Ohne Zwischenschritte keine Meilensteine

Nie wieder verläuft die Entwicklung eines Menschen so schnell wie im ersten Lebensjahr. Besonders deutlich merken wir das, wenn uns an dessen ersten Geburtstag das damals so winzige und hilflose Neugeborene entgegen krabbelt oder mit wackeligen Schritte auf uns zu läuft.

Das erste bewusste Lächeln, das erste Greifen bis hin zum ersten Drehen – gerade beim ersten Kind verfolgen wir Eltern diese Entwicklungsschritte ganz genau. Und die wenigstens kommen drum herum, den Status der Entwicklung immer wieder hier und da mit dem Baby der Nachbarn oder den anderen Kindern im Krabbelkurs zu vergleichen. Auch wenn uns schon in der Schwangerschaft mehrfach gesagt wurde, dass jedes Baby sich individuell entwickelt. Zumindest in Remo Lagos Buch „Babyjahre“ wird noch mal schnell nachgelesen, ob das eigene Kind nicht doch aus dem Entwicklungszeitfenster fällt.

Bereits in der Schwangerschaft halten wir mit Meilensteinkarten fest, was uns das Baby im Bauch oder die Ärztin beim Ultraschall verrät. Von der Weintraube zur Avocado zur Melone…

Das Festhalten der großen Entwicklungsmomente nimmt nach der Geburt erst richtig Fahrt auf. Während sich in der Schwangerschaft vor allem die Eltern für die noch im Verborgenen stattfindenden Entwicklungsdetails interessieren, sieht es danach schon ganz anders aus. Denn nun interessieren sich auch noch allerlei Menschen im Umfeld dafür. Und es wird danach gefragt, ob das Baby sich schon dreht, krabbelt, läuft oder „Mama“ sagen kann.

Das ganze erste Lebensjahr als rasante Entwicklungsphase

Und auf den niedlichen Milestone-Karten können wir Eltern in Schrift und Bild wieder festhalten, an welchem Tag genau die erste Drehung vom Rücken auf den Bauch gelang. Oder eben, wann das Kind die ersten freien Schritte wagte.

Und natürlich sind das immer bewegende Momente, wenn das kleine Menschlein etwas neues kann. Oder wenn es sich plötzlich selbstständig von der Stelle bewegt. Aber vor lauter Feiern der Meilensteine sehen wir manchmal gar nicht die vielen kleinen Zwischenschritte, die eben genau dahin geführt haben. Bevor sich das Baby auf den Bauch dreht, muss es eine bestimmte Rumpfstabilität erlangen. Und es muss die entsprechende Hand-Hand-Koordination eingeübt haben. Vor allem aber passiert auch zeitgleich im Gehirn eine große Entwicklung, die das Drehen erst möglich macht. All diese Details entwickeln sich bereits bevor man dann sozusagen als Endergebnis das umgedrehte Baby sieht. Bestimmte Bewegungsabläufe übt ein Baby etliche Male.

Und es lassen sich für alle Meilensteine viele Zwischenschritte beobachten. Um laufen zu lernen, muss das Kind erst ein mal über den Kniestand in den aufrechten Stand kommen. Bevor das Baby das erste Mal bewusst nach einem Spielzeug greift, hat es sich schon ganz intensiv mit einen eigenen Händen auseinandergesetzt. Es kann sie in der Körpermitte zusammenbringen und mit dem Mund erkunden. All dies und viel mehr sind wichtige Entwicklungsschritte. Aber sie sind für die Meilensteinkarten „nicht relevant“ genug. Oder man bräuchte noch wesentlich mehr Karten, weil das ganze erste Lebensjahr eine einzige rasante Entwicklungsphase ist. 

Im Hebammenalltag merke ich das immer sehr deutlich, wenn es von den täglichen Hausbesuchen auf größere Abstände dazwischen übergeht. In ein paar Tagen oder Wochen passiert so wahnsinnig viel. Und natürlich so viel mehr, als auf sämtlichen Meilensteinkarten steht.

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