Ambivalente Gefühle beim Stillen

Dies ist der vierte Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Julia aus Berlin ihre Stillgeschichte erzählt. Julia ist vor einigen Monaten mit ihrem Mann, ihrem Sohn (bald 5) und ihrer Tochter (9 Monate) in eine neue Wohnung in Berlin Mitte gezogen, deren Um- und Ausbau sie die letzten sechs Jahre auf Trab gehalten und einiges an Nerven gekostet hat. Julia arbeitet als freiberufliche Illustratorin und Grafikerin, hat zusammen mit ihrer Frankfurter Partnerin ein Designstudio und fragt sich, „wie andere in ihrer Elternzeit Bücher schreiben, Startups gründen oder auf Weltreise gehen, wo ich es nicht mal schaffe, einen Spiegel oder eine Lampe in unserem neuen Zuhause anzubringen“.

Julia wollte eigentlich nie stillen. Dennoch hat sie zwei Kinder gestillt und die ganze Bandbreite der damit verbundenen, ambivalenten Gefühlen erlebt. Ihre Stillgeschichte ist so wichtig, weil oft vergessen wird, dass es immer Gründe gibt für die Entscheidungen, die Eltern treffen. Vor allem auch vom persönlichen Umfeld vergessen, das diese Entscheidungen vielleicht be- und verurteilt. Aber auch oft von Fachpersonal vergessen, was im Übereifer dann ganz anders unterstützt, als es für diese Frau eigentlich passend wäre. Eigene vermeintliche Idealvorstellungen im Kopf verhindern zudem manchmal zu sehen, was diese Mutter gerade tatsächlich braucht. „Dem Kind geht es immer so gut wie seiner Mutter“ schreibt Julia sehr treffend. Deshalb ist es auch beim Thema Stillen so wichtig, den Weg mit zu begleiten, mit dem es der Mutter gut geht.

Macht der Hormone

Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Da ich mit einer Mutter aufwuchs, die mir die Schönheit und Kraft des weiblichen Körpers leider nicht vermitteln konnte, entwickelte ich sehr früh eine große Abneigung gegen alles an mir, was mit „Frausein“ zu tun hat. Einher gingen damit schlimme Essstörungen und Versuche, mich zu einem androgynen Wesen runterzuhungern. Brüste – besonders meine eigenen – fand ich eher abstoßend. Wo andere die Quelle des Lebens sahen, wollte ich nicht hinschauen. Nicht angefasst werden, nicht betrachtet werden und erst recht konnte ich mir nicht vorstellen, an dieser intimen Stelle ein Wesen angedockt zu wissen — sei es mein eigenes, süßes Baby.

Die Vorstellung, schwanger zu sein und ein Kind zur Welt zu bringen, kam mitunter auch deshalb erst so spät in meinem Leben. Stillende Mütter hab ich damals eher bemitleidet. „Ohjeh, die Arme muss jetzt hier ihre Brust auspacken“. In meinem engeren Freundeskreis gab es zudem einige „waschechte Stillkinder“, die keinen Schnuller und keine Flasche akzeptierten und sich sehr lange „nicht abstillen ließen“. Eine echte Alptraum-Vorstellung aus meiner Sicht.

Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Informiert habe ich mich vor der Geburt eigentlich hauptsächlich über Alternativen zum Stillen, auch was die Situation im Krankenhaus direkt nach der Geburt und benötigte Medikamente angeht. Mein Wunsch war es schlichtweg, NICHT zu stillen. Erst im Laufe der Schwangerschaft und durch die Gespräche mit anderen Müttern und Hebammen konnte ich langsam den Gedanken zulassen, es vielleicht ja doch wenigstens zu probieren.

Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Der erste Stillmoment mit meinem Sohn war überraschenderweise schön. Er wurde mir an die Brust gelegt und plötzlich sagte mir mein Körper, komplett überwältigt von der Geburt, gefüllt mit Glück und Liebe: „Wieso eigentlich nicht?!“ Die Macht der Hormone. Dieses gute Gefühl wurde mir leider wenige Minuten später schon wieder genommen, als nämlich die Hebamme kam und mir sagte, ich würde es falsch machen. Ich müsse dafür sorgen, dass er auch wirklich die ganze Brustwarze in den Mund nimmt und solle doch bitte aufhören, so in seinem Gesicht rumzufummeln, da könne er ja gar nicht trinken (ich streichelte verliebt seine Wange). Das war der Anfang einer anstrengenden Zeit mit vielen Tränen, Schuldgefühlen und gut gemeinten Ratschlägen zahlreicher Stillberaterinnen.

Easy war es zu keinem Zeitpunkt

Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Das Stillen im Wochenbett und darüberhinaus verlief nicht gut. Anlege-Probleme, Schmerzen, Entzündungen, Milchstau, Zweifel, Selbstvorwürfe und immer wieder Beratung von Fachleuten, die mir immer wieder sagten, es läge an der falschen Technik (wie oft ich den Satz „Probier mal andere Stillpositionen“ gehört habe — mein persönlicher Horrorsatz), es sich aber einspielen würde, ich unbedingt dran bleiben solle etc. – all diese Ratschläge halfen mir wenig. Milch hatte ich genug, das war nicht das Problem, diese Ausrede war mir leider nicht vergönnt.

Dafür eine mittelgroße Wochenbettdepression, ich fühlte mich an unsere Wohnung gefesselt, weil ich auswärts nicht stillen wollte, mir graute eigentlich vor jedem Anlegen. Trotzdem schaffte ich es nicht, der Sache ein Ende zu setzen, denn: Stillen ist ja schließlich das Beste fürs Kind! Ich kann es niemandem vorwerfen, mich in der Entscheidung dagegen nicht unterstützt zu haben, denn hey, wer nimmt einem denn solch eine Entscheidung schon ab? Aber gewünscht hätte ich es mir dringlich.

Auch bei meiner Tochter, vier Jahre später, war es wieder von Anbeginn schmerzhaft, sowohl körperlich als auch seelisch – und oft wollte ich hinschmeißen. Ich hatte so gehofft, dass es dieses Mal vielleicht ganz anders und so viel einfacher wird und mir vorgenommen, es nur dann durchzuziehen, wenn sich eine unkomplizierte Stillbeziehung einstellen würde, es sich einigermaßen easy anfühlen sollte und nicht erneut wie ein einziger Krampf. Auch wenn es ein bisschen besser klappte, easy war es zu keinem Zeitpunkt.

Mehr Unterstützung in Richtung „Geht auch ohne“

Ich stellte mir ein Ultimatum, nein, mehrere. Und ließ sie wieder verstreichen, denn: Stillen ist ja das Beste fürs Kind!! Das wird einem als Mutter (zumindest hier in Berlin) ja immer wieder eingebläut. Und welche Mutter will schon nicht das Allerbeste für ihr Kind?! Also zog ich es durch, auch wenn ich mich unwohl fühlte, hielt mir immer wieder die Vorteile vor Augen wie „Ist ja auch so viel praktischer“ und so weiter.

Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für Dich da? Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Meine Hebamme hat sich toll um mich gekümmert. Wie gesagt hätte ich mir noch mehr Unterstützung in Richtung „Geht auch ohne“ gewünscht, aber ich war in jedem Fall nicht alleine. Ich habe zu der Zeit auch eine systemische Therapie angefangen und besonders die Gespräche mit einer sehr guten Freundin, die Mutter und selber Therapeutin ist, haben mir dabei geholfen, nicht komplett durchzudrehen. Und mein Mann natürlich, der meine Aversionen und Probleme immer ernst genommen hat.

Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Bei beiden Kindern hatte ich gehofft, sie würden den Brei mögen und Spaß am Essen haben. Beide fanden das Essen anfangs doof. Ich hatte mir vorgestellt, durch die Beikost weniger stillen „zu müssen“, mich darin aber getäuscht. Es heißt nicht ohne Grund BEIkost, lernte ich in dieser Zeit.

Stillen war doch ein einziger Kompromiss

Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Das Abstillen war für mich natürlich ein sehr heikler Punkt. Bei meinem Sohn hatte ich von Anfang an abgepumpt, damit mein Mann ihm auch eine Mahlzeit geben konnte. Das gab mir in der ersten Zeit ein wenig Gefühl von Autonomie und die Gewissheit, nicht komplett allein verantwortlich für die Versorgung zu sein. Den Abstillprozess vereinfachte es ebenso. Ich fing nach vier Monaten an, die Flaschenmahlzeit durch Pre zu ersetzen, ließ uns Zeit bis er sieben Monate alt war. Da ich ja solche Panik davor hatte, dass mein Kind „sich womöglich nicht abstillen lassen könnte“, war ich sehr beruhigt über den Verlauf und glücklich darüber, dass es mit Hilfe der Flasche so entspannt zu Ende gehen konnte.

Meine Tochter hingegen stellte sich als eines dieser „waschechten Stillkinder“ heraus, vor dem ich immer so viel Respekt hatte. Von Beginn an nahm sie keinen Schnuller und auch jedwelche Sorte von Flasche wurde vehement verweigert. Ich hatte in den ersten Wochen — bedingt durch den Umzugsstress — schlichtweg keine Zeit abzupumpen und als ich es später mit der Flasche probierte, hatte sich ihre Vorliebe dem „Original“ gegenüber schon ordentlich verfestigt.

Ich befasste mich also ab dem 4. Monat intensiv mit der Frage, wie ich solch ein Exemplar überhaupt jemals abgestillt kriege. Zudem war sie eine schlechte Schläferin und kam jede Nacht alle ein bis zwei Stunden, niemals schlief sie länger als drei Stunden am Stück. In mir machte sich Panik breit, war das Stillen doch ein einziger Kompromiss und nur mit der Aussicht zu ertragen, dass ich schon bald wieder damit aufhören kann.

Stillen ist Vergangenheit

Da sie das Essen auch nicht interessierte, versuchte ich wirklich ALLES, um sie doch irgendwie an die Milchflasche heranzuführen. Leider erstmal ohne Erfolg. Ich nannte es den „Battle of the Giants“, denn so sehr ich ihr das von ihr geliebte Stillen nicht auf harsche Weise wegnehmen wollte, so sehr hielt ich dickköpfig an meinem eigenen Plan fest. Erst als ich mich dazu entschied, sie nachts abzustillen und für einige Tage auswärts zu übernachten, ging es voran. Sie brauchte ihre Zeit, forderte meine Geduld ein. Irgendwann verstand ich, dass SIE das Tempo vorgeben wollte. Und in dem Moment, als ich etwas losließ, klappte es nach und nach immer besser.

Als ich ihr dann das erste Mal Abends die Flasche gab (um die letzte, allerwichtigste Stillmahlzeit zu ersetzen), wurde ich plötzlich ganz wehmütig. Nach all den Strapazen war ich doch etwas traurig. Das ist jetzt erst zehn Tage her, als ich diese Zeilen schreibe. Und auch wenn mich immer noch Gewissensbisse plagen (das arme Kind hat ja keinen Schnuller!), freue ich mich, meinen Körper wieder für mich zu haben. Das Stillen ist Vergangenheit. Ich bin zwar rückblickend froh über die Erfahrung, weil es mich viel über mich selbst gelehrt hat. Gleichzeitig bin ich noch viel froher, diese Kapitel endlich abzuschließen. Meine Still-BHs werde ich demnächst vielleicht zeremoniell verbrennen oder in unserem Garten begraben. Und ein bisschen stolz kann ich auch auf mich sein.

Vermutlich würde ich es wieder tun

Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen?
Trotz all dem Kummer und dem Schmerz hatte ich natürlich auch schöne Stillmomente. Die Ruhe, die einkehrt, die man sonst mit Baby wenig hat. Und das Kuscheln, leider haben meine Kinder nämlich sonst nie die Geduld dazu.

Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
So viel von dem zu geben, was mir am allerschwersten fiel zu geben. Und diese riesigen, spannenden, permanent auslaufenden Brüste.

Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Ich würde gerne sagen „nicht nochmal stillen“. Aber vermutlich würde ich es wieder tun. Zum Glück stellt sich die Frage nicht, denn ich möchte keine weiteren Kinder (und bin jetzt auch wirklich zu alt 😂). Anderen Müttern, die wie ich eine ambivalente Haltung zum Thema haben, würde ich gerne weitergeben, nicht zu hart mit sich zu sein. Dem Kind geht es immer so gut wie seiner Mutter. Und wenn das bedeutet, dem Kind das Stillen vorzuenthalten, dann kann auch so genug Nähe entstehen, Liebe und Zuneigung vermittelt werden. Dann ist eben ein Weg ohne Stillen das Beste fürs Kind, basta.

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