Fehlgeburt – ein Kind, das fehlt

Genaue Zahlen dazu, wie viele Frauen tatsächlich eine Fehlgeburt erleben, gibt es nicht. Ungefähr jede zweite bis vierte Schwangerschaft endet vorzeitig. Oft schon ganz früh in den ersten Tagen. In Zeiten, in denen Schwangerschaftstests noch nicht so einfach und preiswert verfügbar waren, wussten Frauen oft gar nicht, dass sie schwanger waren. Sie haben diesen Umstand einfach nur als verzögerte Regelblutung wahrgenommen. Heute zeigen einige Tests schon drei oder sogar vier Tage vor der erwarteten Regel ein positives Ergebnis an. Und ab diesem Moment ändert sich für viele Frauen auch das Erleben. Auch in den ersten Tagen nehmen sie oft schon Kontakt mit dem Kind auf. Und vor allem planen sie unweigerlich eine Zukunft – mit diesem Kind.

Wenn dieses Kind dann nicht bleiben möchte, zerbricht diese Zukunft und die Eltern trauern um ihr Kind, auch wenn es nur kurz für einige Wochen oder wenige Monate bei ihnen gewesen ist. Von Fehlgeburten spricht man medizinisch, wenn das Kind vor der 22. Schwangerschaftswoche geboren wird und weniger als 500 Gramm wiegt. Ein großer Teil der Fehlgeburten passiert jedoch in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft.

Die Ursachen für eine Fehlgeburt sind vielfältig. Genetische, anatomische oder hormonelle Faktoren sind nur einige der möglichen Ursachen. In der Regel wird man gerade bei einer frühen Fehlgeburt nicht genau wissen, warum sich diese Schwangerschaft nicht weiter entwickelt hat. Eine Untersuchung des Kindes wird eigentlich nur angeboten, wenn Fehlgeburten gehäuft auftreten. Manche Frauen spüren von Anfang an, dass sich ihre aktuelle Schwangerschaft belastet anfühlt. Oder sie erkennen später, dass sie doch schon etwas geahnt aber es vielleicht verdrängt hatten. Andere Frauen sind komplett davon überrascht, dass beim Ultraschall kein Herzschlag mehr zu sehen ist oder mögliche Symptome wie leichte Wehen oder Blutungen den Beginn der Fehlgeburt ankündigen.

Kleine Geburt oder Curettage?

Die erste Reaktion, nachdem sicher festgestellt wurde, dass das Kind nicht mehr lebt, ist in der Regel ein Schock. Dieser Schockzustand „hilft“, dass wir Menschen von einer Situation wie dieser nicht vollständig überrollt werden. Die eigentlichen Emotionen sind durch den Schock erst einmal gedeckelt. Viele Frauen sagen, dass sie wie ein Roboter „funktioniert“ haben. Oft wird aber genau in dieser Situation schon besprochen, wie es weitergehen soll. Welche Optionen jetzt möglich sind. Noch immer wird im Krankenhaus oder beim Gynäkologen sehr schnell eine operative Beendigung der Schwangerschaft durch eine Curettage empfohlen. Die Möglichkeit einer kleinen Geburt durch Abwarten auf einen spontanen Wehenbeginn bzw. medikamentöses Einleiten wird immer noch nicht selbstverständlich angeboten.

Dabei ist diese Option gerade bei einer frühen Fehlgeburt in den ersten zwölf Wochen fast immer möglich. Dieser langsamere und weniger invasive Prozess wird von vielen Frauen als hilfreich beim Abschiednehmen und der seelischen Verarbeitung der Fehlgeburt empfunden. Idealerweise sollte diese auch „kleine Geburt“ genannte Option von einer Hebamme und vom betreuenden Gynäkologen begleitet werden. Und genau da liegt wohl das Problem. Nicht immer gibt es diese Betreuungsoptionen. Zudem sind kleine Geburten nicht so planbar wie ein Operationstermin und das Geschehen kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.

Die Vorstellung, viele Tage oder gar Wochen auf die kleine Geburt zu warten, erscheint vielen Frauen auch in besagtem Schockzustand als nicht aushaltbar. Eine schnelle Operation impliziert vielleicht, das so alles irgendwie „schneller vorbei“ ist. Doch das ist es nicht. Denn das Realisieren, Trauern und Annehmen wird in den folgenden Tagen, Wochen, Monaten oder auch Jahren stattfinden. Denn es ist nicht nur ein medizinischer Routineeingriff oder eine kleine Geburt, mit der die Fehlgeburt dann einfach vorbei ist. Es ist ein Kind, das fehlt. Das auch immer ein bisschen fehlen wird, egal ob und wie viele Kinder nach ihm noch geboren werden oder bereits geboren wurden.

Ein große Leere, die kleingeredet wird

Mütter aber auch Väter erinnern sich ein Leben lang auch an ihre Kinder, die sie nicht im Arm halten und durchs Leben begleiten durften. Und sind traurig darüber. Am Anfang ist es ein fast nicht aushaltbarer Schmerz. Aber wenn man das Trauern zulässt, wird sich dieser Schmerz verändern und wir akzeptieren das Geschehen – nach und nach. Vielleicht gibt es sogar auch positive Aspekte, die wir aus dieser Erfahrung mitnehmen. Jedes Kind hinterlässt seine Spuren, auch wenn es nur ganz kurz bei uns war.

Fehlgeburten sind also nie einfach nur ein körperlicher Prozess, bei dem das „eigentliche Ziel“, nämlich die Austragung eines Babys, verfehlt wurde. Es ist das viel zu frühe Ende der gemeinsamen Zeit mit unserem Kind, welches uns immer ein bisschen fehlen wird. Und unmittelbar nach der kleinen Geburt hinterlässt es eine große Leere, die häufig noch viel zu oft kleingeredet wird. Deswegen braucht es auch ein kleines Wochenbett, in dem nicht nur der Körper, sondern auch die Seele heilen kann. In dem das Geschehen eingeordnet und langsam verarbeitet wird.

Deshalb ist es gut, sich auch vor, bei und nach einer Fehlgeburt von einer Hebamme begleiten zu lassen. Vielen Frauen ist diese Möglichkeit überhaupt gar nicht bewusst. Genauso wenig wie sie wissen, dass nach der Feststellung der Fehlgeburt in der Regel erst einmal kein Grund zur Eile oder für übereilige Entscheidungen besteht. Auch in dieser Situation sollten Frauen unbedingt die Möglichkeiten bekommen, selbst zu einer informierten Entscheidung zu finden. Das Thema kleine Geburten betrifft viele Frauen und deshalb sollte es niemand klein reden.

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Kommentare

6 Antworten zu „Fehlgeburt – ein Kind, das fehlt“

  1. C

    Der Artikel hat in mir ein neues – weiteres Licht – angezündet. Besonders bewegt hat mich die Aussage zum kleinen Wochenbett, denn es trifft so sehr meine Erfahrungen und meine Realität.
    Ich eelebte vier Möglichkeiten: Curettage, kleine Geburt, Stille Geburt und Sectiogeburt. Was immer zu kurz kam, war das Wochenbett, der Rückzug, das vollständige Loslassen. Sicher auch aufgrund Prägungen von mir so entstanden. Deshalb ist es so gut von außen darauf aufmerksam gemacht zu werden. DANKE!!
    Der zweite wichtige Aspekte ist definitiv eine vollständige Aufklärung zu allen Möglichkeiten, doch liegt es am Wissen und der Empathie der Betreuungspersonen, was sie hier mitgeben. In meiner Wahrnehmung will jede medizinische Fachkraft das beste für die Patientinnen. Jedoch betrachten sie auch immer „das beste“ durch den eigenen Filter. Da erkennt man dann von außen, wie bunt der Filter ist.

  2. U
    Ursula

    Liebe Anja,
    dies ist der erste Artikel, den ich gefunden habe, der endlich so viele Wahrheiten über dieses Thema enthält. Als ich mein Baby verloren habe, hat mir die Frauenärztin keine Alternative zur Ausschabung vorgeschlagen. Ich bin nicht mehr hingegangen. Ich habe keine einzige Hebamme gefunden, die mich begleiten wollte. Es gab kaum Informationen im Netz. So habe ich mir selber Tees zusammengestellt, um den Abbau der Schleimhäute zu verstärken. Ich habe mich so alleingelassen gefühlt.
    Es betrifft so viele Frauen und es gibt so wenig Unterstützung. Und es hinterlässt solche Narben auf der Seele. Danke für den wirklich treffenden Artikel.
    Liebe Grüße
    Ursula

  3. A
    Annemarie

    Wir haben 2017 ein Kind in der 11.SSW verloren. Wir bekamen keine umfassende Beratung. Als die Operation eingeleitet wurde, hatte ich schon starke Wehen.
    Ich finde es immernoch schlimm, dieses Baby nicht in der Hand gehalten zu haben und nicht zu wissen, was sie mit ihm gemacht haben.
    Erst jetzt weiß ich, dass man sich beraten und betreuen lassen kann. Ich wusste bis dahin nicht mal, dass sie Sternenkinder heißen.
    Warum wird über dieses Thema so wenig aufgeklärt?

  4. G
    Gudrun Bertuleit

    Ich habe 2 Kinder verloren: Unseren ersten Sohn (unser drittes Kind) in der 26. SSW und ein Mädchen in der 20. SSW. Beim Sohn lag eine Blutvergiftung vor durch unsachgemäßes Anbringen einer Cerclage. Bei unserer Tochter blieb einfach das Herz stehen.
    Damals gab’s noch keine Gräberfelder für Sternenkinder. Man hat mir versichert, man hätte den kleinen Körper (unsere Tochter passte gerade in eine Spuckschüssel) nicht gemeinsam mit dem Klinikmüll entsorgt – man muss dieser Aussage vertrauen, aber nichtsdestotrotz ist es schlimm zu wissen, dass das Kind, das man in sich spürte, einfach in einem Ofen verbrannt wurde, und vielleicht doch mit anderen Dingen zusammen?
    Vor allen Dingen gibt’s keinen Platz, zu dem man gehen kann, kein Grab, kein Blumenfeld… Das war nicht einfach!

  5. A
    Anna

    Danke Anja,
    ich habe Deinen Bericht gerade im Zug gelesen. Ich bin auf dem als ich auf Weg vom Büro zur Beisetzung der Sternenkinder. Dort werden auch meine Zwillinge beerdigt, die ich am 15 März Ende der 8 Woche verloren habe. Ich bin sehr froh, dass sie nicht im Müll landen und wir einen Ort zum trauern haben werden.
    Der Artikel kommt für mich also genau zur rechten Zeit.
    Liebe Grüße,
    Anna

    1. K
      Kerstin Hoffmann-Kreis

      Danke Anja für diesen tollen Bericht. Ich habe mein erstes Kind Ende der 7. SSW verloren. Es ging ohne Op Im Krankenhaus sagte mir die Schwester, ich solle mich nicht so anstellen, was weg ist ist weg. Danach bekam ich eine wundervolle Tochter.
      Das 3. Kind ging Ende der 9. SSW, ich wurde mit der Op fast überrumpelt. Ich habe tagelang nur geweint. Wir haben noch eine wundervolle Tochter bekommen.
      Ich frage mich aber immernoch wie beide Kinder jetzt aussehen würden oder was sie für Menschen wären.
      Damals wusste ich nicht, das man so früh eine Hebamme haben kann

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