Milchstau kennt keinen Vatertag

Himmelfahrt. Herrlich, so ein freier Tag mitten in der Woche kommt genau richtig. Vatertag, Herrentag, mir egal, hauptsache frei. Manchmal braucht es einfach jenseits vom Wochenende Tage, an denen alles etwas entspannter läuft. An denen keiner Punkt Acht los muss, keine Brotbüchsen bestückt werden müssen und wir uns einfach so locker in den Tag mogeln…

Das war zumindest der Plan, bis mir Anja am Vorabend sagte, dass sie morgens noch einen dringenden Hausbesuch machen muss. Natürlich an besagtem Feiertag, der doch ihrer Ankündigung zufolge „verlässlich frei“ sein sollte. Schließlich steht keine ambulante Geburt an und niemand ist gerade mehr im Frühwochenbett – also die Situationen, in denen Anja tägliche Hausbesuche bei den Wöchnerinnen macht – auch an Sonn-und Feiertagen. Aber an Himmelfahrt hat der natürliche „Feind“ des Hebammenmannes mal wieder zugeschlagen: der Milchstau.

Dem kleinen Sohn geht es ähnlich. Als Anja losgehen will, jammert er: „Mama nicht Arbeit heute gehen, Mama bleiben soll hier!“, als Anja um 9.30 Uhr das Haus verlässt. Natürlich macht auch sie das traurig, aber auch den Kleinen. Ich versuche ihn zu trösten, in dem ich sage, dass Mama in einer halben Stunde wieder da sein wird. Immerhin wohnt die Familie im Kiez um die Ecke. Doch ich bin gerade nur ein schwacher Trost und kriege ein „Blöder Papa“ als Retourkutsche an den Kopf gepfeffert. Anja fühlt sich aber gerade mindestens genauso blöd, das hat ihr Blick beim Gehen deutlich gezeigt…

Familien am Rande des Wahnsinns

Anderseits nervt es mich schon immer wieder, dieser „verständnisvolle Hebammenmann“ zu sein, der wieder und wieder puffert, wenn in anderen Familien die Luft und mehr brennt. Manchmal möchte ich einfach wie geplant zu fünft unterwegs sein. Nicht, weil ich es mit den Kindern nicht alleine hinbekommen würde, eine gute Zeit zu haben. Sondern einfach weil es meist schöner, lustiger und entspannter ist, wenn Christian und Anja mit ihren Kindern gemeinsam unterwegs sind. Aus der geplanten halben Stunde wird natürlich eine ganze Stunde. Aber nun kann der Feiertag immerhin beginnen…

Nun, so ganz dann auch nicht. Denn Anja erzählt mir, dass sie abends noch einmal zu der Wöchnerin muss, der es offenkundig wirklich nicht gut geht. Nun, was soll man da machen? Es ist weder ein Problem, die Kinder alleine ins Bett zu bringen, noch die Zeit am Abend alleine sinnvoll zu genießen, falls wider Erwarten alle Kids rasch schlafen sollten. Und trotzdem nervt es mich an manchen Tagen einfach. Vielleicht, weil ich weiß, wie schlecht diese Besuche mitten in der wertvollsten Familienzeit bezahlt werden von den Krankenversicherungen. Da wünscht man als „verständnisvoller Hebammenmann“ innerlich der Frau eines verantwortlichen Versicherungsmanagers oder einer nicht handelnden Politikerin einen Milchstau nach dem anderen an die Brust. Vielleicht, weil ich weiß, wie wenig die Arbeit der Hebammen an vielen Stellen wert geschätzt oder – schlimmer noch – sogar belächelt wird. Es gibt immer noch Menschen, die denken, dass die Hebammen bei Hausbesuchen Kaffee trinkend süüüüße Babys auf dem Arm schaukeln. Die sollten mal selbst erleben, wie Anja wieder und wieder Scherbenhaufen bei ihren Besuchen zusammenkehrt und Familien am Rande des Wahnsinns wieder in die Spur bringt.

Dann denke ich an unsere Wochenbetten und an die verzweifelten Tage, wo Anja ihr eigener Milchstau schmerzte, unser schreiendes Baby nicht trinken wollte und ich übermüdet und hilflos auf der Bettkante neben meiner weinenden Frau saß. Ich denke an unsere Hebamme, die dann kam und uns alle rettete. Auch unsere Hebamme wirkte immer so, als ob sie kein Privatleben hat. Ich weiß nicht mehr, ob wir sie Sonntags angerufen haben, vermutlich schon. Sie hat uns niemals das Gefühl gegeben, dass wir nerven und unsere Probleme an Feiertagen und Wochenenden doch bitte selbst geregelt bekommen sollen. Sie beruhigte meine Frau und viele Male auch mich. Sie versicherte uns, dass alles gut werden würde – und es wurde alles gut. Wenn ich daran denke, bin ich nicht mehr so genervt von der beruflichen Abwesenheit von Anja am Feiertag. Aber ich bin extrem genervt davon, dass Politiker und Versicherungsmanager auch nur eine Sekunde daran zweifeln, wie wichtig die Arbeit der Hebammen für jede Familie ist, die ein Kind bekommt.

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Kommentare

12 Antworten zu „Milchstau kennt keinen Vatertag“

  1. T
    trudi

    Es ist eine Schande, daß Eure Arbeit nicht besser gewürdigt wird!

  2. K

    Mein Mann arbeitet im Schichtdienst, in der Pflege. Die kennt leider auch weder Wochenende noch Feiertag. Ich fühle mit dir.

  3. S

    …es gibt also noch mehr von der Sorte.
    Am Vorabend des „Herrentags“ klingelte mal wieder das „Rote Geburtenhandy“ und so begab es sich, dass meine Frau die folgenden rund 24 Stunden in der Klinik verbracht hat. Kurz vor der „geplanten“ Übergabe der Türklinke (mitsamt den Kindern) an meine Frau musste ich jedoch selbst zum Nachtdienst und habe meine weinenden Kinder in der Obhut des Babysitters gelassen und bin unter Tränen zur Arbeit gefahren.
    Medicine – fucking your Life to save others.

  4. […] Wochenende ja eines von den verlängerten Wochenenden im Mai, aber da ich an Himmelfahrt doch unerwartet arbeiten musste, begann es doch erst etwas später. Aber mit einem von den Töchtern im Alleingang gedeckten […]

  5. S
    Saphira

    Dafür darfst du von mir aus heute beim Pokern gewinnen – auch wenn mein Mann dann weniger gewinnt….aber wir haben wenigstens angekündigte Nacht-, Spät- und Feiertagsdienste – und entsprechende Bezahlung!

  6. D
    Doris

    Hallo Christian, schade, daß Deine Frau eine Alleinkämpferin ist! Wir arbeiten im Team und wechseln uns an den freien Tagen ab. Sie sollte sich mit Kolleginnen zusammen schließen, dann gibt es auch als Hebamme frei!

    1. A
      Anja

      Liebe Doris,

      unsere regelmäßiges Vertretungsteam hat sich längst halbiert und damit nutzt man das doch nur noch, wenn man wirklich auch wegfährt o.ä.. Eine ist in Elternzeit, eine studiert, eine arbeitet in der Hebammenschule, eine ist ausgewandert, die nächste Kollegin plant den Ausstieg…. Da wird es leider selbst mit dem Vertreten eng:(

      Liebe Grüße, Anja

  7. B
    Bernhard Münzer

    Lieber Christian, ganz genauso sieht unser Familienleben seit inzwischen über 20 Jahren aus.

  8. H
    Helmut

    Lieber Christian, Danke! Darf ich mich als ebenfalls betroffener Hebammenmann 150%ig deiner Meinung anschließen …

  9. J
    Julia

    Vielen Dank für diese rührende Sicht der Dinge!
    Vielleicht liest hier ja mal der oder die Richtige mit!
    Alles Gute für euch und ein erholsames Wochenende zu fünft!

  10. I
    Isabelle

    Danke, danke, danke!

  11. M

    Christian, du schreibst mir aus dem Herzen! Mir ging es gestern ähnlich, allerdings war es nicht der Milchstau sondern ein 5 Tage altes Kind mit Neugeborenengelbsucht. Da wäre ich also so oder so los.
    Aber ich bin gerade wieder müde:
    müde, regelmäßig keine freien Wochenenden zu haben,
    müde, zu wissen, dass ich dieses Jahr hunderten von Frauen absagen muss, weil ich erst wieder ab 2016 Betreuungen annehmen kann,
    müde, zumindest bis abends um neun für große und kleine Fragen ein verständnisvolles offenes Ohr zu haben,
    müde, wenn ich die im Gegensatz zur geleisteten Arbeit lächerlich geringen Rechnungsbeträge sehe, weil ich mal wieder nicht wirtschaftlich war und meine Hausbesuche i.d.R . länger als zwanzig Minuten dauern,
    Und wenn ich dann sehe, wieviele (im Sinne von maximal einer handvoll) Familien dann zu einer unserer Aktionen kommen, dann frage ich mich tatsächlich manchmal, ob es sinnvoll ist, sich regelmäßig in seiner Freizeit zu beschneiden…
    Sorry, ich liebe es Hebamme zu sein, aber gerade bin ich etwas gefrustet.

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