Frauen, die eine Fehlgeburt erlebt haben, werden sich ein Leben lang daran erinnern. Und an dieses Kind denken. Vielleicht nicht mehr jeden Tag- aber doch immer wieder
In der Situation selbst ist es zunächst unvorstellbar, jemals wieder nicht daran zu denken. Später, wenn die Trauer oder die Wut eher in Wellen kamen, kann man sich nicht vorstellen, daran zu denken, ohne einen großen Schmerz zu spüren. Aber auch das verändert sich.
Natürlich spielt es auch immer ein große Rolle, ob nach einer Fehlgeburt noch Kinder nachkommen. Es geht dabei nicht darum, dass das nachfolgende Kind das andere ersetzt. Aber dieses Kind gibt einer Frau meist viel Vertrauen in den eigenen Körper zurück. Und es zeigt der ganzen Familie und einem allein so deutlich, dass das Leben weiter geht.
Aus dem Tunnel wieder rauskommen
Aber es wird nie so sein, dass man nicht mehr an diesen Kind denkt, was nur wenige Monate da war. Ein Kind, das kurz, aber dennoch so präsent im Alltag war – von Anfang an. Genau wie es Geschwister ab dem zweiten Strich auf dem Teststreifen auch waren. Denn auch mit diesem Kind gab es eine geplante Zukunft, die mit jedem schwangeren Tag konkreter wurde. Und die dann doch so jäh zu Ende ging.
Mit der Fehlgeburt ist diese gewünschte Zukunft nicht plötzlich egal. Man muss Abschied davon nehmen. Das braucht Zeit und Kraft. Auch viele Jahre später denkt man immer wieder mal daran und fragt sich, wie es wohl gewesen wäre. Wie die Zukunft mit diesem Kind ausgesehen hätte. Ganz rational betrachtet haben die meisten Fehlgeburten einen entwicklungsbedingten Grund (bei 50 bis 70 Prozent werden Chromosomenanomalien nachgewiesen). Und Fehlgeburten kommen wesentlich häufiger vor, als von den meisten Menschen angenommen. Zählt man auch noch die Schwangerschaften mit, die vor dem Ausbleiben der Regelblutung wieder enden, kommt man auf Zahlen von über 50 Prozent aller Schwangerschaften, die frühzeitig enden.
An manchen Tagen sind solche statistischen Denkspiele hilfreich. Viel hilfreicher ist es aber, wenn auch andere Frauen davon erzählen, was ihnen widerfahren ist. Das Gespräch mit der Freundin, die das selbst erlebt hat, kann eine große Hilfe sein und wertvoller als jedes andere tröstend gemeinte Wort. Der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen, die vorherrschenden Gefühle einzuordnen. Und gleichzeitig ein Lichtblick und die Hoffnung, aus diesem Tunnel wieder rauszukommen.
Die eigene Machtlosigkeit
Nicht selten setzen mit einer Fehlgeburt bei vielen Frauen Versagensgefühle ein oder auch die Befürchtung, durch eigenes Verhalten für die Fehlgeburt verantwortlich zu sein. Hatte ich zu viel Stress oder war es das Glas Wein, dass ich noch vor dem positiven Test getrunken habe? Dieser Gedanke, wenn ich doch dies oder das getan hätte, wäre mein Baby vielleicht noch da, er vervielfacht einfach nur den Schmerz. Schuldgefühle machen es oft noch schwerer, das Geschehen anzunehmen.
Doch darum geht es langfristig: Anzunehmen, was geschehen ist. Denn so sehr man es sich wünscht, man kann nichts tun oder rückgängig machen, wenn sich ein Kind entschieden hat, so früh wieder zu gehen. Diese eigene Machtlosigkeit auszuhalten ist wahnsinnig schwer. Und womöglich einen Sinn dahinter zu sehen, das fällt noch viel schwerer.
Oft werde ich als Hebamme gefragt, was man betroffenen Frauen in der Situation sagen kann. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Was gilt: Weniger ist hier oft mehr. Das Dasein und Zuhören ist viel wichtiger. Und oft auch für die betroffenen Angehörigen nicht leicht auszuhalten. Aber das trifft sicherlich auf nahezu alle Verluste zu. Ich glaube nicht, dass es für bestimmte Situationen „richtige“ Worte gibt. Und oft zeigt gerade ein ehrliches „Mir fehlen die Worte“ oder ein „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“ die Empathie des Gegenübers.
Von der Trauer zur sanften Melancholie
Auch im Hebammenkontext, in dem die professionelle Distanz den Umgang mit Fehlgeburtssituationen sicherlich etwas leichter gestaltet, ist oft das Raum geben für die Gefühle der Betroffenen wichtiger als konkrete tröstende Worte.
Anfangs denkt man Tag und Nacht an den Verlust. Doch das Denken verändert sich. Und auch die Gefühle dazu verändern sich. Die Trauer von einst weicht vielleicht einer sanften Melancholie. Die Last ist einem Annehmen gewichen und das Erlebte ist in das eigene Leben integriert . Für alle diese Prozesse gibt es kein Zeitfenster. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung.
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