Die Gebärperformance oder: Kopf aus, Baby raus!

Viele Kolleginnen haben sie in ihrem Geburtsvorbereitungskurs-Repertoire: die Gebärperformance, die den werdenden Eltern zeigen soll, wie sich Frauen unter der Geburt verhalten und anhören könnten. Eine jeweils simulierte Wehe in der Eröffungs bzw. Übergangsphase sowie beim Endspurt gibt einen kurzen Einblick in das Geburtsgeschehen. Aber warum machen wir das eigentlich? Wenn es mit der Schauspielkarriere nicht klappt, wird man halt Hebamme und lebt sich in Kursen aus? Ich bin ja insgeheim immer noch stolz auf den wohlwollenden Zuruf „Schauspielschule!!“ eines bekannten deutschen Jungschauspielers, der mit seiner schwangeren Freundin in einem meiner Kurse saß…

Aber nein, es hat einen tatsächlichen Hintergrund, warum Hebammen dies tun. Eine Geburt ist eine Situation, die sich die meisten Eltern trotz aller Information nicht so recht vorstellen können. Das Bild, was uns im Fernsehen vermittelt wird, kratzt tatsächlich nur an der Realität. Viele der heutigen Schwangeren waren also noch nie bei einer Geburt dabei, ebenso geht es ihren Partnern. Und dann kommt dieser große Tag und Männer erleben ihre Partnerinnen in einem ganz anderen Zustand und fühlen sich wahrscheinlich ziemlich hilflos dabei.

Aber auch für uns Frauen, die meistens ihr Leben sehr geordnet und kontrolliert leben, ist es nicht leicht, den Kopf auszuschalten und sich auf das einzulassen, was da im Körper geschieht. Aber das ist das Wichtigste für ein gutes Voranschreiten der Geburt: sich dem Geschehen hingeben, ohne darüber nachzudenken. Deshalb dürfen, nein sollen, Frauen unter der Geburt auch laut werden. Stöhnen und Tönen unterstützt den Geburtsverlauf. Ein offener Mund sorgt für einen lockeren Beckenboden und unterstützt die Eröffnung des Muttermundes.

Bewegt euch und „Aaaht“ und „Ohht“ die Babys heraus.

Werdende Mütter sollen sich also nicht Gedanken darüber machen, wie sie möglichst leise durch die Geburt gehen, sondern wie sie das laute Atmen und Tönen für einen guten Geburtsfortschritt nutzen können. Im Geburtsvorbereitungs- oder Schwangerenyogakurs wirkt das manchmal doch eher belustigend. Das haben „Trockenübungen“ aber meistens so an sich. Aber unter der Geburt werden nicht zehn Frauen in einem Raum auf einmal laut losatmen und außerdem wird jede einzelne Frau erst dann spüren können, wie hilfreich das Ganze ist.

Und die Väter? Die haben das Ganze im Kurs schon einmal bei der Hebamme gehört und gesehen und wissen nun also, dass das alles so gut und normal ist und sie ausnahmsweise mal nix tun müssen. Wenn man Geburt mit sportlichen Höchstleistungen vergleicht, werden auch Parallelen sichtbar. Ein Gewichtheber hört sich durchaus ähnlich an, wenn er seine Kilos nach oben wuchtet.Gebärende leisten auch Schwerstarbeit. Damit die Gebärmuttermuskulatur gut arbeiten kann, braucht sie ebenso wie das Kind eine gute Sauerstoffversorgung. Das auf die Ausatmung fokussierte Atmen sorgt genau dafür und löst zudem überflüssige Anspannung im Körper. Tönen, Stöhnen, Singen oder Brüllen unter der Geburt ist Ausatmung. Die Einatmung geschieht dann ganz von allein. Und in den Wehenpausen wird dann einfach weitergeatmet wie immer und Kraft geschöpft für die nächste Wehe. Soviel zur Theorie. Die Praxis gibts im Geburtsvorbereitungskurs bzw. spätestens wenn die Geburt beginnt…

Also liebe Mütter, verhaltet euch unter der Geburt so, wie es euch gut tut. Bewegt euch und „Aaaht“ und „Ohht“ die Babys lautstark heraus. Die Männer wissen Bescheid und werden euch im besten Fall bei der nächsten Wehe daran erinnern, wie es geht. Und so laut ist das Ganze gar nicht. Bei unserer Hausgeburt im letzten Jahr, bei der ich wirklich jede einzelne Wehe laut tönend bis brüllend veratmet habe, sind weder die beiden größeren Kinder davon wach geworden, noch haben die direkten Nachbarn mitbekommen, dass ich in dieser Nacht unser Söhnchen zur Welt gebracht habe.

Autor.in dieses Beitrags

Beitrag veröffentlicht am

in

, ,

Von

Kommentare

5 Antworten zu „Die Gebärperformance oder: Kopf aus, Baby raus!“

  1. E
    Elli

    Och schade, in meinem Geburtsvorbereitungskurs gab es keine solche Performance. Hätte ich gerne mal gehört! Mich würde mal interessieren, wie unterschiedlich du Frauen „geräuschemäßig“ während der Geburt erlebst, Anja. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, zu tönen, weil „man das ja so macht“. Aber dann war ich doch bei beiden Geburten eher still, hatte auch ein großes Bedürfnis nach Alleinesein (eigentlich wollte ich nur meine Hebamme, nichtmal meinen Partner). Nur in der Austreibungsphase habe ich laut meinem Mann „geknurrt“, aber getönt oder geschrien seltsamerweise gar nicht.

    1. A
      Anja

      Liebe Elli,

      ob tönen, knurren, brüllen, stöhnen, laut oder leise atmen- alles erlebt und alles ist okay und richtig so, was sich für die Frau gut anfühlt. Es verändert sich ja auch je nach Phase der Geburt und gerade in der Übergangsphase wird es oft etwas lauter.
      Generell ist nur wichtig, dass Frauen wissen, dass all dies sein kann und darf und eben auch dem Partner oder der Partnerin keine Angst machen muss.

      Liebe Grüße,

      Anja

  2. S
    Sonja

    Ich frage mich manchmal, ob unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem schuld daran ist, dass die Meinung vorherscht, man müsse alles lernen, wissen, dominieren. Dabei wurden Babys schon immer auf die selbe Art geboren und auch jedes Tier macht von Natur aus das Richtige. Ein bisschen mehr Vertrauen in den Körper und auf unsere Instinkte (und ja, auch wir Menschen haben Instinkte!) und den Kopf mal ausschalten. Der Vergleich mit Sex gefällt mir, wer beim Sex ständig bemüht ist „alles richtig“ zu machen wird nur schwerlich Lust erfahren. Einfach Mut, auch eine Geburt kann in gewissem Sinne durchaus eine lustvolle Erfahrung sein – ich weiss wovon ich spreche, denn ich durfte vier Geburten erleben und möchte keine missen!

  3. N
    N.

    Uns hat die »Performance« der Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs tatsächlich sehr geholfen. Denn bei mir ging es recht schnell und wir konnten die Wehen nicht so richtig einordnen. Als mein Mann mich während einer Wehe etwas fragte und ich abwinke weil ich nicht antworten konnte, meinte er, ich hätte an der Stelle genau so reagiert wie es die Hebamme im Kurs vorgemacht hat. Da wusste er, dass nicht mehr viel Zeit ist 🙂

  4. A
    andrea

    liebe anja,

    mir, selbst hebamme und mutter, macht es großen spaß, deinen blog zu lesen und immer wieder zu schmunzeln…du schreibst mir aus der seele 🙂

    viele paare erzählen mir von dem geburtsschauspiel in den vorbereitungskursen ganz beeindruckt als das wichtigste und einprägsamste detail des ganzen kurses 😉 sie begründen das meist damit, dass sie in dem moment wirklich realisieren, dass es bei der geburt „ernst“ wird, eine ganz große sache mit “ echtem“ körpereinsatz“…

    tatsächlich wage ich als hebamme sogar manchmal den vergleich mit richtig „gutem“ extatischem sex, der nur funktioniert bei abgeschaltetem kopf (also egal wie ich jetzt aussehe und mich anhöre), totaler hingabe, vertrauen, sich gehen lassen und grenzerfahrung.
    und wie oft habe ich bei hausgeburten in der letzten phase, wenn die wärmende kompresse am damm oder eine kräftige massage am kreuzbein so gut tat, von der gebärenden ein gestöhntes „das ist gut“ oder „weiter so“ gehört…:-)

    in diesem sinne, frauen traut euch! es hilft und verleiht flügel!

    andrea

    ps. könnt ihr in der schwangerschaft auch fleißig üben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert