Im Rahmen meiner Hebammenausbildung ist mir das Thema Windelfrei nicht über den Weg gelaufen, obwohl es so naheliegend ist. Dann begegneten mir die ersten Mütter im Rückbildungsgymnastikkurs , die mit ihrem Kindern zum Abhalten zwischendurch auf dem WC verschwanden anstatt zu wickeln. Trotzdem war das Thema doch eher unpopulär. Das hat sich in den letzten Jahren vor allem Dank der Arbeit von Nicola Schmidt und ihrem umfassenden Blog zum Thema Windelfrei doch sehr geändert hat.
Später hatte ich mich aus beruflicher Neugierde schon ganz gut in das Thema eingelesen und auch auf Elternebene gute erste Erfahrungen machen können. Die Feinzeichen, mit denen ein Neugeborenes signalisiert, dass es mal muss, kannte ich gut aus der Wochenbettbetreuung.
Das vielleicht zappelige oder zart grunzende Kindchen, das sich genau dann entleert, wenn es nackt auf dem Wickeltisch liegt – es ist eine Art Klassiker. Deshalb habe ich mir schon seit Jahren angewöhnt, lieber seitlich vom Wickeltisch zu stehen, wenn die Mütter ihre Kinder zum Wiegen ausziehen. Windelfrei-Eltern reagieren auf diese Feinzeichen, in dem sie ihr Baby entsprechend abhalten. Abhalten heißt, dass das Baby so gehalten wird, dass es sich in ein dafür vorgesehenes Gefäß oder auf eine aufsaugende Unterlage entleert.
Windelfrei verläuft in Phasen
Man kann das Entleeren als Eltern auch noch mit einem Signal wie „Psch“ verbal begleiten. Das Baby wird dieses Geräusch mit der Zeit mit dem Pinkeln verbinden. Oder es vielleicht sogar selbst machen, wenn es muss. Dies ist jedoch keine Konditionierung, die das Baby immer auf Kommando lospullern lässt. Das Baby macht nur dann, wenn es auch wirklich muss. Wir haben das Abhalten in den ersten Monaten bisweilen nur sporadisch gemacht. Denn so ehrlich muss man sein: Das Wickeln war im trubeligen Alltag mit mehreren Kindern doch oftmals vermeintlich leichter bzw. auch mit reduzierter Aufmerksamkeit umsetzbar. Wenn Windelfrei aber erst mal „läuft“, kann es auch anders herum sein.
Windelfrei verläuft häufig in Phasen, in denen die Kinder mal mehr und mal weniger Zeit und Lust haben. Und die Eltern auch. So haben natürlich auch weiterhin Windeln verwendet, bevorzugt Stoffwindeln, aber auch Wegwerfwindeln und Trainerhosen. Dennoch trägt Windelfrei zu einer wesentlich besseren Windelökobilanz bei.
Windelfrei keine neue Babytrendsportart
Tatsächlich ist das Ganze keine neue Babytrendsportart oder esoterisches Hippiezeug, sondern der normale Weg, auf dem der größte Teil der Kinder weltweit groß und sauber wird. Die ganzen Fakten zur Ökobilanz oder dazu, dass Windelfreikinder weniger von Koliken und Windeldermatitis betroffen sind, kann man sich ausführlich auf den Windelfreiseiten durchlesen. Oder in Büchern wie Artgerecht – das andere Babybuch von Nicola Schmidt oder TopfFit!: Der natürliche Weg mit oder ohne Windeln von Laurie Boucke.
Es ist durchaus lohnenswert, sich auf das „Prinzip Windelfrei“ einzulassen. Das kann ja auch in Teilzeit sein. Das heißt, dass dann abgehalten wird bzw. das Baby aufs Töpfchen geht, wenn es machbar ist. Dadurch gibt es auch nie den Punkt , an dem man dem Kind erklären oder zeigen muss, wozu Toilette oder Töpfchen da sind. Mit ungefähr einem guten halben Jahr ist bei vielen Babys statt dem Abhalten das Benutzen des Töpfchens beliebter, anfangs noch mit Unterstützung beim Sitzen. Bewährt hat sich hier ein Töpfchen mit herausnehmbaren Einsatz, da sich dieses leichter reinigen lässt.
Es geht nicht darum, welches Kind zuerst trocken ist
Windelfrei ist aber alles andere als ein zu frühes Sauberkeitstraining. Man greift einfach nur das auf, was das Kind anzeigt. Man muss als Eltern auch nicht 24 Stunden am Tag neben seinem Kind verbringen, um jede Regung aufzugreifen, die ein potenzielles Ausscheidungsbedürfnis anzeigt. Windelfrei macht einen auch weder zu besseren noch zu schlechteren Eltern. Wer mag, kann es ja einfach mal probieren.
Entspannt bleiben
Und immer wieder kann es auch Phasen geben, in denen Windelfrei nur noch ein oder zwei Mal am Tag „klappt“. Und das ist okay so. Bei Windelfrei geht es auch überhaupt nicht darum, welches Kind zuerst trocken ist. Streikphasen sind in diesem Prozess auch immer wieder mal ganz normal. So haben zum Beispiel manche Kinder das Bedürfnis im Stehen statt auf dem Töpfchen Wasser zu lassen.
Windelfrei ist kein Wettbewerb
Auch für Eltern, die bisher durchgehend wickeln, lassen sich Ansätze von Windelfrei im Prozess des Trockenwerdens übernehmen. Zu jedem Zeitpunkt kann man die Windel einfach mal weglassen. Wichtig ist, keine konkreten Erwartungen daran zu knüpfen und das Kind liebevoll zu begleiten. Sowohl bei Windelfrei als beim klassischen „Töpfchentraining“ ist es hilfreich, entspannt zu bleiben und vor allem keinen Druck auf das Kind aufzubauen.
Windelfrei muss zum Familienalltag passen
Auch wenn der in „Windelfrei-Kreisen“ verwendete Begriff Ausscheidungskommunikation (Eliminations communication) vielleicht etwas verkompliziert klingt, geht es letztlich genau darum. Im Fokus ist immer die Kommunikation mit dem Kind, ob mit einem Baby oder mit einem Dreijährigen. Windelfrei ist kein Wettbewerb und keine Kompetenzprüfung für Eltern. Es ist einfach eine gute Möglichkeit, sein Baby oder Kleinkind auf diesem Weg zu begleiten – von Anfang an. Es bedeutet auch nicht, dass keine Windeln verwendet werden dürfen. Sondern „nur“, dass sie nicht benutzt werden müssen und es auch andere Optionen gibt.
Man kann das alles so anpassen, dass es zum eigenen Familienleben, zur Tagesform oder auch den Wetterbedingungen passt. Viele Eltern lassen gerade im Sommer einfach mal bei ihrem Baby oder Kleinkind die Windel weg – auch das ist eine Form von Windelfrei. Ganz unabhängig davon hilft das Abhalten oft auch gut, wenn der Po wund ist oder Babys häufiger untröstlich weinen oder beim Stillen sehr unruhig sind. Das Windelfrei-Prinzip war hier als Konzept in meinem Hebammenalltag oft schon sehr hilfreich. Wichtig ist es also, mit seinem Kind gemeinsam den individuell passenden und stressfreien Weg zu finden und zu gehen.
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