Frauen bekommen ihr erstes Kind immer später. Damit steigt auch der Anteil an Frauen, die das erste oder ein weiteres Kind mit Über 35 Jahren bekommen. Im Mutterpass bekommen sie mit dem ersten Ultraschallbild zusammen auch gleich das Kreuz für die Risikoschwangerschaft. Nur aufgrund ihres Geburtsdatums.
Viele Schwangere über 35 Jahre sind Frauen, die gesund sind, sich vernünftig ernähren und in guten sozioökonomischen Verhältnissen leben. Beste Voraussetzungen also, um eine gesunde Schwangerschaft, eine normale Geburt und ein komplikationsloses Wochenbett zu erleben.
Wenn da nicht ihr Alter und das damit verbundene Häkchen bei Punkt 14 „Schwangere über 35 Jahren“ im Mutterpass wäre. Allein das Kreuz an dieser Stelle macht den erst einmal gesunden Zustand Schwangerschaft zu einer Risikoschwangerschaft. Statistisch ist es tatsächlich so, dass bestimmte Komplikationen wie Fehlgeburten, Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie oder Gestationsdiabetes bei Frauen häufiger vorkommen, die älter sind. Wesentliche Risikofaktoren sind aber auch hier bestehende Grunderkrankungen, die bei älteren Menschen vergleichsweise häufiger auftreten. Doch ebenso können natürlich auch jüngere Frauen etwa an Bluthochdruck oder anderen Erkrankungen leiden. Letztlich sind jeder Mensch, jeder Gesundheitszustand und jeder Verlauf immer individuell zu betrachten.
Auch andere Faktoren wie ein zu hohes oder zu niedriges Körpergewicht können gesundheitliche Risiken bergen. Können, müssen aber nicht. Denn zuallererst sind das Alter und oder das Gewicht eines Menschen erst einmal nur Zahlen, die nichts über den tatsächlichen Verlauf einer Schwangerschaft oder einer Geburt aussagen. Trotzdem werden Schwangere schon in den ersten Wochen damit konfrontiert, dass ihre Schwangerschaft irgendwie doch „gefährlich“ sei. Mit diesem Gefühl und dem damit verbundenen Stress gehen sie durch eine Zeit, in der Frauen eigentlich vor allem guter Hoffnung sein sollten.
Der Druck ist höher
Auch die Pränataldiagnostik wird früh zum Thema, weil das Risiko des Auftretens von Chromosomenanomalien mit dem Alter ansteigt. Es ist immer die Entscheidung der Eltern, was sie untersuchen lassen wollen und was nicht. Doch Frauen über 35 wird mitunter schon fast schon „Fahrlässigkeit“ vorgeworfen wird, wenn sie sich gegen eine Diagnostik diesbezüglich entscheiden. Jüngeren Schwangeren wird hier das Recht auf Nichtwissen doch etwas mehr zugestanden. Natürlich sind alle Entscheidungen rund um die Pränataldiagnostik immer höchst individuell zu betrachten. Aber der Druck ist schon höher, sobald eine werdende Mutter eine bestimmte Altersgrenze überschritten hat.
All diese Dinge können Stress und Angst bei der werdenden Mutter auslösen. Stress ist übrigens auch ein Risikofaktor für bestimmte Komplikationen. Das wird allzuoft vergessen, wenn Frauen schon zu Schwangerschaftsbeginn gesagt wird, wie risikobehaftet ihre Situation nur allein aufgrund des Alters sei. Natürlich spricht nichts dagegen, eine Schwangerschaft angemessen zu begleiten. Aber zu viel ist auch manchmal zu viel des Guten oder Gutgemeinten. Und dass eine Risikoschwangerschaft anders abgerechnet werden kann, macht es vielleicht auch wirtschaftlich interessant, diese „Diagnose“ voreilig zu stellen. Auch mit Blick auf die Geburt wird das Alter oft zum Stressfaktor. So wird die Einleitung gerne schon vor dem errechneten Termin empfohlen. Und die erhöhte Kaiserschnittrate bei älteren Gebärenden hat nicht selten allein die Indikation „Angst“.
Auch Leitlinien ersetzen nicht den individuellen Blick auf jede einzelne Schwangerschaft. Ein pauschales Vorgehen für alle Frauen aufgrund eines gemeinsamen Parameters wie zum Beispiel des Alters ist sicher selten sinnvoll. Darum bereitet es mir Sorge, wenn Frauen schon in den ersten Schwangerschaftswochen ihre Anfrage für Hebammenbetreuung mit den Worten beginnen: „Kurz zu mir: Ich bin 39 Jahre alt (eine Risikoschwangerschaft, auch wenn ich mich nicht so fühle!)“. Oder beim Blick in ihren Mutterpass Angst bekommen, weil da in rot „Risikoschwangerschaft“ angekreuzt ist. Mehr Vorfreude und weniger Sorge tun Mutter und Kind gut. Das sollte nicht vergessen werden auf der ständigen Suche nach Risiken.
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