Geburtshilfe in der Sackgasse

„Das sind ja 1000 Euro“, rufe ich Christian zu, als ich nachgesehen habe, wie viel mich meine Berufshaftpflichtversicherung im nächsten Jahr kosten wird. Ab Januar geht es für mich neben der Freiberuflichkeit zurück in den Kreißsaal. Als Hebamme ist man zwar über die Klinik für Geburtshilfe versichert, aber in den meisten Fällen nicht ausreichend. Das kann heißen, dass die Schadenssumme nicht hoch genug ist oder die so genannte Nachhaftungszeit nicht umfasend genug. Denn für Geburtsfehler kann man bis zu 30 Jahre im Nachhinein haftbar gemacht werden. Also sogar noch dann, wenn man vielleicht längst im Ruhestand ist. Deshalb sollte man sich gegebenenfalls zusätzlich absichern.

Diese Möglichkeit bietet für Hebammen aktuell nur noch ein Versicherer an. Für den Abschluss muss man zudem Mitglied in einem bestimmten Berufsverband sein. Das macht über 740 Euro Versicherungsprämie und 250 Euro Mitgliedsbeitrag – also fast 1000 Euro. Wenn man natürlich auf die Versicherungskosten der außenklinischen und im Belegsystem arbeitenden Hebammen schaut, ist das ein echtes Schnäppchen. Da darf ich mich eigentlich gar nicht beschweren. Andererseits bezahlt meine Freundin als Assistenzärztin in der Pädiatrie gerade mal 100 Euro im Jahr für ihre Zusatzversicherung und das bei nicht geringerer Verantwortung.

Ungewiss ist aber für alle Hebammen und werdenden Mütter weiter die Frage, wie es ab Juli 2016 weiter geht. Denn zum 30. Juni 2016 laufen erneut sämtliche Verträge mit den Versicherungen aus. Ich bin ein generell positiv denkender Mensch, aber rechne trotzdem fest mit der nächsten Erhöhung, wenn uns überhaupt noch einer versichern will. Denn so läuft es seit Jahren und das nicht nur in der außenklinischen und Beleggeburtshilfe. Da dort die Kosten aber so absurd hoch sind, spricht niemand mehr über die Steigerungen in den anderen Bereichen. Doch die haben ebenso Auswirkungen. Vor allem machen sie das Arbeiten in Teilzeit immer schwieriger, denn wenn schon ein komplettes Monatsgehalt nur für die Versicherung drauf geht, überlegt man sich zweimal, was wirtschaftlich machbar ist.

Risiken im Kreißsaal nehmen zu mit weniger Personal

Doch viele Hebammen sind in einem Alter, in dem sie vielleicht selbst kleine Kinder haben und nicht voll arbeiten können. Zudem ist die hohe Belastung im Kreißsaal in Vollzeit bisweilen gar nicht aushaltbar. Genauso betrifft es die Hebammen, die vielleicht angestellt sind und ergänzend noch Schwangeren- und Wochenbettbetreuungen machen. Die Kosten gerade für die Freiberuflichkeit stehen in keinem Verhältnis zum Verdienst. Dabei würden die meisten Kolleginnen gerne alle Bereiche ihrer Hebammenarbeit abdecken und eben nicht „nur“ in der Geburtshilfe oder „nur“ in der Wochenbettbetreuung arbeiten. Aber es ist schlicht und einfach finanziell oft nicht machbar.

Es gibt natürlich auch einige Kliniken, die ihre angestellten Hebamme umfassend genug versichern. Doch oft ist man erstaunt, dass dies nicht der Fall ist, wenn man genauer nachfragt. Denn auch eine Klinik kostet das Versichern für die Geburtshilfe sehr viel Geld, das gerade kleine Häuser immer schwerer aufbringen können. Kliniken, die viele normale Geburten haben und wenige Kaiserschnitte und nur selten behandlungsbedürftige Neugeborene sind zudem die Verlierer im System – zumindest was das Finanzielle angeht.

Das Belegarztsystem in der Geburtshilfe ist bereits jetzt schon fast ganz ausgestorben, weil hier Haftpflichtprämien bis zu 90.000 Euro im Jahr kosten können. Längst ist bekannt, dass die Kostensteigerung nicht an einer Zunahme der geburtshilflichen Schadensfälle liegt, sondern dass die Kosten pro Schadensfall so immens angestiegen sind. Das liegt auch vor allem daran, dass Sozialversicherer wie die Rentenversicherung Regresskosten einfordern, sprich einen Ausgleich dafür, dass das geschädigte Kind nie berufstätig sein wird und damit in die Rentenkasse einzahlen würde. Diese Regressforderungen machen bis zu 25 Prozent der Schadenssummen aus. Es sind also nicht alleine die Kosten für eine lange und aufwändige medizinische Versorgung eines Kindes nach einem schweren Geburtsschaden.

Auch Kliniken können nur noch unter wenigen Versicherungsanbietern wählen. Sicherlich ist das auch mit ein Grund, weshalb zunehmend mehr und mehr kleinere geburtshilfliche Abteilungen schließen.
Mit immer mehr Geburten für immer weniger Personal wird das Risiko für etwaige Schäden aber vermutlich ansteigen, denn so ist keine aufmerksame und sichere Begleitung unter der Geburt mehr möglich. Das wird die Preisspirale dann weiter nach oben treiben. Bis dann die Geburtshilfe vielleicht irgendwann gar nicht mehr versicherbar sein wird.

Es ist ein absurdes System, für das keine Lösung in Sicht zu sein scheint. Weder wurde bisher die Vergütung der Hebammen adäquat angepasst. Noch wurde die Versicherungssituation durch entsprechende Massnahmen tatsächlich verbessert. Auch für die Situation in der Klinik ist keine Lösung in Sicht.
Mir stellt sich damit die Frage: Trage ich das Ganze nicht irgendwie mit, wenn ich jetzt zu diesen Bedingungen weiter arbeite? Ich weiß gerade tatsächlich keine sinnvolle Antwort. Es geht nicht „nur“ um 1000 Euro, es geht um so viel mehr. Während ich das hier am Abend tippe, blinkt eine Nachricht auf dem iPhone auf: „Hallo Anja, kannst Du mich mal kurz anrufen? Beim CTG heute war zwar alles gut, aber ich habe so ein Ziehen seit ein paar Stunden…“. Dann mache ich mal einfach weiter. Keine Zeit zum Nachdenken.

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Kommentare

8 Antworten zu „Geburtshilfe in der Sackgasse“

  1. K
    Katharina König

    Herr Gröhe hat ein neues Sterbehilfe-Gesetz angeschoben – wie man hören konnte, auch unter dem Eindruck eigener Familienerlebnisse im letzten Jahr. Statt eines Todesfalles hätte es dort besser Nachwuchs gegeben. Dann wäre diese Debatte vielleicht schon an einem anderen Punkt.

  2. J
    Johanna

    Hallo, ich weiß nicht ob das so „gang und gäbe“ ist, aber unsere Beleghebamme hat vor drei Jahren eine „Bereitschaftspauschale“ von einigen 100 € genommen. Ich denke sie deckt damit ihre Haftpflichtversicherung ab. Für uns war das eine gute „Investition“ und es absolut wert, eine feste Bezugsperson im Kreißsaal zu haben. Sie hat später gefragt, wie hoch wir so eine Pauschale wohl noch zahlen würden, und ich habe gesagt, über 500 € würde ich es mir doch gründlicher überlegen. Aber so weit würde ich „mitgehen“. Vielleicht ist es ungerecht gedacht gegenüber ärmeren Familien, aber man kann auch an einigen anderen Stellen einsparen.

  3. K
    Katja

    Liebe Anja,
    ich saß letztens in einer Lesung von Lilly Lindner.
    Eine beeindruckende Frau, die Missbrauch, Entführung und Misshandlung und ihre eigenen Schädigungen daraus überlebt hat und jetzt in einer wunderbar Bilderreichen, ehrlichen und klaren Sprache darüber schreibt und Performances gibt.

    ich saß da, musste am Ende, als sie dem Publikum Fragen stellte aufstehen und mich bekennen- ja, ich weiß, wie sich Schmerz anfühlt, der Menschen zerschmettert.

    Nein, ich bin nicht als Kind missbraucht worden.
    Ich habe „nur“ ein Kind geboren.
    Oder bin ich entbunden worden?
    In jedem Fall erlebte ich am Tag der Geburt meines ersten Kindes Entmündigung, Entwürdigung, Respektlosigkeit, Verstümmelung und Vergewaltigung.
    Auch nach der Geburt meines Kindes musste ich Respektlosigkeit, Ignoranz und Missachtung erleben.
    Ich habe „überlebt“ – hatte aber eine postnatale Depressionen, posttraumatische Störungen, an Sex war nicht zu denken und ich werde mein Leben lang mit meinen Schäden leben.

    Dann begann ich eine Hebammenausbildung.
    Und sammelte weitere Traumata, Bilder und Schrecken:
    Respektlosigkeit, Missachtung von Menschenrechten, Übergriffe, Beleidigungen, Lügen,
    Erpressung, Entwürdigung, Auslachen, Verstümmelung…
    Im OP erlebte ich unglaubliche Missachtung von Würde und Integrität speziell von nicht gertenschlanken Frauen, dass ich erneut traumatisiert wurde.

    Nach der Ausbildung arbeitete ich in meinem Ausbildungskreißsaal und versuchte, anders zu begleiten:
    ich konnte vieles verhindern, wurde auch zur Mittäterschaft gezwungen.
    Musste aber auch Anfeindungen deshalb aushalten,
    es gab eine Kollegin die mir regelmäßig ungefragt einen Arzt in „meinen“ Kreißsaal schickte, wenn sie auf dem Monitor zu sehen meinte, dass das Kind komme- ich rufe ja sonst immer zu spät.
    Ich müsse für die Hebammenschelerinnen ein Vorbild sein.
    Dass ich unter anderem auch deshalb oft eher spät gerufen habe, konnte sie nicht verstehen.

    Mein zweites Kind wurde zuhause geboren-auch diese Hebamme war nicht achtsam und respektvoll (sie war die Vertretungshebamme) sondern übergriffig und nicht hilfreich – ich musste wegen Blutungen und weil die Plazenta nicht kommen wollte ins nahe gelegene Krankenhaus-mein Ausbildungshaus- der Oberarzt verdrehte nur die Augen, schnauzte mich an, was ich jetzt hier wolle, currettierte mich (obwohl es nicht mehr nötig war!!!) „zur Sicherheit“ und bescherte mich mit Antibiotikagaben intraoperativ die ich ausdrücklich verweigert hatte Pilzinfektionen im Wochenbett.
    Ob übrigens der nicht mehr intakte Muskulus Bulbocavernosus verursacht ist durch eine Schlechte
    Naht der Riesigen Mediolateralen Episiotomie bei der Zangengeburt beim Ersten Kind oder durch eine schlechte Naht des DR II beim zweiten Kind (Oberarzt!) ist nicht bekannt.

    Mein Drittes Kind durfte ich ohne erneute Traumata gebären. Dafür bin ich meinen beiden Hebammen noch heute unendlich dankbar- 18 Tage nach dem errechneten Termin wurde ein Kind mit über 5kg Gewicht liebevoll und respektvoll begleitet zuhause geboren.

    Warum ich das alles erzähle?
    Niemand wird Lilly Lindner absprechen, dass sie unschuldig Opfer von grausamen Taten geworden ist.
    Auch ich nicht. Und ich bewundere Sie für ihre Kraft, ihre Geschichte laut zu erzählen, über ihre Schmerzen, Verletzungen und Kämpfe zu schreiben und Botschafterinnenaufgabe zu übernehmen.

    Aber wer nimmt wahr, dass jeden Tag mehrfach und Deutschlandweit (Weltweit!) Frauen grauenvoll misshandelt, missachtet und entwürdigt werden während sie gebären möchten?
    Die Gewalt in der Schwangerenbetreuung, Geburtshilfe und Betreuung Junger Eltern und Kinder wird negiert.
    Ich fühle mich nicht gesehen in meiner Wut darüber.

    Und wenn ich mit einem Gynäkologen telefoniere, der sich ganz neu einfallen hat lassen, seinen Kundinnen zu sagen, er betreue sie nicht mehr, wenn sie eine Hausgeburt oder Geburtshausgeburt mit unserem Team haben möchte,
    und ich ihn frage, ob wir über die Fälle, die ihn beunruhigen sprechen um zu klären, warum wir so arbeiten wie wir es tun (unsere Statistik ist gut, wir arbeiten nach Möglichkeit Evidenzbasiert, leben QM, machen reichliche Fortbildungen, müssen und wollen uns nicht verstecken und haben immer Gesprächsbereitschaft signalisiert) und er Ablehnt mit den Worten:
    „Das interessiert mich überhaupt nicht“
    Dann fühle ich mich getreten und missachtet.
    Würde er auch in einer der umliegenden Kliniken anrufen, die allesamt katastrophale Personalzustände haben und dementsprechend katastrophale Geburtshilfe betreiben müssen?
    Nein.
    Rechtfertigen sollen wir uns.
    Soll ich mich.
    Ich tue meine Arbeit mit dem Hintergrund, dass ich Frauen und Kinder vor dem beschützen möchte, was mir passiert ist. Ich hinterfrage alles was ich tue und nicht tue.
    Erkläre, Frage, unterstütze beim Finden des eigenen Weges und versuche den Raum zu schaffen, dass Abenteuer Geburt und Familienwerdung heile und kraftvoll zu erleben möglich ist.
    Ich suche mein Wissen ständig zu mehren, ich beobachte genau, ich minimiere Risiken wo immer ich es kann.
    Die Evidenzen und unsere eigenen Zahlen sprechen ausschließlich FÜR unsere/meine Arbeit.
    Und trotzdem muß ICH mich rechtfertigen und kämpfen?

    Ich habe überhaupt nichts dagegen, mich zu rechtfertigen, Fragen zu beantworten und alles zu hinterfragen.
    Aber ich empfinde es als unbegreifliche Ungerechtigkeit, dass die, die erwiesenermaßen unnütze, schädliche und fragwürdige Praktiken wiederholen, weitergeben und einfordern sich eben
    NICHT rechtfertigen müssen.

    Kaum eine Intervention, die in der Geburtshilfe alltäglich ist wird wissenschaftlich qualitativ und Quantitativ beurteilt, geforscht, erfragt…
    ich wünsche mir so sehr, dass Wahrgenommen wird, was hier passiert,

    wünsche mir sehr, dass Bücher wie
    „Gewalt unter der Geburt“ von Christina Mundlos gelesen und wahrgenommen werden und und Veränderung ermöglichen.
    Denn wenn wir ehrlich sind:
    es geht zunächst ums Geld,
    dann geht es noch um Ehrenkäsigkeit
    und um Glaubenssätze.

    Ein weißer Kittel macht nicht einen Engel und Lebensretter aus.
    Zum Leben schützen gehört Menschenliebe, Respekt vor dem Leben und der Unversehrtheit von Mutter und Kind, viel viel Wissen und immer wieder der Willen, sich individuell auf diese Frau und dieses Kind zu fokussieren.
    Und der Glauben in die Kraft der Natur.
    Bevor wir etwas tun, was in die Natur eingreift (die seit Jahrmillionen erfolgreich funktioniert hat)
    müssen alle Gefahren und Schädigungen genau geprüft werden.
    Denn zunächst geht es darum niemandem zu schaden
    niemanden unnötig zu verletzen und
    Leben, Leib und Seele zu schützen.

    Ich möchte gesehen werden.

  4. C
    Christine

    Liebe Anja,

    Neulich sah ich im Fernsehen die beeindruckende Menschen hautnah Reportage über Anna Rockel Loenhoff. Das passt jetzt nur indirekt zu diesem Post, aber ich musste doch daran denken, wenn es um das Thema Haften für (vermeintliche?) Geburtsfehler geht .. Was empfindest Du bei ihrer Geschichte? Ich habe selbst auch zu Hause entbunden mit einer Hebamme .. ohne Versicherungen oder Verträge, es war auf einer Vertrauensbasis (wir leben im nicht-europäischen Ausland, hier läuft der Hase noch einmal ganz anders). Sehr schwieriges Thema jedenfalls…

    Liebe Grüße
    Christine

  5. G
    Gesche

    Ich bin meinen beiden Hebammen auch so sehr dankbar. Gott sei Dank konnte ich noch eine Hebamme finden, die zuhause entbindet. Wir hätten uns keine schönere und entspanntere Geburt vorstellen können. Im Krankanhaus wäre es sicherlich ein Kaiserschnitt geworden und ich denke schon, dass sich das negativ ausgewirkt hätte. Hebammen sind so viel wert und leisten so viel!

  6. D
    Daniela

    Ich bin meinen Hebammen so dankbar. Sowohl der Hebamme, die mich bei meinen Geburten betreut hat, als auch meiner Hebamme während der Zeiten im Wochenbett. Nach jedem ihrer Besuche im Wochenbett habe ich mich besser und sicherer gefühlt! Was hätte ich bloß ohne sie getan! Der Job ist völlig unterschätzt, genauso wie der Job der Erzieherinnen!

  7. L
    luisa

    ohne Hebamme wäre mein Leben ein anderes. Ich hatte komplikationen wärend der Geburt. Die wurden dank einer 1:1 Betreuung früh genug entdeckt so das nichts schlimmes passiert ist. Nach der Geburt hatte ich probleme zu stillen. Auch das konnte ich mit hilfe einer Hebamme lösen. Aleine hätte ich wahrscheinlich Fläschchen gegeben.
    Dann hatte ich noch probleme mit der Rückbildung, das sich die Gebärmutter nicht gut zurückbildet und eine Infektion droht hat meine Hebamme auch früh erkannt und mir konnte schnell und einfach geholfen werden.
    Also zusammenfassend kann ich sagen: das Leben meines Kindes, meine Gesundheit, und die gute Bindung zu meinem Kind verdanke ich meiner Hebamme. Ich vestehe nicht das die Gesellschaft dies nicht will. Das es Politisch keine unterstützung gibt. Das ist mir wirklich ein Rätsel!

  8. R
    Rese

    Liebe Anja,
    So geht es mir auch. Bitte nicht zu viel darüber nachdenken… Sonst bekomm ich wirklich einfach nur noch Angst. Existenzangst.

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