Wenn Hebammen Kinder kriegen: Anne

Anne ist 32 Jahre alt, Mutter zweier Kinder und seit 2010 examinierte Hebamme. Sie war freiberuflich in der Schwangeren- und Wochenbettbetreuung tätig, arbeitet jedoch seit 2015 aufgrund der prekären Zukunftsaussichten und unbefriedigenden Arbeitsbedingungen nicht mehr als Hebamme, sondern studiert etwas völlig anderes. Hier schreibt sie über die Geburt ihres zweiten Sohnes.

Nachdem mein erster Sohn nach einem vorzeitigen Blasensprung durch eine Einleitung ungeplant im Krankenhaus auf die Welt kam, war der Wunsch, beim zweiten Mal Zuhause bleiben zu können, mehr als drängend. Die Erfahrungen in der zwar kleinen, anthroposophischen Klinik waren genau das, weshalb ich ursprünglich nicht in die Klinik wollte. Nicht schlimm, nicht dramatisch, aber fremdbestimmt, unentspannt, stressig. Schön geht anders.

So stand in dieser Schwangerschaft von Anfang an fest, dass ich wieder eine Hausgeburt anstreben würde. Da der Kindsvater selber eine Hausgeburt war, gab es keinen Widerstand von seiner Seite. Trotz einigem Gemurre meines Gynäkologen über die zu erwartende Kindsgröße bereits beim 2. großen Schall habe ich an ET+0 und ET+3 die für eine außerklinische Geburt erforderlichen Ultraschalltermine hinter mich gebracht und von der Vertretungsärztin das Okay bekommen. Sie schätzte das Gewicht auf 4400 Gramm, hatte jedoch keine Bedenken, da mein erster Sohn mit 4200 Gramm völlig komplikationslos auf die Welt kam.

Mantra im Kopf

Ab nun begann das Warten. Dummerweise hatte ich von 39+0 bis zwei Tage vor der Geburt immer wieder schlimme Zahnschmerzen, die etliche durchwachte Nächte, verzweifelte Tränen und Fahrten zu diversen Zahnärzten mit sich brachten. So gesehen war es auch nicht verwunderlich, dass ich keine spontanen Wehen entwickelte. Ich hatte quasi jeden zweiten Tag „Bitte heute nicht, bitte heute nicht! So schaffe ich es unmöglich ein Kind auf die Welt zu bringen…“ als Mantra im Kopf.

Am 18. August (ET+11) habe ich (nach Absprache mit meiner Hebamme) mit Rizinusöl versucht, die Geburt in Gang zu bringen. Die Angst vor einer Einleitung im Krankenhaus saß mir mehr und mehr im Nacken. Vorausgegangen waren Nelkenöltampons, Nachtkerzenöl, Bauchmassage, Tee und was es da halt so alles gibt.

Nach dem Rizinusöl begannen in der Nacht leichte Wehen, am Tag danach ab drei Uhr nachts bin ich aufgestanden, um sie im Wohnzimmer zu veratmen. Bis circa sechs Uhr morgens kamen sie in zwei bis drei Minuten Abstand. Ich stand am Fenster, tönend, meine Hüften kreisend, und habe der Welt beim Erwachen zugesehen. Das war unbeschreiblich schön und ich freute mich, dass es nun losgehen sollte.

Laune am Tiefpunkt

Um Sechs wachte mein großer Sohn auf. Er hatte blutige Lippen, wollte nichts essen, nichts trinken. Die Wehenabstände wurden größer, ich beorderte seinen Papa herbei, damit er sich um ihn kümmern konnte. (Er hat einen anderen Vater als das zweite Kind, der für die Betreuung unter der Geburt in Rufbereitschaft stand.) Im Laufe des Vormittags wurden die Pausen immer länger, irgendwann waren es dann schon zehn Minuten. Meine Hoffnung schwand, dass das Kind bald kommen würde. Sowohl ein Einlauf als auch zwei Stunden spazieren gehen mit meinem Freund halfen nichts.

Am Abend entschieden wir, dass der Große über Nacht zum Papa gehen sollte. Eigentlich wollte er bei der Geburt dabei sein. Aber ich war erschöpft und hatte die Befürchtung, dass es mit ihm dabei nie richtig losgehen würde. Über Nacht wehte ich ein wenig vor mich hin, aber am nächsten Vormittag (20. August) waren die Wehen komplett verschwunden. Wir fuhren zur Vorsorge ins Geburtshaus. Dort bekam ich nochmal Akupunktur und die Hebamme massierte den Muttermund. Meine Laune war am Tiefpunkt und ich sah mich schon bei ET+15 in die Klinik fahren.

Zuhause angekommen setzten gegen 14 Uhr wieder Wehen ein. Ich machte einen Einlauf, kochte noch Mittag und kippte mir dann mein Rizinusöl drüber. Essen wollte ich jedoch kaum noch etwas, zu sehr war ich dann schon mit Veratmen und aus dem Fenster gucken beschäftigt. Draußen zogen Fußball-Fans vorbei, die Straße wimmelte von Polizisten. Drinnen versuchte ich, zu mir zu kommen und den wuseligen Vormittag hinter mir zu lassen.

Ich weinte eine Runde

Gegen 15.30 Uhr wurden die Wehen stärker. Ich veratmete sie im Türrahmen stehend, der Druck gegen mein Steißbein tat sehr gut. Mein Freund machte noch ein Bauchbild und meinte, dass dies nun wahrscheinlich das letzte sein würde. Nach diesem Satz brachen alle Dämme. Ich habe einige Zeit geweint und hatte das Bedürfnis, mich von meinem Kind zu verabschieden, um es in die Welt hinauszulassen. Das klingt etwas arg esoterisch, aber mir tat es sehr gut und fühlte sich absolut natürlich an.

Gegen 16 Uhr bekam ich einen Druck nach unten und hatte große Hoffnungen, dass sich am Muttermund etwas tun würde. Weiterhin veratmete ich die Wehen im Türrahmen, tönte und stellte mir eine sich öffnende Blüte vor. Gegen 17.30 Uhr untersuchte ich mich und stellte fest, dass sich am Muttermund nichts getan hatte. Er war immer noch zu weit hinten, als dass ich ihn selber richtig tasten konnte. Der Druck nach unten war inzwischen recht stark. Ich war enttäuscht und fühlte mich hilflos, schob ein Buscopanzäpfchen, ließ mir ein Bad ein und rief um 18 Uhr die Hebamme an, weil ich das Gefühl hatte, allein nicht mehr weiter zu kommen. Ursprünglich wollte ich sie so spät wie möglich anrufen.

Um 18.30 Uhr kam die Hebamme mit einer Schülerin. Ich weinte eine Runde, berichtete ihr von dem Druck. Sie untersuchte mich und bestätigte, dass sich seit dem Morgen am Muttermund nichts getan hatte. Um ein Aufnahme-CTG zu schreiben, stieg ich aus der Wanne, positionierte mich wieder im Türrahmen, wir hörten Musik, mein Freund stellte Kerzen auf. Der Druck wurde weiter stärker, ich konnte ihm kaum noch nicht nachgeben, atmete kurz auf „Papapapapa“ aus. Auch in den Wehenpausen blieb der Druck, jedoch weniger stechend.

Herztöne waren gut

Gegen 19 Uhr begann es zu regnen, mein Freund füllte den Pool im Wohnzimmer. Es war eine absolute Wohltat, kurze Zeit später in das warme Wasser zu steigen. Ich veratmete auf der Seite liegend, versuchte dem Druck standzuhalten. Die Hebamme untersuchte mich und mein Muttermund war weiterhin hinter dem Köpfchen. Das war schon weit unten und zog daher in der Wehe den Muttermund eher wieder zu. Außerhalb der Wehe drei bis vier Zentimeter, in der Wehe dann eher zwei bis drei.

Ich war frustriert, fühlte mich an die Geburt meines großen Sohnes erinnert, wo ich genau das gleiche Problem hatte: ein massiver Druck nach unten und nicht mitschieben zu dürfen. Ich schob erneut ein Buscopan- und ein Spascupreel-Zäpfchen, in der Hoffnung, dass der Muttermund sich entspannen würde.

Ich weinte viel und schimpfte, es war wirklich schwer auszuhalten, nicht mitzuschieben. Gegen 20.15 Uhr sprang die Fruchtblase. Die Herztöne waren gut, das Fruchtwasser klar, doch der Druck wurde noch stärker. Die zweite und dritte Hebamme wurden hinzugerufen. Ich wechselte im Pool ein paar Mal die Positionen, doch nichts half gegen den Druck. Ich versuchte mir weiter die sich öffnende Blüte vorzustellen, den Po zu entspannen und locker zu lassen. Aber auch außerhalb der Wehe blieb der Druck konstant, währenddessen fand ich ihn unerträglich.

Dieser Druck war einfach übermächtig

Die zweite Hebamme kam an, ich klagte ihr mein Leid, dass es einfach nicht mehr auszuhalten sei. Die dritte Hebamme hatte sich verfahren und suchte noch nach der richtigen Straße. Irgendwann stieg ich aus dem Pool, ging in die tiefe Knie-Ellenbogen-Lage vorm Sofa in der Hoffnung, den Druck vom Muttermund zu nehmen. Dieser war inzwischen bei fünf bis sechs Zentimetern.

Inzwischen schrie ich bei jeder Wehe recht verzweifelt, weinte und wimmerte. Die Hebamme massierte meinen Muttermund mit Rescue-Salbe, ich bekam eine Buscopan-Spritze in den Po, der Druck war einfach nicht mehr auszuhalten. Irgendwann schob mein Körper unwillkürlich mit, ich konnte nicht mehr veratmen oder nicht mitschieben. Es war einfach schrecklich, dort zusammen gekrümmt vor dem Sofa zu liegen und zu versuchen, gegen diesen Reflex anzukämpfen. Mein Darm entleerte sich, mir war schlecht. Irgendwann war der Muttermund bis auf einen Saum vollständig, die Hebamme versuchte ihn unter der Wehe wegzuschieben, jedoch erfolglos. Trotzdem taten mir ihre Finger als Gegendruck gut.

Während der Wehen ging ich wieder in die Knie-Ellenbogenlage, außerhalb legte ich mich auf die Seite. Die dritte Hebamme traf ein, ich habe das jedoch kaum noch zur Kenntnis genommen. Wir verfrachteten mich wieder in die Wanne. Ich tastete selber nach dem Saum und war erschrocken, wie straff er war. In den folgenden Wehen versuchte ich selbst ihn wegzuschieben und das Köpfchen nach oben zu drücken, um für Entspannung zu sorgen. Meinem Freund biss ich ein paar Mal in die Hand und schrie laut meine ganze Verzweiflung heraus. Dieser Druck war einfach übermächtig. Ich hatte das Gefühl, es zerreißt mich. Niemals würde ich das überstehen.

Die Schultern lösten sich nicht

Irgendwann war der Saum dann doch weg, ich konnte es gar nicht fassen und bat die Hebamme nachzutasten. Sie sollte das bestätigen und mir quasi offiziell erlauben, mitschieben zu dürfen. Nach ihrem Okay konnte ich den Kopf in der nächsten Wehe in der Hocke gut nach unten schieben. Da ich mit einem großen Kind rechnete traute ich mich jedoch nicht, dies komplett in einer Wehe zu tun. Es tat so unglaublich gut, endlich dem Druck nachgeben und mitschieben zu dürfen. Während der nächsten Wehe kam der Kopf dann komplett, ich bremste ihn bis etwa zur Hälfte selber, dann bremste die Hebamme und leitete mich zum Veratmen an.

In der Wehenpause konnte ich spüren, wie der ganze Körper in mir hin und her rotierte. Das Kind suchte sich seine Position zur Geburt der Schultern. Kurz fragte (eher beschimpfte) ich die Hebamme, ob sie da ziehen würde. Aber sie meinte, sie hätte nicht mal die Hände im Wasser. Während der nächsten Wehe schob ich wieder mit, doch der Körper kam nicht, die Schultern steckten fest.

Die Hebammen holten mich schnell hoch. Wir turnten ein wenig im Pool herum, doch die Schultern lösten sich nicht. Ich fühlte mich wie ein nasser Sack, unfähig klar zu denken. Mit allen mir greifbaren Händen stieg ich aus dem Pool, wir versuchten ein paar Übungen an Land. Wie gut, dass so viele Menschen da waren, nun wurde jede Hand gebraucht. Zwei Hebammen hielten mich, eine hielt den Kopf des Kindes zwischen meinen Beinen. Die älteste Hebamme übernahm schnell das Kommando.

„Komm jetzt endlich raus du Kind!!!“

Wir turnten und letztendlich lag ich in Rückenlage vor dem Sofa, den Kopf im Schoß meines Freundes. Die älteste Hebamme drückte über dem Schambein die vordere Schulter herunter, während die andere die hintere Schulter von unten löste. Ziemlich Angst bekam ich, als sie schon den Ambu-Beutel auspackten und bereit legten. In der nächsten Wehe drückte ich das Kinn auf die Brust, presste was das Zeug hielt und mit lautem „Komm jetzt endlich raus du Kind!!!“-Gebrüll wurden die Schultern und der restliche Körper um 21.21 Uhr geboren.

Und: Der Druck, der mich die letzten Stunden so beschäftigt hatte, war weg, hallelujah. Meinem Sohn ging es gut. Ich bekam ihn auf die Brust gelegt, er hatte kaum Probleme mit der Atmung und ich war einfach nur unendlich erleichtert. Es war geschafft. Die Plazenta gebar ich in der tiefen Hocke, danach konnten wir endlich ins Bett. Wir haben gekuschelt und gestaunt, irgendwann kamen die Hebammen, sangen ein Geburtstagslied und ich nabelte unseren Sohn ab.

Die U1 ergab 4860 Gramm auf 56 Zentimeter verteilt und einen Kopfumfang von 36 Zentimeter. Die Damminspektion ergab: Damm intakt – ich kann es bis heute noch nicht fassen! Keine Schürfung, kein Nichts, der erste Toilettengang nach der Geburt war schmerzfreier als sämtliche Toilettengänge während den letzten Tagen der Schwangerschaft!

Meinen Hebammen bin ich sehr, sehr dankbar

Direkt nach der Geburt empfand ich diese als wirklich schrecklich (und habe das auch wieder und wieder kund getan). Inzwischen verblasst die Erinnerung etwas, aber ich bin trotzdem unendlich froh, dass es rum ist. Auch die Schwangerschaft fand ich beschwerlich und vor allem die letzten Tage mit diesem Warten, den Zahnschmerzen und dem ständigen Gefühl der Verstopfung durch den auf den Darm drückenden Kopf.

Obwohl ich mich mit Hypnobirthing vorbereitet hatte, konnte ich eigentlich nichts davon anwenden. Es fühlte sich nicht selbstbestimmt an, sondern ich arbeitete die ganze Zeit (bis auf die letzten zwei Wehen) gegen meinen Körper. Der Wehenschmerz war eher nebensächlich, der Druck und der damit einhergehende Pressdrang haben mich wirklich verzweifeln lassen. Gerne hätte ich aufgegeben, das war nur leider keine Option.

Momentan kann ich mir noch keine weitere Geburt vorstellen, vor allem, da ich bei der ersten auch dieses Druck-Problem hatte und damit schwer umgehen konnte. Außerdem hat mich die Schulterdystokie doch ziemlich beeindruckt. Und da ich anscheinend zu schweren Kindern neige, habe ich Angst vor einer weiteren bei der nächsten Geburt, die dann vielleicht nicht so glimpflich ausgeht. Meinen Hebammen bin ich sehr, sehr dankbar, mich durch diesen Nachmittag geleitet zu haben und am Ende fachlich kompetent, schnell und sicher reagiert zu haben. Geschrieben habe ich diesen Text übrigens zwei Wochen nach der Geburt.

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Kommentare

7 Antworten zu „Wenn Hebammen Kinder kriegen: Anne“

  1. C
    Caro Carp

    Herzlichen Glückwunsch zum 2. Kind! Kann jemand erklären, warum Anne so lange nicht mitschieben durfte und was es mit dem Ausbremsen des Kopfes auf sich hat?

    1. A
      Anne

      Danke!
      Mitschieben sollte Frau erst, wenn der Muttermund vollständig geöffnet ist, da sonst das Kind ja eh nicht durchkommt und ggf. Stress bekommt. (Auch eine Verletzung des Muttermundes ist zu befürchten.)

      Der Kopf wird gebremst um dem Gewebe Zeit zur Dehnung zu lassen, womit Geburtsverletzungen vorgebeugt werden kann.

  2. J
    Juliane Wilcke

    Wahnsinn, was für eine Geburt, ich habe unglaublichen Respekt, dass du das so gemeistert hast, da fehlen mir echt die Worte!

  3. J
    Jessica

    Warum hast du dem Druck nicht einfach nachgegeben…?

    1. A
      Anne

      Weil der Muttermund noch nicht vollständig geöffnet war. Der Druck vom Kopf hat ihn eher wieder zusammen gezurrt/straff gemacht, das konnte ich ja selbst recht gut tasten. So hätte das Kind unnötig Stress bekommen oder es hätte eine Verletzung am Muttermund geben können.

  4. T
    Theresa

    Bei meiner letzten Geburt habe ich auch die Hebamme verdächtigt, an dem Kind zu ziehen, weil da so ein ekelhaftes Geruckel in mir war, die Hebamme zeigte aber auch, dass ihre Hände gar nicht in der Wanne waren. Das war das Kind.
    Nach meiner zweiten Geburt war ich mir sicher, kein Kind mehr zu wollen. Die Geburt war so anstrengend, mein erstes Kind hatte ein Gewicht von 3900h und einen Kopfumfang von 36 cm, das zweite 4400g, einen von 37,5. Ich bin selbst eher zierlich und hart Angst, dass jedes weitere Kind noch schwerer und dickköpfiger würde.
    Tatsächlich aber habe ich noch zwei weitere Kinder bekommen, beide nur knapp 3400 g und 34 cm Kopfumfang. So kann es auch gehen. Die Geburten waren deutlich schöner als Nr.2.

    1. A
      Anne

      Das gibt ja Hoffnung! Tatsächlich hoffe ich, dass dieser schwere Klopps eine absolute Ausnahme war und das nächste Kind deutlich leichter wird. So 3500g würde ich mir wünschen. (Hallo liebes Universum, lies bitte mit!)

      Schön, dass deine dritte und vierte Geburt so viel anders und entspannter waren!

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