Tanja ist seit über zehn Jahren Hebamme. Zusammen mit ihrer Mutter, die ebenfalls Hebamme ist, begleitet sie in eigener Praxis Frauen rund um die Geburt. Vor der Geburt ihres ersten Kindes hat sie auch Beleggeburten begleitet. Doch aufgrund der horrenden Haftpflichtkosten und der hohen Unplanbarkeit in der Geburtshilfe kann sie diese momentan nicht mehr anbieten. Und da sie vor wenigen Tagen ihr zweites Kind geboren hat, ist momentan erst einmal Wochenbett und Stillen für die 32-jährige Hebamme angesagt. In diesem Bericht erzählt Tanja von der Geburt ihres ersten Sohnes, der mit 3600 Gramm bei 53 Zentimetern Größe und 35 Zentimeter Kopfumfang auf die Welt kam. Bei der Geburt gelang es ihr nicht immer, das „Hebammenhirn“ auszuschalten.

Ich bin seit 2005 freiberufliche Hebamme und mache auch seitdem Beleggeburten. Die Rundumbetreuung aus Beleggeburtshilfe in 1:1-Betreuung sowie die Vor- und Nachbetreuung der Familien, die ich auf ihrem Weg zur Elternschaft begleiten durfte, war das, was mich in meinem Job immer erfüllt hat. Dieser Moment, wenn ein Paar zu Eltern wird, und aus zwei plötzlich drei oder mehr Menschen werden, hatte immer einen ganz besonderen Zauber, den ich irgendwann auch selbst erleben wollte. Irgendwann mit Mitte 20 lernte ich den richtigen Mann kennen und über kurz oder lang war uns klar: Wir wollen eine Familie werden.

Das Haus war gebaut bzw. saniert. Der Hund tollte durch den Garten, Hochzeit wurde gefeiert. Ich wollte gern vor der Schwangerschaft heiraten, um voll dabei sein zu können… auch am Glas! Und was hab ich tatsächlich auf meiner Hochzeit getrunken? Genau, einen Hugo und eine Weißweinschorle! Da hab ich aber mal so richtig Gas gegeben! Jetzt fehlte nur noch das Babyglück. Aus meiner Arbeit in der Schwangerenvorsorge kannte ich all die zermürbenden Geschichten über lange Zeit unerfüllten Kinderwunsch, aufreibende Fruchtbarkeitsbehandlungen, den psychischen Druck der Misserfolge, all die Gedanken an: Wird das noch was? Werden wir jemals Eltern sein dürfen?

Da ich zutiefst perfektionistisch bin und das, was ich mir in den Kopf setze, am besten auch JETZT DIREKT und SOFORT will, plagten mich schon vor der eigentlichen „Babyherstellungsphase“ Gedanken darüber, wie ich meinen Job noch vollwertig ausfüllen soll, wenn es bei mir nicht klappen sollte. Eine Hebamme mit Kinderwunsch, tagtäglich nur von Schwangeren und Babys umgeben? Normale Arbeitnehmerinnen mit unerfülltem Kinderwunsch klagen bereit darüber, auf einmal überall nur noch Bäuche und Babys zu sehen. Wie ist das, wenn man faktisch tatsächlich jeden Tag nur Bäuche und Babys sieht!? Zum Glück wurden meine Bedenken schnell zerstreut und ich war schwanger.

„Aus ist der Traum“

An Allerheiligen hielt ich einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand und wusste erstmal gar nicht, wohin mit mir. Plötzlich ist man schwanger und auch als Hebamme überlegt man erstmal: Was bedeutet das jetzt für mich? Man fiebert und ist genau so aufgeregt, wie jede andere Schwangere auch. Gleichzeitig schaltet sich das Hebammenhirn ein und ermahnt einen zur Ruhe. Immerhin weiß man ja aus Praxiserfahrung, was bis zur 12. SSW (und darüber hinaus) so alles passieren kann. Und so kam auch der erste ordentliche Dämpfer, als morgens vor einem Ultraschalltermin zur ersten Herztonfeststellung abrupt Blutungen einsetzten. Mein erster Gedanke war „Aus ist der Traum“, aber zum Glück war beim Ultraschall alles okay und das Baby entwickelte sich zeitgerecht und gut weiter. In der Zeit der Schwangerschaft arbeitete ich mit extrem viel Freude und Elan. Irgendwie war es noch besonderer als sonst, vielleicht auch, weil man wusste, dass man auf eine Pause zusteuert.

In der 32. SSW wurde ich dann auf Grund vorzeitiger Wehen, eines verkürzten Gebärmutterhalses und eines tief stehenden, drückenden Kopfes ausgebremst und musste liegen. Ab der 36. SSW arbeitete ich dann wieder. Zeit ließ er sich dann trotzdem bis sechs Tage vor ET.

Es war ein sonniger Sonntag. Freitags hatte ich noch gearbeitet und in der Praxis alles für den Montag vorbereitet. Am Samstag und Sonntag war immer Hundeschulzeit, jeweils zwei Stunden Übungen und Hundesport. Am Samstag merkte ich auf dem Platz schon die ein oder andere andere Wehe. Abends auf dem Sofa wurde es aber wieder stiller und nachts schlief ich gut. Sonntagmorgens um Zehn fuhr ich wieder zur Hundeschule, da wurden die Wehen wieder mehr. Ich kam nach Hause, mein Mann und ich machten Mittag. Irgendwann kam meine Mutter (und Hebamme) vorbei und schaute nach dem Befund. Der Muttermund war bei vier Zentimetern und die Wehen noch sehr gut zu ertragen. Ich wollte gern noch eine Runde mit meinem Mann und Hund spazieren gehen, da das Wetter einfach einmalig schön war.

So gingen wir noch gut eine Stunde spazieren und bei unserer Rückkehr kam auch meine Mutter wieder. Der Muttermund war nun bei fünf bis sechs Zentimetern, die Wehen immer noch „easy“. Leider war das CTG schon seit einiger Zeit immer mal etwas auffällig, so das meine Mutter und eine gut befreundete, hinzugezogene Ärztin entschieden, das es besser wäre, jetzt ins Krankenhaus zu fahren und die Wehen doch etwas zu unterstützen. Sie waren sich einig, dass der Gebärmutter durch die kontinuierliche Wehentätigkeit seit der 32. SSW wohl etwas die Kraft fehlen würde. Ich – als Mutter – machte mir eher Gedanken darum, dass das Kind vielleicht einfach noch nicht raus wolle und ich wollte ihm eigentlich gern seine Zeit lassen. Gleichzeitig machte ich mir als Hebamme aber auch meine Gedanken wegen des CTGs. Mein Mann war auch der Meinung, wir sollten ins Krankenhaus. Gesagt, getan.

„N-I-C-H-T A-N-F-A-S-S-E-N“

Im Krankenhaus bekam ich einen Oxytocintropf angelegt. An sich war mir das alles völlig egal. Über die Geburt selbst hatte ich mir vorher wenig bis keine Gedanken oder Pläne gemacht, zu oft hatte ich in der Geburtshilfe erlebt, dass alles anders kommt, als man denkt. Ich hatte keine Lust, mich in Phantasien zu verlieren, die hinterher eh relativiert werden müssen, was mich dann vielleicht enttäuschen könnte. Von daher versuchte ich einfach, offen für alles zu sein. Meinem Baby ging es grade nicht so optimal, es sollte gehandelt werden, okay! Mein Mann fuhr noch kurz nach Hause, um den Hund raus zu lassen und etwas zu essen. Die Ärztin sagte ihm, er hätte noch Zeit. Aber, haha, weit gefehlt, die Rechnung hatten sie ohne meinen Muttermund gemacht!

Das Oxytocin wirkte schnell, die Wehen wurden immer regelmäßiger und häufiger und bei sieben Zentimeter sprang die Fruchtblase. Danach wusste ich schlagartig nicht mehr, ob ich Fisch oder Fleisch bin, die Schmerzintensität potenzierte sich schlagartig auf subjektiv gefühlt das Zehntausendfache. Es war eine einzige Wehe, Pausen waren nicht vorhanden. Es war unglaublich und ich hätte nie gedacht, dass es so ist, wie es ist. Ich hatte bis dato viele Geburten begleitet und habe meine begleiteten Frauen immer als tapfer und würdevoll wahrgenommen. Sie wirkten immer so eins mit sich und haben ihre Geburten so souverän gemeistert. An mir war nun absolut nichts würdevolles – und souverän war ich auch nicht mehr. Aus mir kam nur noch ein nicht enden wollender Monolog von „Ich werde wahnsinnig, ich werde wahnsinnig“.

Als meine Mutter irgendwann anmerkte, dass man so schnell nicht wahnsinnig werden würde, schwenkte ich um zu „Ich werde verrückt, ich werde verrückt“. Der Muttermund schoss nur so auf, irgendwann war plötzlich auch mein Mann wieder da. Mutter und Mann wollten mir beistehen, indem mich beide in den Arm nehmen wollten. GLEICHZEITIG! Ich schnauzte nur beide an „N-I-C-H-T A-N-F-A-S-S-E-N“. Im nächsten klaren Moment entschuldigte ich mich bei beiden, meinem Mann beteuerte ich, dass ich ihn schon lieben würde, nur halt nicht in der Wehe. Ich entschuldigte mich auch dafür, dass ich mich – so fand ich jedenfalls – absolut mimosig benahm. Ich wollte doch auch so gern würdevoll und souverän sein. Na ja, meine Zeit, um als Alabasterelfe zu glänzen, sollte ganz gewiss nicht unter der Geburt sein. Übrigens blieb mir diese Erfahrung bis dato auch in den anderen 32 Jahren verwehrt.

Der Muttermund war schlagartig vollständig, die Herztöne schlecht. Ich diskutierte mit meiner Mutter noch aus, dass sie doch einen Flüssigkeitstropf zur besseren Durchblutung – auch des Kindes – anhängen solle, da war der Kopf auch schon in der Beckenmitte. Die Ärztin kam und war wenig erfreut über das CTG. Sie sagte, das Kind müsse JETZT raus und ich solle pressen. Doof, wenn man so absolut gar keinen Pressdrang hat. Zudem konnte ich auch die Beine nicht vernünftig zu mir ziehen, da ich unglaublichen Druck hinter der Symphyse hatte. Also ging ich in die Hocke und versuchte mein Bestes. Der Kopf kam jedoch nicht gut tiefer und so entschied sich die Ärztin zu einem Schnitt und dem Anlegen einer Kiwi (Minisaugglocke). Und so wurde unter Pressen, synchronem Ziehen und Gegenhalten von oben unser Sohn um 23:23 Uhr in diese Welt geboren. Er kam nur grade eben so raus und musste, um auf meine Brust zu können, leider direkt abgenabelt werden. Die Nabelschnur war einfach viel zu kurz. Die Ärztin sagte hinterher: Ein paar Zentimeter weniger und wir wären im OP gelandet.

In dem Moment war er einfach perfekt

Mein Mann war direkt nach der Geburt unseres Sohnes kurzzeitig etwas traumatisiert und sagt heute noch „Direkt nach der Geburt sah er aus wie ein toter Fisch!“ Ich dachte nur „Ach sieh an, das ist er also!“ In dem Moment war er einfach perfekt, er war wunderschön und sah einfach strahlend, fertig und glatt aus. Betrachtet man es rückwirkend auf Fotos, sieht das Ganze schon etwas anders aus. Er war schrumpelig, blau-rot, mit verquollenen Augen. Und trotzdem war und ist er UNSER perfektes Baby. Wir hätten uns ihn nicht besser wünschen können und vom ersten Tag an hat er unser Leben, unsere Denkweise und auch mein Hebammendasein auf den Kopf gestellt.

Wir gingen nach der Geburt ambulant nach Hause, waren also vier Stunden später, mitten in der Nacht, im eigenen Bett. Ich zog meinen Sohn wieder aus und wir kuschelten weiter. Für mich war das die perfekte Kombination, Geburt mit 1:1-Betreuung im Krankenhaus, im Notfall einen mir bekannten Arzt im Hintergrund. Mein Fruchtwasser, mein Blut und die Schmutzwäsche dort lassen und fein nach Hause fahren. Ich war wie auf Drogen, konnte die ganze Nacht nicht schlafen und war wie berauscht von diesem kleinen Menschen. Babys haben aber auch einfach Suchtpotenzial. Wer schon mal am Kopf seines eigenen, neugeborenen Kindes geschnüffelt hat, weiß wahrscheinlich genau, was ich meine. Diesen Geruch hätte ich am liebsten in Flaschen abgefüllt, um ihn für immer reproduzieren zu können.

Trotz der ganzen Magie hat die erste Zeit mich und uns als Paar wirklich herausgefordert. Unser Sohn wurde trotz fehlender Blutgruppenkonstellation (Anm.d.Red.: Bestimmte Blutgruppenkonstellationen gehen häufiger mit einer verstärkten Neugeborenengelbsucht einher) und relativer Reife quittengelb. Er wurde immer schlapper, trank immer schlechter, schlief immer mehr. Ich stellte ihn, auf einer blauen Unterlage liegend, an die Sonne, weckte ihn regelmäßig, stillte ihn häufig. Nichts half, irgendwann saugte er nicht mehr richtig, was den Milcheinschuss ungenutzt an uns vorbei ziehen ließ. Wir mussten sechs Tage nach der Geburt in die Kinderklinik (mein Albtraum) zur Phototherapie, mein Baby lag Stunden im Wärmebett und ich konnte ihn nicht bei mir haben (mein Albtraum). Meine Milch wurde immer weniger, irgendwann musste eine Pumpe her, die Relaktation (Anm. d. Red.: Wiederherstellung der Milchbildung) war anstrengend und langwierig, mein Sohn war insgesamt eher trinkfaul. Wir stillten immer mindestens eine Stunde, voll bis zum 6. Monat und dann bis knapp zum ersten Geburtstag (Aufhören mussten wir wegen Blutungen in der Folgeschwangerschaft).

Mein Hebammenhirn kannte immer zig Lösungswege für all unsere Problemchen, die so anfielen. Von diesen Wegen hätte ich für Betreuungen einen möglichst optimalen herausgesucht und verfolgt. Für mich selbst konnte ich keine Prioritäten setzen und beschritt so alle Wege gleichzeitig. Rechts, links, vorne und hinten. Ein Hebammenhirn in einem Mutterkörper kann sooooo anstrengend und aufreibend sein. Dadurch, dass man es selbst erlebt hat, kann man das – nach außen – oft irrationale, aufgescheuchte Verhalten von Jungmüttern bei auftretenden Unpässlichkeiten des Kindes wohl irgendwie besser verstehen. War man doch mittlerweile selbst so oft im „Aufgescheuchte-Glucke“-Modus.

Trotz all der Steine und Steinchen im Weg war das erste Babyjahr eine magische Zeit, die ich um nichts missen möchte, von daher kam auch schnell der Wunsch nach einem zweiten Kind auf. Wer weiß, wie sich das weiter fortsetzt? Ich wollte, seitdem ich denken kann, EIN Kind, bin ich doch selbst Einzelkind und fand das nie schlimm (in direkter Nachbarschaft lebten zehn Kinder in meinem Alter und wir waren wie Geschwister und eigentlich den ganzen Tag zusammen. Und abends konnte ich meine Eltern dann exklusiv genießen. Oh sweet life!). Aber kurz nach der Geburt unseres Sohnes hatte sich mein Kinderwunsch schon von eins auf drei potenziert. To be continued…

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Kommentare

Eine Antwort zu „Wenn Hebammen Kinder kriegen: Tanja“

  1. V
    Verena Kuhlmann

    Oh, wie schön geschrieben!!! Schnief…
    Herzlichen Glückwunsch, liebe Tanja, zur Geburt!!!

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