Von der Windel zum Töpfchen

Selbst wenn das Windelwechseln mit einem Ritual verbunden ist, das Kind vielleicht sogar in der Mehrzahl der Wickelsituation kooperativ beteiligt ist und sich nicht gegen das Windelwechseln sträubt und wegrennt, ist es für viele Eltern doch eine weniger beliebte Alltagsroutine. Das gilt besonders nach dem Beginn der Beikostzeit. Das „Trockenwerden“ des Kindes bzw. die Töpfchenreife wird daher von vielen Eltern herbeigesehnt. Wichtig ist bei allen Wünschen jedoch, dass die Möglichkeiten und Reifung des Kindes im Blick behalten werden auf dem Weg von der Windel zur Toilette.

Um zu verstehen, wie sich das Kind von der Windel lösen kann, müssen wir zunächst einen Blick darauf werfen, warum das Baby eine Windel trägt. Es ist nämlich keinesfalls so, dass alle Babys weltweit Windeln tragen würden. In vielen Kulturen werden Babys ab der Geburt für die Ausscheidung „abgehalten“. Das bedeutet, dass die Bezugspersonen die Signale des Babys zunächst kennenlernen und nach und nach verstehen, welche Signale für ein Ausscheidungsbedürfnis stehen.

Einige Babys zeigen mit Unruhe, andere mit einem kurzen Schrei an, dass sie ausscheiden müssen. Die Bezugsperson reagiert auf dieses Signal, indem das Baby in Hockstellung über ein Behältnis oder in die Natur gehalten wird, wo es dann Blase und/oder Darm entleeren kann. Statt Windeln tragen die Babys dort eine Beinbekleidung, die dieses Abhalten schnell ermöglicht, etwa lange Oberteile oder Split-Pants, bei denen die Stofflagen im Schritt nicht miteinander vernäht sind und sich beim Anhocken öffnen.

Innerhalb der ersten Lebensjahre trocken

Hierzulande ist diese Technik unter „abhalten“, „windelfrei“ oder „Elimination Communication“ (Ausscheidungs-Kommunikation) bekannt und wird von einigen Familien erfolgreich praktiziert. Auch wenn sich die Ausscheidungssignale über die Babyzeit hinweg verändern, lernen die Kinder von Anfang an, ihr Ausscheidungsbedürfnis wahrzunehmen und mitzuteilen. Viele Kinder, die „windelfrei“ aufwachsen, sind daher schon innerhalb der ersten Lebensjahre trocken.

Es gibt jedoch eine Vielzahl an stichhaltigen Gründen, warum Familien dennoch Windeln nutzen, beispielsweise weil sie keine Option wie das Abhalten kennen, oder weil es in ihrer Situation nicht praktikabel im Alltag ist. Jede Familie wählt den zu ihnen passenden und möglichen Weg und es ist keinesfalls so, dass „Elimination Communication“ notwendig wäre, um eine sichere Bindungsbeziehung aufzubauen.

Wichtig ist jedoch, zu verstehen, dass wir, wenn wir die Windel als Ort für Ausscheidungen wählen, dem Kind zunächst beibringen, dass dies der richtige und gewählte Ort für die Ausscheidungen ist und es jederzeit an jedem Ort die Windel füllen kann. Der Weg weg von der Windel ist daher ein Weg hin zu einem Wahrnehmen und Interpretieren von Körpersignalen und Erlernen eines neuen Zielortes für die Ausscheidungen. 

Sensibilität für Körperwahrnehmung und Signale entwickeln

Viele Kinder zeigen zumindest vor dem Absetzen von Stuhl auch in späteren Jahren noch Anzeichen eines Ausscheidungsbedürfnisses. Vielleicht werden sie ruhiger, vielleicht verziehen sie das Gesicht oder ziehen sich in eine Ecke zurück. Auf dem Weg weg von der Windel geht es zunächst darum, die Signale des Kindes zu sehen und darauf zu reagieren: „Ich glaube, du musst Pipi/Kacka, kann das sein? Komm, wir gehen zum Töpfchen!“

Auch Kinderbücher für Kleinkinder können eine Hilfe sein, wenn es darin darum geht, die eigenen körperlichen Signale wahrzunehmen. Mit Kleinkindern kann darüber gesprochen werden, ob es im Bauch drückt oder welche anderen Empfindungen vorhanden sind, kurz bevor ausgeschieden wird. Wichtig ist, dem Kind hier ausreichend Verständnis und Zeit zu geben, weil das Bewusstsein für das Ausscheidungsbedürfnis erst neu entwickelt und mit einer anderen Handlung (Gang zum Töpfchen, Ausziehen, Hinsetzen) verknüpft werden muss.

Zudem muss gelernt werden, die dafür benötigte Zeit mit den körperlichen Anzeichen in Einklang zu bringen: Nicht selten passiert es in dieser Zeit, dass kurz vor dem Toilettenziel dann doch noch etwas in die Hose geht, weil das Timing noch nicht passend ist.

Freude und Interesse statt Training

Für diesen neuen Lernvorgang ist es wichtig, dass das Kind eine eigene Bereitschaft mitbringt. Das Kind auf Toilette zu zwingen, ist nicht hilfreich. Auch das sogenannte „Töpfchentraining“ führt eher zu Frustration und Unwillen, weil es an den Möglichkeiten und Bedürfnissen des Kleinkindes vorbei geht: Zur Toilette geschickt zu werden und sitzen bleiben zu müssen bis man sich entleert hat, ist wenig hilfreich auf dem Weg zu einem guten Körperbewusstsein und -empfinden. Besser ist es, das Interesse an der neuen Ausscheidungsart anzuregen, indem die Toilette oder das Töpfchen positiv thematisiert werden. So lernt das Kind entspannt damit umzugehen. Gleichzeitig baut es ohne Druck immer wieder das Bewusstsein für das eigene Körperempfinden aus.

Der Weg weg von der Windel zur Gewöhnung an einen anderen Ausscheidungsort verläuft unterschiedlich schnell, manchmal gibt es Rückschritte. Während einige Kinder die neue Erkenntnis schnell von der Tagesgewohnheit auf die Nacht übertragen können, brauchen andere nachts noch länger eine Windel. Dies auch deswegen, weil das nächtliche Aufwachen von der Rückmeldung der Blase an das Gehirn abhängt.

Manche Kinder schlafen so fest, dass sie vom Harndrang nicht aufwachen. Auch kann ein an der Hemmung der nächtlichen Harnproduktion zuständiges Hormon noch nicht ausreichend vorhanden sein oder die Blase ist zu klein, um den Harn zu sammeln bis zum nächsten Aufwachen/leichten Schlaf. Auch hier ist es wichtig, Verständnis aufzubringen: Kinder werden nicht schneller trocken, weil wir es so wünschen. 

Auf allen Stufen der Begleitung weg von der Windel ist es wichtig, dass wir als Bezugspersonen versuchen, das Kind zu verstehen und respektvoll mit dem Körper und Empfinden des Kindes umgehen. Natürlich ist es wichtig, in der späten Kleinkindzeit und beginnenden Vorschulzeit körperliche Ursachen kinderärztlich abklären zu lassen, wenn der Toilettengang sich trotz aller lieben Unterstützung nicht einstellt. Aber vor allem ist es wichtig, verständnisvoll und mit Ruhe zu begleiten.

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