Dysphorischer Milchspendereflex – wie D-MER das Stillen beeinflusst

Über Stillprobleme wie wunde Mamillen oder eine unzureichende Milchbildung finden sich fundierte Informationen. Und dementsprechend findet sich auch mehr oder weniger schnell fachliche Hilfe. Und dann gibt es noch die vielen anderen möglichen, aber wesentlich seltener auftretenden Hürden auf der Milchstraße. Dementsprechend wird es schwieriger, Rat und Unterstützung zu finden. Zu den selteneren Situationen in der Stillberatung gehört der Dysphorische Milchspendereflex, kurz D-MER. Im Gegensatz zur Euphorie geht es bei der Dysphorie um ein freudloses emotionales Erleben. Es zeigt sich durch eine traurige, bedrückte, missmutige oder auch ängstliche bis gereizte Stimmungslage.

Der Milchspendereflex sorgt durch das aus dem Hypophysenhinterlappen freigesetzte Hormon Oxytocin dafür, dass die Muttermilch, die sich in den Alveolen des Brustdrüsengewebes bildet, auch zum Kind kommt. Das Oxytocin sorgt dafür, dass durch das Zusammenziehen kleinster Minimuskeln die Muttermilch durch die Milchgänge zur Mamille gelangt. Von dort aus gelangt die Milch in Babys Mund bzw. beim Abpumpen oder Handentleeren in den Auffangbehälter. Das Einsetzen des Milchspendereflexes nehmen viele Stillende als leichtes Ziehen, als Kribbeln oder auch als Wärmegefühl war. Es kann auch in der Brust spürbar sein, an der gerade nicht gestillt oder abgepumpt wird.

Negative Emotionen als einziges Symptom

Das Stillen mag durchaus anstrengend und auch unangenehm oder schmerzhaft sein. Aber wir haben doch alle immer ein bisschen das Bild einer selig ihr Kind anlächelnden stillenden Mutter vor Augen. Und selbst wenn es in der eigenen Stillbeziehung gerade ganz anders aussieht, ist meist der Wunsch nach einer sich glücklich anfühlenden Stillbeziehung das Ziel für alle Mühen.

Dazu passen die bei D-MER charakteristischen Empfindungen so gar nicht. Denn kurz vor bzw. während des Milchspendereflexes erleben die Betroffenen negative Emotionen. Die erlebten negativen Gefühle sind sehr vielfältig. Sie reichen von einer inneren Leere, Traurigkeit, Angst, Hoffnungslosigkeit, Betrübtheit,Sinnlosigkeit über Unsicherheit bis hin zu einer starken innerlichen Unruhe.

Dieses Empfinden tritt rund eine Minute vor dem Einsetzen des Milchspendereflexes ein. Es hält bis zu knapp zwei Minuten lang an. Aber diese vermeintlich kurze Zeit kann sehr belastend sein, zumal D-MER bei jedem Stillen oder Abpumpen auftreten kann. Und das auch mehrmals, weil mehr als Dreiviertel der Stillenden mehr als einen Milchspendereflex spürt. Bei manchen Stillenden tritt D-MER auch nur zu bestimmten Tages- bzw. Stillzeiten auf. Es kann bereits am Anfang der Stillzeit erstmalig auftreten. Ebenso kann das auch erst nach ein paar Tagen oder Wochen der Fall sein. Es gibt Stillende, die nur einen bestimmten Zeitraum lang betroffen waren, während andere es die ganze Stillzeit hinweg erlebten. Gute Informationen und Erfahrungsberichte sind auf dieser (englischsprachigen) Seite zu finden.

D-MER ist keine psychische Erkrankung

Anders als bei einer Postpartalen Depression oder anderen psychischen Erkrankungen treten die negativen Emotionen nur im Zusammenhang mit dem Milchspendereflex auf. Natürlich kann aber neben D-MER auch noch parallel ein Wochenbettdepression existent sein. Oder eine andere psychische Störung, weshalb immer ein ganzheitlicher Blick auf die Situation der Stillenden ratsam ist. Aber typisch und für die Betroffenen so verwunderlich ist eben, dass die negative Emotion ganz unmittelbar im Zusammenhang mit dem Milchspendereflex auftritt. Und das sie entsprechend plötzlich wieder verschwindet.

Wenn Frauen nicht wissen, was los ist, entsteht nicht selten das Gefühl, „verrückt zu sein“. Denn dieses plötzlich kommende und gehende negative Gefühl – obwohl sonst eigentlich ein seelisches Wohlbefinden vorhanden ist – lässt sich einfach nicht einordnen. Andere möglicherweise beim Stillen auftretende Symptome wie starker Durst, Müdigkeit, Übelkeit oder Juckreiz sind kein Ausdruck von D-MER. 

Die Ursache für die D-MER bedingten negativen Gefühle ist hormonell bedingt. Das Hormon Oxytocin bewirkt den Milchspendereflex. Durch dessen Auslösung sinkt die Dopaminausschüttung. Dopamin ist auch unter dem Begriff „Glückshormon“ bekannt. Durch diesen normalen Abfalls des Dopaminspiegels wird der Anstieg des Hormons Prolaktin begünstigt, welches für die Milchbildung zuständig ist. Beim D-MER scheint also eine eigentlich physiologische Funktion unangemessen aktiv abzulaufen.

Standardisierte Behandlung gibt es nicht

Man kann sagen, dass es sich hier um eine rein körperliche Reaktion handelt. Es ist kein Ausdruck einer psychischen Belastung, einer unterdrückten negativen Erfahrung oder eines Traumas. Das ist wichtig zu wissen für Betroffene. Denn schnell sind die eigenen Emotionen oder die Liebe und Bindung zum Kind in Frage gestellt, wenn so heftige negative Gefühle auftreten.

Generell sind Emotionen wie Traurigkeit, Angst, Wut oder innere Leere gerade in der sensiblen Lebensphase des Elternwerdens oft mit Scham behaftet. Betroffene trauen sich nicht darüber zu reden. Dabei ist gerade das so wichtig, um eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Information und Aufklärung auch über mögliche herausfordernde und schwere Situationen oder Erkrankungen rund um die Geburt sind noch längst keine Selbstverständlichkeit. Sich Hilfe zu suchen fällt vielen Eltern entsprechend schwer.

Da D-MER sehr unterschiedlich in der Heftigkeit der Symptome aber auch in der Häufigkeit und Dauer ist, sehen die Behandlungsansätze recht unterschiedlich aus. Für viele Frauen sind Informationen darüber und Verständnis schon der entscheidende Schritt, damit umgehen zu können. Es gibt medikamentöse Behandlungsansätze, die aber alle noch keine valide Studienlage haben, um sie generell zu empfehlen. Der Einsatz von Medikamenten, die in hormonelle Abläufe eingreifen, ist natürlich auch immer in Bezug auf andere unerwünschte Wirkungen abzuwägen. Diese Behandlungen gehören immer in ärztliche Begleitung.

Abstillen ist keine einfache Lösung

Ergänzend ist es sicherlich hilfreich, die äußeren Lebensumstände mit im Blick zu haben. Genug Schlaf und eine ausgewogene Ernährung sorgen dafür, dass nicht zusätzliche, D-MER möglicherweise verstärkenden Belastungen wie Übermüdung oder Blutzuckerabfälle hinzu kommen. Eine gesunde ausgeglichene Lebensweise (Bewegung, Frischluft, Freunde, Natur…) unterstützt die körpereigene Dopaminausschüttung.

Konkret hilft manchen Frauen auch, sich abzulenken bei Einsetzen des Milchspendereflexes. Das kann durch Trinken oder Essen aber auch andere Tätigkeiten passieren. Manchen Frauen hilft es auch sich beim Einsetzen auf einen bestimmten wohltuenden Duft zu fokussieren (Aromatherapie). Da auch Wut ein D-MER bedingtes Empfinden sein kann, sollte hier natürlich besprochen werden, ob die Betroffene aus Sorge vor einem Kontrollverlust sich oder ihr Baby gefährdet sieht.

Da der Milchspenderflex D-MER auslöst, ist es auch nur in der Stillzeit ein Problem. Für einige Frauen ist die Situation so belastend, dass ein Abstillen der passendere Weg sein kann. Wichtig ist hier die gute Aufklärung und Unterstützung, besonders dann, wenn der Abstillwunsch sonst zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gegeben wäre. Der von Nicht-Betroffenen schnell erteilte Rat „Dann still doch einfach ab“ ist eben nicht pauschal die einfache Lösung. Denn wie eingangs geschrieben ist mit dem Stillen mehr verbunden als reine Nahrungsaufnahme für ein Baby. Und genau das sollte immer auch individuell berücksichtigt werden bei allen Schwierigkeiten in der Stillzeit.

Autor.in dieses Beitrags

Beitrag veröffentlicht am

in

, ,

Von

Buchempfehlungen unserer Redaktion

Kommentare

3 Antworten zu „Dysphorischer Milchspendereflex – wie D-MER das Stillen beeinflusst“

  1. A
    Annie

    Ich hatte es auch sehr stark. Allerdings nur bei meinem zweiten (und letzen) Kind. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich herausgefunden hatte, in welchem Zusammenhang diese stark negativen Gefühle entstanden. Sobald dieses Rätsel gelöst war, konnte man gezieht im Internet suchen und zum Glück fündig werden. Ich hätte mich sonst bei einer Psychaterin vorstellen müssen. Geändert hat das Wissen körperlich nichts, allerdings psychisch, zu wissen, dass man eben nicht verrückt ist. Ein Jahr habe ich das Stillen dann so durchgezogen und habe die ersten Anzeichen zum Abstillen sehr begrüßt.

  2. D

    Hallo Anja!
    Wie per Mail schon besprochen, habe ich meine Facharbeit zum Thema D-MER geschrieben und eine Info-Website dazu erstellt: http://www.d-mer.info – das ist die erste deutschsprachige Website, die sich umfassend mit dem Thema D-MER beschäftigt. Ich hoffe, dass sie für betroffene Mamas hilfreich ist! 🙂
    Alles Liebe,
    Doris

  3. K
    Katharina

    Sehr spannend! Eine leise Stimme in mir fragt sich gerade, ob ich das wohl auch habe. Zwar habe ich alle Kinder gestillt, aber ein Quell der Freude war das für mich nicht. Ich habe alle gestillt, weil es rein rational die beste und passendste Ernährung für unsere Babys/Kleinkinder war, aber ich konnte das nur, wenn ich nebenbei gelesen habe. Ein Kind brauchte gefühlt besonders viele Stilleinheiten und mit jeder Einheit mehr wurde ich wütender. Besonders nachts hat es mich durch alle negativen Emotionen geschleust.

    Nun erwarten wir Nr. 4 und ich hadere arg mit mir. Fläschchen empfinde ich nach wie vor als nicht passend, auch aufgrund der Kosten, da ich ja definitiv stillen kann. Aber alleine beim Gedanken daran, dass wieder eine laaaange Stillzeit vor mir liegt, bekomme ich schlechte Laune.. ich bin gespannt, zu welcher Lösung ich für mich finden werde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert