Obwohl wir täglich sehen, wie verschieden wir als menschen doch sind, kommen Eltern immer wieder nicht daran vorbei, ihre Kinder miteinander zu vergleichen. Oder mit Kurven und Tabellen, die eine vermeintliche Norm vorgeben.
Denn wie so oft sind jene Werte und Maße, die Kurven und Wachstumstabellen vorgeben, nicht das, was der Entwicklungsplan eines jeden einzelnen Kindes vorsieht. Da gibt es die Ausschläge nach oben und nach unten. Und das beginnt schon in der Schwangerschaft. Gerade in den letzten Wochen sind zahlreiche Mütter verunsichert, weil der Ultraschall ein zu „hohes“ oder zu „niedriges“ Gewicht berechnet hat.
Natürlich kann niemand die Kinder intrauterin wiegen. Vielmehr berechnet ein Computerprogramm aus verschiedenen Maßen wie Beinlänge sowie Kopf- und Bauchumfang des Kindes ein Schätzgewicht. Alle Geburtshelfer wissen, wie beachtlich die Abweichungen zwischen Schätzgewicht und realem Geburtsgewicht sein können. Laut Ultraschall war unser drittes Baby etwa 500 Gramm leichter. Diese und auch noch viel größere Abweichungen gibt es – nach oben wie nach unten.
Die Verunsicherung der Schwangeren ist aber in beiden Fällen gleich hoch, wenn das Kind aus der Normkurve fällt. Und nicht selten folgen auch entsprechende Konsequenzen wie ein geplanter Kaiserschnitt wegen eines möglichen Missverhältnisses von Kind und Becken. Gar nicht so selten wird dann aber nicht das Vier-Kilo-Kind per Sectio geboren. Sondern ein 3200 Gramm leichtes, eher zartes Kind, das vielleicht einen etwas größeren Kopfumfang aufweist. Deshalb sollte neben der ganzen Schallerei auch noch mal eine Gewichtseinschätzung durch die Leopold-Handgriffe erfolgen. Dabei wird das Kind von außen ertastet. Es ist auch sinnvoll, mal einen Blick auf die Körpergröße der Mutter zu werfen, statt voreilige Entscheidungen zu treffen.
Laut Normwerten alles „ein bisschen zu schmal“
Früher wurde anhand der von außen ermittelten Beckenmaße der Schwangeren Aussagen zu ihrer Gebärfähigkeit getroffen. Dieses Vorgehen hat sich zum Glück nicht gehalten, denn es hat recht wenig Aussagekraft. Sowohl das Kind als auch das weibliche Becken haben unter der Geburt viele Anpassungsmöglichkeiten, die sich nicht exakt bemessen lassen. Bewegung unter der Geburt kann hier viel bewirken. Es gilt also immer einen Blick mehr auf die Gesamtsituation zu werfen, bevor ein einzelner ermittelter Wert zu weitreichenden Interventionen führt.
Genauso ist es auch nach der Geburt. Natürlich können wir da die Babys genauer wiegen und messen. Aber auch das ist immer nur ein Parameter im Gesamtgeschehen. Und nein, das regelmäßige Wiegen von Neugeborenen ist nicht überflüssig. Es zeig gerade in den ersten Tagen, ob alles entsprechend gut läuft.
Und es ist auch gut, konkrete Anhaltswerte, also Kurven und Tabellen, zu haben, an denen man sich orientieren kann. Allerdings gilt es bei Abweichungen immer ein bisschen genauer hinzuschauen. Denn auch der Allgemeinzustand und das Verhalten des Kindes sowie die Ausscheidungen sagen viel über das Gedeihen aus. So können auch Kinder, die ein bisschen außerhalb der Kurven liegen, trotzdem gut gedeihen.
Kinder entwickeln sich nicht linear
Und tatsächlich war es in den Zeiten, in denen Eltern noch nicht jedes Maß und jeder Wert ergoogelten, für Hebammen und Ärzte etwas einfacher. Denn wenn sonst alles in Ordnung war, konnte man die Eltern beruhigen, auch wenn das Wochenziel der Gewichtszunahme nicht ganz erreicht war. Heute kennen die meisten Schwangeren mehr Messwerte der einzelnen Schwangerschaftswochen auswendig als jeder Geburtshelfer. Und auch anschließend studieren sie Tabellen, die vorgeben, wann das Kind wie groß und schwer sein muss und welchen Entwicklungsschritt es vollzogen haben muss. Kinder entwickeln sich aber nicht linear. Schon in der Bauchzeit wachsen sie eher in Schüben. Und so ist das auch hinterher. Natürlich ist es wichtig, bei Abweichungen zu klären, ob andere Probleme vorliegen.
Und nichts ist besser für Eltern, wenn sie dann entspanntes, aber kompetentes Fachpersonal begleitet. Entspannt, weil diese Fachpersonen den Eltern nachvollziehbar versichern können, dass alles in Ordnung ist mit ihrem Kind, auch wenn es sich nicht an „DIN-Norm-Kurven“ hält. Kompetent, weil sie handeln, wenn Handlungsbedarf besteht. Für Hebammen und Ärztinnen ist das manchmal ein kleiner Balanceakt. Aber sofortiges Intervenieren aufgrund einer einzelnen Standardabweichung kreiert meist mehr Schaden als Nutzen.
Gehe also vorsichtig damit um, in der Schwangerschaft und Babyzeit zu viele Tabellen und Kurven zu studieren. Suche dir lieber kompetente Begleitung, die durch ihr Fachwissen dabei hilft, eure elterlichen Kompetenzen zu stärken. Und wenn doch mehr Unterstützung notwendig ist, dann die entsprechenden Maßnahmen einleitet oder an geeignete Fachleute weiter verweist.
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