Katrin ist 39 Jahre alt und seit fast 15 Jahren Hebamme. In ihrer Berliner Hebammenpraxis begleitet sie zusammen mit Kolleginnen Familien rund um die Geburt. Außerdem betreut sie als Familienhebamme schwangere Frauen und junge Familien in besonders belasteten Lebenssituationen. Zusammen mit ihrem Freund und den zwei gemeinsamen Töchtern lebt sie in Berlin. Sie erzählt von der Geburt ihres ersten Kindes, das zu Hause das Licht der Welt erblickte.

Obwohl mir seit meiner eigenen Kindheit klar war, dass ich einmal Kinder haben möchte (gerne vier), war ich dann doch schon 33 Jahre alt, als ich ungeplant schwanger wurde. Wie das Leben eben manchmal so spielt, kam es vorher nicht dazu. Ich war lange im Ausland unterwegs, hatte keine feste Partnerschaft und so vergingen die Jahre. Der Kinderwunsch war immer noch da, aber noch hatte ich ja Zeit. 

Schließlich, zurück in Berlin und zurück im Hebammenberuf, passierte es dann plötzlich ganz schnell. Ich hatte gerade meinen allerersten eigenen Geburtsvorbereitungskurs gestartet, da stellte ich, nach nur kurzer Zeit mit meinem neuen Partner fest, dass ich schwanger bin. Wow! Ungeplant, aber nicht ungewünscht.

Im Familien- und Freundeskreis musste ich mir aufgrund des „Unfalls“ einige Kommentare anhören: Ich als Fachfrau müsse doch eigentlich wissen, wie man richtig verhütet. Aber auch hier freuten sich dann alle mit uns. 

Die Schwangerschaft verlief unproblematisch, das Baby wuchs, der Bauch genauso und die Spannung stieg. Für mich war von Anfang an klar, dass ich, sofern keine Komplikationen auftreten, außerklinisch gebären möchte. Mein Freund, der zum damaligen Zeitpunkt bereits eine neunjährige Tochter hatte, deren Geburt im Krankenhaus wohl nicht so schön verlief, war zum Glück auch sofort auf meiner Seite. 

Um die zehnte Schwangerschaftswoche herum begann ich mich um eine Hebamme zu kümmern. Ich war mir noch nicht sicher, ob ich im Geburtshaus oder zu Hause gebären wollte und so fragte ich im nächstgelegenen Geburtshaus nach einer Kollegin, die beides anbot. Ganz bewusst hatte ich auch eine Hebamme gewollt, die ich noch nicht persönlich kannte. Und so lernten wir Helga kennen und ich merkte sofort, dass es passt.

Abendessen mit zehn Freunden am errechneten Termin

Bis zur 21. SSW ging ich noch zu meiner Gynäkologin und aufgrund der geplanten außerklinischen Geburt ließ ich auch die Feindiagnostik machen, allerdings mit dem Hinweis, nur nach dem Allernotwendigsten zu schauen. Für uns war die Frage wichtig, ob die Plazenta hoch genug liegt und ob das Baby einen schweren Herzfehler hat. Welches Geschlecht das Kind hat und andere nicht „überlebenswichtige“ Dinge, waren für uns nicht relevant. 

Acht Wochen vor dem errechneten Termin gönnten wir uns unseren vorerst letzten Urlaub zu zweit. Während des Mutterschutzes besuchten wir dann auch noch einen Geburtsvorbereitungskurs, ebenfalls bei einer mir fremden Kollegin. Mein Freund wollte unbedingt an einem Kurs teilnehmen, ich war zunächst nicht überzeugt (war ich doch selbst einmal die Woche kursleitende Hebamme). Aber da mich sein Interesse freute, stimmte ich schließlich zu.

 So kam es, dass wir einen Kurs buchten, der zwei Tage vor dem errechneten Termin endete. Da ich aber fest davon überzeugt war, dass unser Kind sowieso erst einige Tage danach zur Welt kommen würde, war das für mich völlig okay. Der Kurs war übrigens toll und ich fand es schön, auch mal auf der „anderen Seite“ (als Teilnehmerin) zu sitzen.

In diesen Wochen vor dem Termin kam in mir auch der Wunsch auf, am Abend des errechneten Termins ein Abendessen mit guten Freunden zu veranstalten. Ich wollte diesen Tag nicht wie jeden anderen verstreichen lassen. Mein Freund war skeptisch: „Was, wenn es dann doch losgeht“. Ich entgegnete: „Ach, wird es nicht. Nur ca. vier Prozent der Kinder kommen pünktlich. Und wenn doch, dann schicken wir einfach alle nach Hause. Ist doch kein Ding!“
Gesagt, getan. Am Abend des Geburtstermins hatten wir eine große Tafel angerichtet und gemeinsam ein einfaches 3-Gänge-Menü gezaubert. Mein Freund hatte in der Nacht zuvor seine letzte Nachtschicht gearbeitet, er war von nun an im Urlaub. Ich hatte nachts zum allerersten Mal leichte Kontraktiönchen gespürt (der Bauch wurde sporadisch hart). Ich freute mich sehr, nachdem ich bis dahin absolut nichts gespürt hatte. Keine Übungswehen, keine Senkwehen, keine dieser Wehen, von denen ich in den Kursen immer erzählt hatte – wo blieben sie nur? Während wir eingekauft und gekocht hatten, wurde der Bauch weiterhin ab und an hart. Wunderbar. 

Abends kamen unsere Freunde und so saßen wir zu Zwölft am Tisch und hatten einen wunderbaren gemeinsamen Abend. Und meine Kontraktiönchen? Sie wurden langsam zu Kontraktionen!

Jetzt brauche ich meine Hebamme

Die einzige Mutter unter den Gästen war auch die Einzige, die mich fragte, ob alles okay sei. Sie sah es mir an. Alle anderen nicht. Zum Dessert war es dann soweit, dass ich nicht mehr entspannt am Tisch sitzen konnte. Ich nahm meinen Freund beiseite und erklärte ihm, dass wir unsere Gäste nun nach Hause schicken sollten. Sofort herrschte helle Aufregung. Unsere Küche war noch nie so schnell sauber und aufgeräumt. In Windeseile räumten die Gäste die Tafel ab, wuschen Geschirr, räumten alles weg und verschwanden. Ich beruhigte währenddessen die Meute und meinte, es seien vielleicht ja erstmal nur Übungswehen – mal sehen! Doch kurz bevor die Gäste gingen, merkte ich, dass ich Fruchtwasser verlor. Kaum waren alle weg, berichtete ich davon meinen Freund. Nun war es also sicher: es ging los!

Wir ließen Wasser in die Wanne ein, setzen uns gemeinsam hinein und dann rief ich erstmal meine Hebamme an. Es war kurz nach elf und ich wollte sie vorwarnen, bevor sie ins Bett geht. Ich sagte ihr also Bescheid und versprach, mich bei Bedarf wieder zu melden. Ich war mir aber sicher, dass es erstmal dauern würde und wünschte ihr eine Gute Nacht. Während des Bades wurden die Wehen etwas stärker, irgendwann wollte ich dann wieder ins Trockene. Während mein Freund noch letzte Vorbereitungen traf, wehte ich vor mich hin. Ich erinnere mich, wie er einmal bei mir im Zimmer war und fragte: „Soll ich Helga anrufen?“ Meine Antwort war: „Nein, das ist noch zu früh!“ Im Kopf hatte ich die vielen Erstgebärenden, die voller Hoffnung in den Kreißsaal kommen und dann hören, dass es noch viel zu früh ist und sie wieder nach Hause fahren sollen. Die Hebamme in mir wollte die Kollegin nicht zu früh rufen! Mein Freund ging also kurz raus und als er knapp drei Wehen später zurückkam, erkannte er mich kaum wieder und ich rief nur „Ruf Helga an!“

Die Intensität, die Kraft der Wehe, hatte ganz plötzlich enorm zugenommen. Diese Naturgewalt war irre, ich merkte, jetzt brauche ich meine Hebamme! Kurze Augenblicke der Angst davor, dass es so jetzt stundelang weitergeht… mit diesen unglaublichen Schmerzen… und das zu Hause? Ohne Chance auf PDA? War ich verrückt? Konnte ich das schaffen?

 45 lange Minuten später war die Hebamme da und ich war so froh, sie zu sehen! Gleichzeitig hatte ich Angst vor der vaginalen Untersuchung, die nun folgen würde. Was, wenn der Muttermund sich bisher kaum geöffnet hat? Ein furchtbarer Gedanke. Helga untersuchte, lächelte und sagte: „Wunderbar, fast vollständig“. Ich war so glücklich!

Junge oder Mädchen?

Nachdem die Eröffnungsphase recht rasant war, folgte eine etwas ausgiebigere Austreibungsphase. Unser Kind wollte nicht so recht „runterkommen“ und ich wurde fast wahnsinnig, dass der Schmerz ausschließlich im Bereich der Symphyse war. Mein größter Wunsch war, dass der Schmerz an eine andere Stelle wandert. Hatten die Frauen im Kreißsaal nicht oft berichtet, wie der Schmerz im Verlauf der Geburt wandert? Wieso machte das „mein Schmerz“ nicht? Und so kam ich an den Punkt, an dem ich am Liebsten nach meiner Mama gerufen hätte. Eine Tatsache, die mich im Kreißsaal oft zum schmunzeln gebracht hatte. Nun war ich selbst soweit und konnte die Frauen verstehen. Doch meine Mama kam natürlich nicht, aber mein Freund und meine Hebamme waren ein ebenbürtiger Ersatz.

 Etwa eine halbe Stunde vor der Geburt kam unterstützend eine zweite Hebamme dazu. Das ist bei Hausgeburten oft so, um im Falle eines Falles besser agieren zu können.

Irgendwann war es dann soweit und ich schob mein Kind mit aller Kraft hinaus ans Licht. Ich hockte vor meinem Freund, er hielt mich fest. Der Endspurt war eine Erleichterung. Zu wissen, dass es bald geschafft ist, welch wunderbare Aussicht! In dieser Endphase kam die Hebamme in mir wieder kurz zum Vorschein und ich bremste meine Kraft beim Kopfdurchtritt, damit es möglichst keine Geburtsverletzungen gibt. Im Nachhinein fanden Helga und ich es interessant, dass ich genau in dem Moment daran gedacht habe.

 4.17 Uhr und ein sehr blaues Menschlein erblickt das gedämmte Licht unseres Wohnzimmers, ist erstmal stumm und hat die Nabelschnur um den Hals. Ich weine einfach nur vor Erleichterung, bin heilfroh, dass es geschafft ist. Die Hebammen befreien unser Kind von der Nabelschnur und „ärgern“ es ein bisschen, damit es anfängt zu atmen und einen ersten Schrei heraus lässt. Es klappt und das blaue Bündel wird schnell zu einem rosigen Baby. Irgendwann fragt die Hebamme „Wollt ihr nicht schauen, was es ist?“. Achja, da war ja noch was. Junge oder Mädchen? In dem Moment eigentlich egal, aber dann waren wir doch neugierig. Ein Blick – ein Lächeln – ein Mädchen.

 Nachts gebären – welch wunderbare Atmosphäre!

Staunen, schauen, bewundern

Schon zu Kreißsaalzeiten, als Hebamme im Nachtdienst, habe ich es geliebt. Dort, im Krankenhaus, ist es diese besondere Ruhe, nur Menschen die wirklich im Kreißsaal sein müssen sind da. Die Alltagsroutine ruht bis circa sieben Uhr morgens, die Ärzte schlafen in ihren Bereitschaftszimmern (sofern es keine Komplikationen gibt), das Licht ist gedimmt, die Räume sind einfach nur erfüllt von „freudiger Erwartung“ und „harter Arbeit“. Und auch bei uns zu Hause war es aufgrund der nächtlichen Stunde eine besondere Stimmung. Und dann dieser Luxus: vom Wohnzimmer einfach nur drei Schritte in das benachbarte Schlafzimmer gehen. Mit der neuen Erdenbürgerin in das eigene Bett legen und staunen, schauen, bewundern. Wir redeten noch ein wenig, stießen auf die Geburt unserer wundervollen Tochter an und schließlich ging Helga in den frühen Morgenstunden nach Hause und wir fielen in einen tiefen, wenn auch kurzen Schlaf.

Das frühe Wochenbett verlief ruhig, mit einem großen Topf Hühnersuppe auf dem Herd. Die ersten Ausflüge nach draußen ließen uns frischgebackene Eltern erschrocken zurück: Wie laut war diese Stadt? Wie viele Abgase? Die Stadt, in der man seit Jahren lebte, war plötzlich eine andere.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass es einfach unglaublich ist, diese Naturgewalt zu erleben. Es ist extrem, unvergleichlich, schmerzhaft und doch möchte ich es nicht missen. Ich meine damit tatsächlich die Geburt selbst! Es gibt sicherlich wenige Situationen im Leben, die uns so an unsere Grenzen bringen. In meinen Geburtsvorbereitungskursen möchte ich versuchen, die Frauen möglichst ehrlich auf die Geburt vorzubereiten. Ja, es ist verdammt harte Arbeit. Ja, man denkt mehr als einmal: „Das schaffe ich nicht!“ Und ja, meist gehört meiner Erfahrung nach auch ein Augenblick der Angst dazu. Man darf die Angst nur nicht einladen zu bleiben, das ist wichtig! Und ja, Geburt ist eine Naturgewalt, die nur bedingt zu beeinflussen ist – vielmehr müssen wir uns darauf einlassen. Aber, und das sage ich wirklich auch allen Frauen, man darf sich tatsächlich darauf freuen!

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Kommentare

8 Antworten zu „Wenn Hebammen Kinder kriegen: Katrin“

  1. P
    Patricia

    Obwohl dieser Beitrag bereits vor über ein Jahr veröffentlich wurde, möchte ich es gerne kommentieren. Sehr schöne Geschichte!
    Auch ich fand die nächtliche Ruhe im Krankenhaus ganz wunderbar, als ich meine 4,5 Stunden im Kreissaal verbrachte. Und als Erstgebärende fand ich auch, dass die Wehen eine unerträgliche Naturgewalt waren. Dass es letztendlich in wenigen Stunden und ohne Anästhesie ging, änderte nichts an der Tatsache, dass ich für kurze Zeit echte Verzweiflung erfahren hatte, für das erste mal im Leben. Kurz nach der Geburt, die man nicht anders als schnell und unkompliziert bezeichnen kann, habe ich mich gefragt, wie es möglich sein würde, mich positiv an diesen Stunden zu erinnern.
    Und hier ist mein Gedanke, den ich gerne mitteilen möchte: auch wenn es möglich ist, dass selbst eine Frau, die eine lange und schwierige Geburt hatte, es in schöner Erinnerung beibehält, sollte es keinesfalls von den Frauen erwartet werden. Ich traue mich nicht, meinen schwangeren Freundinnen zu sagen, dass ich ihnen eine schöne Geburt wünsche. Tue ich natürlich, aber für mich klingt es so, als würde ich ihnen sagen, dass sie ganz bestimmt beim Lotto gewinnen könnten. Die Möglichkeit ist zwar da, aber so ein Satz kann unrealistische Erwartungen wecken, finde ich.
    Oft habe ich den Eindruck, dass wenn Frauen eine traumatische Geburtserfahrung hatten, wird das als eine Abweichung von der Norm wahrgenommen, weil Geburten grundsätzlich als eine schöne Sache gelten. Dass ein Baby auf die Welt kommt ist eine wunderbare Sache. Die Geburt an sich, finde ich, ist eine neutrale Sache. Für manche mag es wunderbar sein, für andere dann auch ganz schlimm, aber sicherlicht ist das Beste bei einer Geburt, dass es vorbei ist.

  2. J
    jules

    schön!

    und ehrlich! und ehrlich schön!

    nur einen kleinen anstoß – gerade an die hebammen hier:

    wollen wir es wirklich „austreibungsphase“ nennen?

    1. K
      Katrin

      Hi Jules,
      Ich mag das Wort Austreibungsphase tatsächlich auch nicht so gern und nenne es in meinen Kursen auch nur selten so. Aber hier ist es nun eben in den Text eingefl

      1. K
        Katrin

        …lossen, da es einfach im Hebammenhirn drin ist und im Fachjargon so genannt wird 😉
        LG, Katrin

  3. T

    Ein schöner Geburtsbericht!
    Ich bin auch Hebamme und finde es immer wieder spannend Geburtberichte von Hebammen zu lesen.

    In meinen Hypnobirthing- Geburtsvorbereitungskursen versuche ich es auch so zu vermitteln, dass Geburt einfach körperliche Anstrengung und Arbeit ist. Es kann weh tun, es kann ganz leicht sein, Gebärende können laut sein oder leise sein oder oder oder….

    Geburt hat so viele Gesichter und ist ein so individueller Prozeß!

  4. K
    Katharina

    Sehr schöner Blogeintrag!
    Ich hab zwar im Krankenhaus entbunden, empfand die Nacht aber wunderschön. Es war ein ruhiger Sonntag und ich war die einzige. Mein Mann und ich waren so entspannt und ich freue mich auch auf hoffentlich noch einmal dieses wunder erleben zu können.

  5. L
    Luise

    Ach wie schön finde ich diese neue Reihe „Wenn Hebammen Kinder kriegen“ ! Ich bin selber Hebamme und kann mich in Katrins Geburtsbericht so wiederfinden 🙂
    Vielen Dank fürs aufschreiben und teilen an dieser Stelle!
    Herzliche Grüße!

  6. L
    Lena

    Selten schreibe ich Kommentare unter Blogeinträge, aber hier muss ich einfach: Genauso ist es! Ich bin keine Hebamme, habe aber auch bereits zwei Kinder Zuhause geboren und diese Geburten als genauso schön erlebt, wie diese hier beschrieben wird. Wenn ich anderen Frauen sage, dass ich meine Geburten schön fand und mich schon auf eine dritte freue, können die es oft nicht glauben. Vor allem wenn sie selber im Krankenhaus entbunden haben. Auch ich fand nicht nur den Moment überwältigend, in dem schließlich das neue Menschlein in meinen Armen lag, sondern auch den Weg bis dahin. Die Leistung des weiblichen Körpers während einer Schwangerschaft und unter Geburt ist ein unglaubliches Wunder!

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