Stillen zwischen Verunsicherung und Bauchgefühl

Dies ist der 49. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Jasmin ihre persönliche Stillgeschichte teilt. Die 43-Jährige wohnt im Rhein-Main-Gebiet und arbeitet als Lehrerin am Gymnasium mit einer halben Stelle. Sie ist verheiratet und ist Mutter von zwei Söhnen. „Ich gehe gern mit meinen Kindern in die Natur und ich koche gerne, denn das entspannt mich“, schreibt Jasmin.

Hier erzählt sie von den zwei Stillgeschichten mit ihren Söhnen – die doch sehr unterschiedlich verlaufen sind.

Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Ich hatte null Erfahrungen mit dem Stillen. Ich hatte es noch nie von Nahem gesehen. Bin auch selbst nicht gestillt worden.

Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Ich habe mich, nachdem ich endlich nach eineinhalb Jahren Kinderwunschbehandlung mit meinem ersten Sohn schwanger war, sehr auf das Stillen gefreut. Ich habe ganz viel dazu gelesen und nachgedacht, wie sich das wohl anfühlt. Mein Wunsch war, dass ich mindestens ein Jahr lang stillen wollte. Ich wusste von Anfang an, dass ich nach einem Jahr wieder arbeiten gehen würde und dachte, eine schöne Stillbeziehung könne die tägliche Trennung etwas kompensieren.

Ich habe es mitgemacht

Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Mein erster Sohn kam per Kaiserschnitt wegen Beckenendlage. Nach der Geburt hat es eine Weile gedauert, bis ich ihn endlich halten konnte. Er war sehr müde und ließ sich nicht anlegen. Ich fragte die Hebamme, aber sie sagte, dabei würden mir die Schwestern auf Station später helfen. Erst abends, zwölf Stunden nach der Geburt, traute ich mich dann, ausdrücklich noch mal um Hilfe zu bitten. Dann hat er zum ersten Mal gesaugt.

Ich war sehr verunsichert. Die Schwestern gaben mir genaue Anweisungen, wann und wie lange ich stillen sollte. Immer 20 Minuten pro Seite und wenn er einschliefe, was immer nach zwei Minuten passierte, dann sollte ich ihn ausziehen und mit einem Waschlappen abreiben und an den Fußsohlen kratzen. Das war sehr anstrengend. Jetzt wo ich es wieder aufschreibe, klingt es furchtbar. Aber ich habe es mitgemacht.

Nach der ersten Nacht nach dem Milcheinschuss habe ich morgens ganz stolz verkündet, dass er 14 Mal in der Nacht von allein an die Brust gegangen war. Darauf schnauzte mich die Schwester an, ob ich denn Dauerstillerin werden wollte. Es wurde im Krankenhaus von Anfang an Premilch zugefüttert. Davon sind wir aber zuhause losgekommen.

Sehr liebevoll und einfühlsam

Mein zweiter Sohn kam auch per Kaiserschnitt, das war mein Wunsch. Ich habe mir nie eine Geburt zugetraut. Als er rauskam, schrie er wie am Spieß. Auf meinen Wunsch hin wurde er erstmal zu mir gegeben – und da hörte er auf zu schreien und begann, an seinen Fingern zu saugen. Als ich zugenäht war, legte ich ihn an und er saugte mit einer wahnsinnigen Intensität.

Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Beim ersten Sohn war es sehr beschwerlich. Stillhütchen, Schmerzen, weinen, Brustentzündung mit über 39 Grad Fieber. Die Hebamme, die zu uns nach Hause kam, war sehr liebevoll und einfühlsam. Ohne sie hätte es nicht klappen können. Beim zweiten Sohn gab es auch Stillhütchen. Wir badeten in Milch, weil er von Anfang an sehr viel an die Brust wollte. Auch hier hatten wir eine andere, wunderbare Hebamme, die sich mit uns freute, wie gut diesmal alles klappte. Sie besprach mit mir auch nochmal die Stillgeschichte beim ersten Kind, die so schmerzhaft war. Das tat sehr gut.

Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für dich da? Wer oder was hat dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Nachdem die Hebamme nicht mehr kam, gab es nach der ersten Geburt keine Unterstützung mehr. Es gab sehr viele schwierige Momente, zum Beispiel Schreien an der Brust. Ich habe wohl den Fehler gemacht, ihn immer wieder anzulegen, obwohl er nichts wollte. Er trank immer nur zwei Schlücke, das wars. Als er sechs Monate alt war, sagte die Kinderärztin, ich hätte sicherlich keine Milch mehr und sollte auf Flaschennahrung umstellen. Das tat ich schweren Herzens. Ab da schlief er zwölf Stunden lang durch und stillte sich innerhalb von zwei Wochen komplett selbst ab. Ich pumpte noch weitere zwei Monate ab und gab dann schweren Herzens auf.

Immer mit negativen Reaktionen gerechnet

Das Stillen beim zweiten Kind war in den ersten sechs Monaten unproblematisch und schön, aber auch anstrengend. Tag und Nacht stillte mein Sohn alle zwei Stunden. Bei meinem ersten Kind bin ich immer zum Stillen nach Hause oder irgendwo auf die Toilette gegangen. Beim zweiten Kind stillte ich schon bald auf dem Spielplatz, bei Ikea in der Möbelausstellung, auf einer Parkbank, auf dem Straßenfest. Ich habe immer mit negativen Reaktionen gerechnet, aber sie kamen nie.

Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Auch der Beikostbeginn war für und mit dem ersten Sohn sehr steinig. Er interessierte sich nicht für Essen. Ich hielt mich an die landläufigen Empfehlungen und sie brachten mich zur Verzweiflung. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Sohn jemals ein ganzes Gläschen zu sich genommen hätte. Ich hab auch manchmal selbst Brei gekocht, aber das war auch nicht besser. Der Stress war enorm.

Mir graute vor dem Füttern. Er interessierte sich in den ersten zwei Jahren auch nicht unser Essen. Er wollte meist nur Milch, aß Bananen und probierte mal einzelne Lebensmittel. So blieb es, bis er drei Jahre alt war. Auch heute entscheidet er, was er isst – und oft ist es sehr wenig. Er ist sehr schlank und kerngesund. Seit sein Bruder beim Essen den Ton angibt, ist er aber experimentierfreudiger geworden.

Echte Nähe tanken

Beim zweiten Sohn begannen wir früh, ihm Essen zu geben, weil er sich sehr früh schon für unsere Teller interessierte. Mit fünfeinhalb Monaten kaute er alles, was man ohne Zähne kauen kann. Er hat sich nie verschluckt, von Anfang an Profi beim Essen. Er isst ALLES. Brei haben wir ihm ab und an gegeben, aber er brauchte ihn gar nicht. Das Stillen hat sich wie im Lehrbuch langsam zurückgebildet, das hat allerdings lange gedauert. Mit zwölf Monaten trank er noch zwei bis dreimal am Tag und nachts. Mittlerweile trinkt er nur noch zum Einschlafen und nachts. Manchmal fünfmal pro Nacht, etwa wenn er krank ist, manchmal erst in den frühen Morgenstunden.

Was war oder ist das Schönste für Dich am Stillen?
Beim zweiten Sohn war das Schönste am Stillen für mich, dass es uns im oft hektischen Alltag eine Ruhepause bietet und ich das Gefühl habe, mein Sohn kann echte Nähe tanken. So war es während der Kitaeingewöhnung und in den Monaten danach. Und dass er so problemlos an der Brust einschläft. Beim ersten Sohn erinnere mich an meinen kleinen Wurm, der nachts so genügsam war. Einmal kurz an der Brust genuckelt und direkt wieder eingeschlafen. Das war sehr süß. Nach dem Abstillen schlief er noch laaaange bei uns im Bett, weil sich das durch das Stillen so eingependelt hatte. Und über diese Kuscheljahre bin ich froh, nun da sie vorbei sind und er schon ein Schulkind ist.

Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Beim zweiten Sohn ist das Schwierigste am Stillen ist, dass nachts nur die Mama und die Brust verlangt wird. Nichts anderes wird toleriert. Versucht mein Mann zu trösten, erhebt sich lautes Protestgebrüll. Das ist in Krankheitsphasen sehr kräftezehrend. Und das Allerschwierigste kommt noch: Wie soll ich ihn jemals von der Brust entwöhnen? Ich fahre kurz nach seinem zweiten Geburtstag zum ersten Mal zwei Nächte auf Klassenfahrt.
Beim ersten Sohn war das Schlimmste, dass ich das Gefühl hatte, versagt zu haben. Diese Traurigkeit hielt an bis zum ersten Geburtstag, dann konnte ich loslassen.

Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Das Leichteste und Schwierigste zugleich: Hör nur auf dein Bauchgefühl. Bei meinem ersten Kind ist mir das nicht gelungen. Bei meinem zweiten Kind funktionierte es, aber da waren die Rahmenbedingungen auch viel günstiger.

UPDATE August 2020:
Die Stillzeit mit meinem zweiten Sohn endete nach ca. 30 Monaten, sie überstand auch zwei Tage Trennung wegen einer Klassenfahrt. Es wurde allmählich immer weniger. Zuerst stillte ich nachts ab. Am Schluss stillte ich nur noch zum Einschlafen abends. Dieses Einschlafstillen wurde dann immer seltener. Am Ende lagen auch mal fünf Tage Pause dazwischen. Es war ein stressfreier Ausklang, der sich über Monate hinzog. Wir haben unseren ganz eigenen Weg gefunden, was mich sehr freut.

Ich wünschte, ich hätte bei meinem ersten Sohn die eher kurze Stillerfahrung nicht als Versagen erlebt. Stillen ist bunt – und das beinhaltet eben auch, dass es manchmal ein steiniger oder ein kaum begehbarer Weg sein kann.

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