Bauchgefühl statt Stillberatung

Dies ist der 42. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Nathalie ihre persönliche Stillgeschichte teilt. Sie ist 33 Jahre alt, lebt und arbeitet als Hebamme „im kleinsten aber für mich schönsten Bundesland Bremen“. Sie ist seit zwölf Jahren verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter. „Wenn ich nicht lese oder derzeit vorlese, gehen wir gerne mit unseren beiden Hunden spazieren. Ich koche und backe gerne und treffe mich gerne mit meinen Freundinnen.“

Nathalies Stillbeginn und die folgenden Stillwochen waren nach einer sehr schweren Geburt nicht einfach. Viele versuchte Unterstützungsangebote blieben wirkungslos. Hier erzählt Nathalie, wie sie zusammen mit ihrer Tochter Lotta ihren eigenen Weg zum erfolgreichen Stillen gefunden hat.

Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Für mich war es selbstverständlich, das 98 Prozent der Frauen stillen können, wenn sie denn möchten. Und das Stillen zu Beginn zwar unangenehm, aber nie schmerzhaft ist, wenn man nur die richtige Technik beherrscht. Ich war nie eine der Hebammen, die findet, dass jede Frau stillen sollte. Auch wenn ich selber die Zusatzausbildung zur Stillberaterin gemacht und einige Frauen begleitet habe, finde ich nach wie vor, dass jede Frau, genauso wie den Geburtsweg, den sie für sich wählt, auch frei entscheiden sollte, ob sie stillen möchte oder nicht.

Ich finde aber auch, dass beides in der Gesellschaft akzeptiert werden muss! Denn jede Frau, jedes Kind und jede Familie ist anders und jede Frau entscheidet, was das Beste für die gesamte Familie ist. Sie ist sicher davon überzeugt, das Richtige zu tun und hat sich informiert und so entschieden. Dass in der Öffentlichkeit Stillen weniger akzeptiert ist als ein Fläschchen zuzubereiten, ist genauso unschön wie einer Frau zu unterstellen, sie wolle nicht das Beste, wenn sie nicht wenigstens versucht zu stillen.

Keine leichte Schwangerschaft

Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Durch meine Ausbildung habe ich mich nicht weiter informiert. Es war für mich selbstverständlich, dass ich stillen werde – und zwar ohne Probleme. Ich hatte schon vor der Geburt viel Kolostrum, also Vormilch eingefroren, da wir nicht wussten, wann unser Baby geboren wird. Auch vor der Schwangerschaft war mir klar, ein halbes Jahr voll zu stillen. Und danach solange mein Baby und ich es genießen – auch gern bis über das zweite Lebensjahr hinaus kein Problem.

Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Hier muss ich wohl etwas ausholen. Schon die Schwangerschaft war nicht leicht. Keiner wusste sicher, ob unser Kind gesund oder vielleicht viel zu früh zur Welt kommen würde. Es gab einige Auffälligkeiten im Ultraschall und ab der 18. SSW war es mit der unbeschwerten Schwangerschaft vorbei. Uns wurde eine Fruchtwasseruntersuchung angeboten, die wir jedoch ablehnten, weil das Baby schon längst ein Teil unserer Familie war und wir sie auf jeden Fall bekommen wollten, ob mit der einen oder anderen zusätzlichen Besonderheit oder nicht.

Wir haben dann viel mit unserer Tochter im Bauch gesprochen und gesagt, sie soll durchhalten. Für die Ärzte nicht wirklich erklärlich wurden die Werte zwar nicht gut aber stabil. Und so konnten ich die Schwangerschaft bis zur 40 Woche austragen. Dann wurden die Werte plötzlich deutlich schlechter. Aber zur selben Zeit entschied Lotta sich auch, dass es nun Zeit sei, auf die Welt zu kommen.

Notsectio und Intensivstation

Leider trat das ein, was schon vorher deutlich wurde: Sie war zu schwach für die Wehen und ihre Herztöne wurden zunehmend kritischer. So entschieden wir uns für eine Sectio. Leider gab es dann Schwierigkeiten und die Spinalanästhesie wirkte nicht so wie erwartet. Ich konnte keine Luft mehr bekommen, also musste eine Notsectio gemacht werden und ich danach auf die Intensivstation,  weil ich nicht selbstständig atmen konnte für vier Stunden.

In dieser Zeit wurde Lotta mir regelmäßig gebracht und zum Bonden auf die Brust gelegt. Ich spürte das natürlich, konnte nur nichts sagen. Anlegen konnten wir sie nur einmal sehr kurz, etwa viereinhalb Stunden nach der Geburt, was aber nicht gut klappte. Und so ging es weiter. Lotta und ich waren zu Beginn zu schwach, um sie regelmäßig anzulegen und auch das Pumpen ging die ersten 24 Stunden unter. Ich hatte während der OP neben der Teilnarkose noch zwei Vollnarkosen benötigt. Und durch das Adrenalin, die Sectio und den späten Pumpstart war auch der Milcheinschuss verzögert. So wurde Lotta von meinem Mann und mir per Fingerfeeder die ersten sechs Tage ernährt. Danach wurden die Mengen zu groß, die sie benötigte und wir stiegen auf den Calma Sauger um.

Ich hatte am fünften Tag den Milcheinschuss und ab dem neunten Tag konnten wir ihren kompletten Bedarf mit Muttermilch decken. Dafür pumpte ich Tag und Nacht ab, mindestens alle zwei Stunden. Ich legte aber auch mal zusätzlich eine Pumpeinheit ein, wenn sie mehr Hunger hatte.

Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Ich habe sie immer wieder versucht anzulegen, aber es gelang uns einfach nicht. Ich bekam viele gutgemeinte, aber verletzende Tipps von Kollegen. Der für mich schlimmste war: „Anlegen, du musst immer wieder anlegen, sonst wird das nichts“ – und ich spürte, dass Lotta es einfach nicht konnte…

 Abpumpen, füttern und ganz viel kuscheln

Ich musste während des Frühwochenbetts die Hebamme wechseln, weil unsere erste leider wenig Erfahrung hatte und mit unserer Geschichte nicht gut zurecht kam. Die andere Kollegin war sehr bemüht, aber auch ihr gelang es nicht, dass Lotta aus meiner Brust trank. Wir gingen zum Osteopathen, um Blockaden zu lösen – ohne Stillerfolg. Wir waren zur Stillberatung ohne Erfolg. Diese schickte uns zur Logopädin, ein netter Termin, aber auch ohne Stillerfolg. Wir waren bei einem Kinderchirurgen, wegen eines eventuell zu kurzen Zungenbändchens, aber das Zungenbändchen war unauffällig. 

Nun wollte ich nur noch eins: in Ruhe unser Wochenbett genießen, so dass ich nach drei Wochen erstmal alle Kontakte abbrach und mich auf uns konzentrierte. Und auf das, was sich für uns gut anfühlte: das war pumpen und füttern und ganz viel kuscheln. Ich versuchte es zwischendurch oder auch mal zwei Tage gar nicht, ganz nach Gefühl. 

Sechseinhalb Wochen nach Lottas Geburt, sie war nun endlich deutlich kräftiger, hatte ich Lust und ein total gutes Gefühl und plötzlich, schwupp, hing unsere Tochter mit Stillhütchen an meiner Brust und ab da wurde jede Mahlzeit aus der Brust getrunken. Dann ging es weiter. Ich saß weinend da, weil es so weh tat. Ich werde nie den Blick von meinem Mann vergessen. Endlich klappt es mit dem Stillen und nun tut es so weh. Aber ich musste ein zu kleines Stillhütchen nehmen, weil Lotta mit den größeren nicht trinken konnte. Und so wurde jede Stillmahlzeit zu einer schmerzhaften Sache.

Zeit, Ruhe und Bauchgefühl

Meine Hebamme und ich beobachteten häufig Stillstände in ihrer eh sehr zarten Gewichtsentwicklung. Aber sie war fit, ihre Ausscheidungen waren super und sie war ja immer auch in der Schwangerschaft zu leicht. Auch hier kamen viele Tipps, wie ich das Hütchen loswerden sollte oder ihr Gewicht steigern könne. Aber ich bedankte mich höflich und sagte allen, dass wir das alleine so machen, wie wir mögen.

Ich versuchte es auch hier immer mal wieder. Und auch hier, nach fast fünf Monaten, von einer Mahlzeit auf die andere, konnte unser kleines Wunder dann ganz ohne Hütchen und damit für mich ganz schmerzfrei aus meiner Brust trinken. Und auch das Gewicht hat sich inzwischen stabilisiert, erst jetzt, nachdem das Hütchen weg ist. So wurde es langsam aber stetig alles etwas normaler und ruhiger.

Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für dich da? Wer oder was hat dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Ich glaube, viele waren bemüht, aber kaum einer ist wirklich ganz unvoreingenommen auf uns eingegangen und niemand hat mich gefragt, was ich denke, was uns am besten tun würde. Geholfen haben Zeit, Ruhe und vor allem, dass ich nach unserem Start endlich, wie in der Schwangerschaft, wieder auf mein Bauchgefühl gehört hatte…

Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Auch hier zeigte unsere Tochter uns wieder, dass sie ihr ganz eigenes Tempo hat. Obwohl die Ärzte es besser wussten (und auch wieder einige Kollegen), haben wir uns dabei nicht verrückt gemacht und sie einfach machen lassen.

Ich stille überall

Mit sieben Monaten habe ich unserer Tochter immer mal wieder etwas angeboten, aber sie mochte einfach noch nicht. Mit zehneinhalb Monaten hat sie vom einen auf den anderen Tag ganz gut gefrühstückt und am Folgetag hat unsere Tochter alle fünf Mahlzeiten gegessen, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie hat sich das sehr deutlich eingefordert und mit sichtlicher Freude gegessen. Bis heute isst sie alles und genießt ihr Essen.

Ich erwarte nichts mehr, ich lass mich einfach überraschen. Unsere Tochter wird das in ihrem Tempo ganz phantastisch machen. Und ihr Leben auf ihre einzigartige Weise phantastisch meistern. 

Ich habe Lotta dann weiter nach Bedarf angelegt, was natürlich plötzlich deutlich weniger war. Tags vor dem Mittagsschlaf oder manchmal vor dem Nachmittagsschlaf oder wenn ehr etwas zu viel ist, geht sie bis heute gerne an die Brust. Nachts hat Lotta weiter sehr oft gestillt, sehr häufig in 60- bis 90-Minuten-Abständen, länger als zwei Stunden habe ich 18 Monate lang nicht geschlafen.

Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Eines Nachts um kurz nach zwei hatte ich das Gefühl, jetzt ist was anders. Die Nacht vorher hatten wir noch sehr oft gestillt, aber da dachte ich: Jetzt passt es. Ich habe, als Lotta das sechste Mal andocken wollte, gesagt: „Schatz, Mamis Milch ist alle.“ Unsere große Maus machte ein Grummelgeräusch, drehte sich um und schlief an mich gekuschelt einfach ein.

Ich liebe das Stillen

Das gleiche hab ich ihr eineinhalb Stunden später auch nochmal gesagt. Ihre Reaktion war identisch. Ich lege sie seit diesem Tag zum Einschlafen und morgens, wenn wir wach sind, im Bett nochmal an. Manchmal zum Mittagsschlaf oder wenn sie sich unwohl fühlt. Sie schläft seitdem zehn bis 14 Stunden durch, je nach Tagesform. Mein Wunsch ist, dass wir irgendwann aufhören mit dem Stillen zur rechten Zeit in unserem Tempo. Und bis dahin die Zeit einfach genießen, denn sie kommt so nicht wieder zurück.

Was war oder ist das Schönste für Dich am Stillen?
Die Nähe, dass nur ich ihr das geben konnte, was sie in dem Moment braucht, kuscheln und Milch. Außerdem seitdem es bei uns mit dem Stillen läuft, konnte ich ganz viel von der besonderen Schwangerschaft und Geburt aufarbeiten und einfach mal genießen. Ich stille überall: Zu Hause, in der Stadt, im Kino. Ich liebe das Stillen und jede Sekunde hat sich gelohnt und ich weiß, beim nächsten Kind klappt alles ganz automatisch ganz ohne Probleme 😉

Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Die Ratschläge, die sicher oft zutreffen, aber eben nicht immer. Und das so wenig individuell geschaut wurde, was uns gut tut.

Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Direkt versuchen, trotz der Hormonflut, auf mein Bauchgefühl zu hören. Und tut das, was euch gut tut. Ihr wollt nicht stillen, gut, lasst es! Ihr wollt beim Pumpen TV und das Smartphone anschauen, statt ein Foto von eurem Kind, super macht es! Holt euren Partner ins Boot, denn ohne die Unterstützung von Lottas Papa hätten wir es nicht schaffen können. Man kann nicht pumpen, kuscheln und füttern gleichzeitig. Man braucht dann auch einfach Hilfe, anders geht es nicht. Und ein voller Kühlschrank und Gefrierschrank hilft auch ungemein.

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