontakt: Wenn sich das Baby schon mehrfach nicht an die Brust legen ließ und vielleicht auch schreiend sein Unbehagen gezeigt hat, steigt der Stresspegel schon beim Gedanken an die nächsten Stillversuche. Darum hilft es über die Situation zu reden, um sie zunächst erst einmal annehmen zu können.

Es ist sinnvoll,  eine möglichst entspannte Gesamtsituation zu schaffen. Wo ist der Lieblingsstillplatz der Mutter? Welche Position mag das Baby am liebsten? Was trägt generell zu Entspannung und Wohlbefinden bei? Natürlich sollten auf die Hungerzeichen des Babys im Blick sein, damit das Timing beim nächsten Versuch möglichst stimmig ist.

Wichtig ist auch, zunächst keine zu konkrete Erwartung an den Stillversuch zu haben. Ja, optimalerweise beginnt das Baby wieder zu saugen. Vielleicht aber kuscheln Mutter und Kind einfach erst einmal miteinander Haut an Haut. Entspannter Brustkontakt kann ebenso als erster kleiner Erfolg gefeiert werden wie das direkte Stillen. Viele Kinder lassen sich bei einem Stillstreik dennoch gut im Halbschlaf anlegen. Das sollte unbedingt ausprobiert werden. Ebenso wie wechselnde Stillpositionen oder zum Beispiel mal bei einem gemeinsamen Wannenbad entspannt dem Baby die Brust anbieten. Direkter Hautkontakt ist in der späteren Babyzeit ebenso wertvoll wie in den ersten Tagen, um das Kind zum Stillen zu animieren.

Es gibt nicht den klassischen Stillstreik

Wenn natürlich behebbare Ursachen existieren, sollten diese möglichst behoben werden. Kann ein Baby etwa wegen einer zu verschnupften Nase nicht trinken, kann die kurzzeitige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen sinnvoll sein. Manchmal bezieht sich der Stillstreik auch nur auf eine Brustseite. Dann ist das einseitige Anlegen auch über längere Zeit möglich, während auf der anderen Seite die Milchbildung per Handentleerung oder Pumpe aufrechterhalten wird.

Es gibt also nicht den klassischen Stillstreik, sondern viele verschiedene Formen der Brustverweigerung mit sehr unterschiedlichen Ursachen. Was in allen Situationen gleich ist, ist die Sorge der Eltern. Darum ist hier die Empfehlung, sich rasche Unterstützung in Form einer Stillberatung zu suchen. Und nicht aus Verzweiflung voreilig zum Fläschchen zu greifen, was unter Umständen weitere nicht beabsichtigte Schwierigkeiten nach sich zieht. In den allermeisten Fällen lässt sich ein Stillstreik nach recht kurzer Zeit (die in der Situation gefühlt endlos erscheint) auflösen und bedeutet eben nicht das ungeplante Abstillen.

Auch bei nicht gestillten Kindern kann es übrigens immer wieder mal Situationen geben, in denen plötzlich die Flaschenmahlzeit verweigert wird. Und natürlich ist es auch beim „Fläschchen-Streik“ genauso wichtig, dass die Familie rasche Hilfe bekommt. Denn die Situation „Mein Baby isst nix“ besorgt alle Eltern gleichermaßen – egal in welchem Setting sie auftritt.

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