Wenn Hebammen Kinder kriegen: Hannah

Hannah ist 28 Jahre alt und hat 2015 ihr Examen gemacht. Nach dem Examen hat sie in einem Kreißsaal gearbeitet. Seit November 2015 war sie bis zu ihrem Mutterschutz im Geburtshaus tätig. Dort wird sie ab August nach ihrer Elternzeit auch wieder arbeiten. Hannahs erste Schwangerschaft endete mit einer Fehlgeburt in der 11. SSW. Hier erzählt sie von dieser kleinen Geburt, aber auch von der Folgeschwangerschaft und der Hausgeburt ihrer Tochter, die im Juli 2018 auf die Welt kam.

Ende 2016 war ich überraschend schwanger. Überraschend, weil sich dieses kleine Menschlein eingeschlichen hatte, obwohl wir eigentlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplant hatten ein Kind zu bekommen. Der Schreck war erst einmal echt groß, aber nur ein paar Stunden lang. Alles wirbelte gleichzeitig in mir herum: Hilfe! Schaffen wir das? Ein Baby, wie schön! Oh nein! Jetzt schon? Wie sage ich es meinen Kolleginnen? Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Will ich es überhaupt wissen? Es geht nicht! Hausgeburt! Mit welcher Hebamme?

Dann kam die Vorfreude und es war direkt so viel Liebe von uns da für das kleine Überraschungs-Kind in mir. Mir ging es gut, gleichzeitig habe ich mich in der Schwangerschaft in den ersten Wochen immer wieder gefragt, ob wohl alles gut gehen wird. Im Nachhinein war da vielleicht auch schon ein Gespür oder eine Ahnung, dass es nicht so kommen sollte.

Nach zwei Tagen leichter Schmierblutung in der elften Woche, als ich gerade ein Wochenende mit meiner Mama in Paris verbrachte, fingen am Tag der Rückfahrt leichte Kontraktionen an. Zuvor schwankte ich noch zwischen Hoffen und Bangen, gleichzeitig hatte ich da schon ein schlechtes Gefühl. Ich konnte es mir nur noch nicht eingestehen und wollte es nicht wahrhaben. Mit Beginn der Kontraktionen war ich mir dann ganz sicher, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Leider wurde mein Gefühl bestätigt

Gegen 21 Uhr kam ich mit dem Zug zuhause an und wurde von meinem Freund am Bahnhof abgeholt. Ich hatte ihm nichts erzählt, weil ich ihn nicht aus der Ferne beunruhigen wollte. Bei unserer Begrüßung brach ich direkt in Tränen aus. Er hat mich erst einmal beruhigen können und wir sind zuhause bald schlafen gegangen. Ich musste noch einmal zur Toilette und es kamen plötzlich viele Koagel Blut aus mir heraus. Ich rief meinen Freund voller Panik in unser Badezimmer und wir überlegten kurz, was wir jetzt machen. Wir sind dann in ein Krankenhaus gefahren, weil ich doch Gewissheit haben wollte. Leider wurde mein Gefühl bestätigt und die Ärztin, die mir vor dem Ultraschall noch Mut machen wollte und sagte, dass es durchaus mal verstärkte Blutungen gibt und dennoch alles gut ist, schallte mich und es war Gewissheit: Wir hatten unser Krümelchen verloren.

Ich fragte die Ärztin, was wir denn jetzt machen und sie sagte, dass sie eine Curettage machen würde. Da ich das nicht wollte, schlug sie vor, dass ich die Nacht auch dort verbringen könne und ich morgen früh dann operiert werden würde. Mein Freund und ich zogen uns in einen leeren Kreißsaal zurück und beratschlagten uns. Er war erst sehr besorgt, als ich sagte, dass ich keine OP möchte und nach Hause gehen will. Ich war dann auch unsicher und wir riefen meine Hebammenkollegin an.

Es war mittlerweile fast Mitternacht und ich weckte sie durch meinen Anruf. Sie bestärkte uns in meinem Vorhaben und bot an, dass wir uns jederzeit melden können, wenn ich etwas brauchen sollte. Wir fuhren nach Hause, weinten fast die ganze Nacht und schliefen erst am frühen Morgen. Die Blutung war fast komplett verschwunden und auch die Kontraktionen waren seit dem Abend weg. Im Laufe des Vormittags fingen sie wieder an und steigerten sich ab dem Mittag. Sie wurden immer regelmäßiger und kräftiger und ich begann auch wieder zu bluten, stärker als ich es erwartet hatte.

Die Trauer kam mit voller Wucht

Meine Kollegin schaute am Nachmittag nach uns. Nicht viel später wurde es wirklich heftig. Die Wehen steigerten sich unaufhaltsam und ich tönte laut im Vierfüßlerstand vor dem Sofa. Im Nachhinein betrachtet war das die Übergangsphase und etwas später hatte ich es geschafft. Ich verlor noch einmal sehr viel Blut und Koagel und die Wehen hörten dann quasi sofort auf. Inzwischen merkte ich den Blutverlust auch an meinem Kreislauf und hatte kurzzeitig wirklich Angst um mich. Mein Freund blieb zum Glück ganz ruhig und hat mich in diesem Moment super aufgefangen.

Die Tage danach war ich sehr schlapp und die Trauer kam noch einmal mit voller Wucht. Am Tag der kleinen Geburt war ich viel zu sehr mit mir beschäftigt. Körperlich empfand ich diese Geburt als sehr heftig, aber auch psychisch war es natürlich schwer, dieses kleine Menschlein gehen und meinen Körper machen zu lassen, obwohl ich das, was da passierte, nicht wollte.

Ziemlich bald verspürten wir beide einen starken Kinderwunsch und wünschten uns sehr, dass ich schnell wieder schwanger werden würde. Bis ich schwanger wurde, vergingen zehn Monate und diese Zeit war immer mal wieder sehr von der Trauer geprägt. Im Juli machte mir mein Freund einen Heiratsantrag und wir planten eine Hochzeit im kleinen Kreis im Dezember. Im Urlaub im August 2017, einige Wochen bevor ich schwanger wurde, saßen wir abends am Meer und haben viel über unser Krümelchen gesprochen. Wir weinten beide und haben gespürt, dass wir Platz machen müssen, um einem zweiten Kind die Chance zu geben, zu uns zu kommen.

Positiver Test

Einen Tag nach meinem Geburtstag im November hielt ich einen positiven Test in der Hand. Am Tag zuvor hatte mich meine Freundin noch getaped gegen Menstruationsbeschwerden, denn ich rechnete mit meiner Periode und hatte Unterleibsziehen. Es fühlte sich so unwirklich an und wir waren beide etwas gebremst in unserer Vorfreude. Die Wochen vergingen und die Sorgen waren da. Obwohl ich einerseits ganz stark gespürt habe, dass alles gut ist und ich mir irgendwie sicher war, dass es auch so bleiben wird, war ich stark verunsichert. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich meinem Bauchgefühl wirklich trauen kann oder ob ich es mir nur so sehr wünsche.

Diese Unsicherheit blieb und gleichzeitig war ich total positiv und ruhig – ein schwer zu beschreibender Zustand. In der 9+1 SSW hörte ich die Herztöne unseres Kindes zum ersten Mal zuhause mit meinem Dopton und konnte es kaum glauben. Ich arbeitete weiter im Geburtshaus und bis auf etwas Übelkeit und Kreislaufprobleme ging es mir gut. Wir heirateten, als ich in der elften Woche war und fast niemand wusste bei der Hochzeit, dass ich schwanger war. Nach der zwölften Woche hörten die Beschwerden dann zum Glück auf.

Mir war schon immer ziemlich klar, dass ich mir eine Hausgeburt wünsche und so betreuten mich zwei meiner Kolleginnen, bei denen ich auch im Wechsel alle Vorsorgen machen ließ. Ich merkte, dass es mich beschäftigte, wenn ich kritische Stimmen aus dem entfernteren Bekanntenkreis bezüglich unserer geplanten Hausgeburt hörte. Ich hatte manchmal den Gedanken, dass es allein deswegen mit der Hausgeburt unbedingt klappen muss, damit diese Leute sich nicht bestätigt fühlen. Was für ein Blödsinn!

Immer wieder turnte es in Beckenendlage herum

Mein Hebammenhirn konnte ich immer mal wieder nicht ganz ausschalten und ein Thema, das mich später in der Schwangerschaft immer wieder beschäftigte, war die Position meines Kindes. Immer wieder turnte es in Beckenendlage herum und auch, wenn noch viel Zeit war, hat mich das besorgt. Ich habe meine geplante Hausgeburt in Gefahr gesehen.

Bis auf einen fiesen Nierenstau in der 30. Woche ging es mir echt gut und ich arbeitete einfach weiter. Meine letzte Geburt im Geburtshaus, ein wunderschönes Abschiedsgeschenk für mich vor der Auszeit, betreute ich in der 29. Woche. Kurz danach merkte ich, dass ich mehr Ruhe brauche und nicht mehr so belastbar war. Ich ließ nur noch einige wenige Wochenbetten auslaufen und ging dann in der 32. Woche komplett in den Mutterschutz.

Der Sommer war da, es war wunderschön draußen und warm. Meinem Mann kam die Zeit ewig vor und er konnte es nicht erwarten, dass unser Kind endlich geboren werden würde. Dann kam die Fußball-WM und wir schauten fast jedes Spiel und warteten, dass die Zeit verging. Ich war neugierig, etwas aufgeregt und so gespannt darauf, wie die Geburt sein würde! Die Gedanken waren immer wieder da, ob mein Hebammenhirn mich behindern würde und ob ich es schaffen würde abzuschalten. Auf der einen Seite hatte ich nie ernsthaft Sorge, dass mir oder unserem Kind bei der Geburt etwas passieren würde. Andererseits hatte ich großen Respekt davor, was auf mich zukommt und ob ich es schaffen würde, in meiner Ruhe und beim Atmen zu bleiben.

Noch nicht an die Geburt gedacht

An einem besonders heißen Sommerabend, ich war inzwischen in der 39+1 SSW, machte ich mir abends eine Wärmflasche, weil ich Unterleibsschmerzen spürte, ähnlich, wie wenn ich meine Tage bekomme. Ich ging spät schlafen und spürte ab zwei Uhr nachts immer mal wieder, dass mein Bauch hart wurde. Ich schlief trotzdem ganz gut und wurde nur mehrmals kurz wach zwischendurch. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch gar nicht daran, dass sich dies in Richtung Geburt entwickeln könnte. Ab fünf Uhr morgens entwickelten die Kontraktionen eine gewisse Verlässlichkeit. Sie kamen zwischen fünf und 20 Minuten und waren inzwischen auch unangenehm, so dass ich sie teilweise, noch im Bett liegend, deutlich veratmet habe und mit meinem Becken gewackelt habe.

Auch da habe ich noch nicht an die Geburt gedacht. Ich döste immer wieder mal ein und als ich gegen 11 Uhr aufstand, hatte ich eine Pause von etwas über einer Stunde. Ich aß etwas und erledigte Papierkram. Nach dieser Pause fingen die Wehen wieder an und mein Mann bereitete das Schlafzimmer vor. Er hängte ein Tuch an die Decke über den Pezziball, organisierte die von mir gewünschte Musik und machte es mir gemütlich. Ich saß auf dem Ball, hörte laut Musik, sang mit, lachte. Wir unterhielten uns und immer wieder veratmete ich eine Wehe und kreiste mit dem Becken.

Die Intensität steigerte sich und ich musste mich nun deutlich mehr auf meine Atmung konzentrieren, es war circa 14 Uhr. Irgendwann kniete ich eine Weile im Vierfüßlerstand vor dem Bett und mein unterer Rücken tat immer mehr weh. Mein Mann massierte mein Kreuzbein und schlug eine Badewanne vor, weil ich zunehmend angestrengt war. Erst beim zweiten Mal nahm ich seinen Vorschlag an. Er bereitete die Badewanne vor. Kurz überlegte ich, ob ich mich selbst vaginal untersuchen will, hatte aber Angst davor, dass mich der Befund demotivieren könnte. Deswegen ließ ich es sein. Ich hatte meinem Mann immer viel davon erzählt, was ich mir für die Geburt wünsche und er zauberte ein Badezimmer voller Kerzen für mich. Ich habe es einmal kurz angeschaut, aber war da schon ganz bei mir und habe die Augen eigentlich nicht mehr geöffnet. In der Badewanne, es war kurz nach 17 Uhr, war es sehr angenehm und die Wärme und das Wasser taten mir gut.

Ich weinte vor Freude

Ich war erst knapp 20 Minuten im Wasser, als ich meinen Mann bat, meine Kollegin anzurufen. Die Wehen und der Schmerz im Becken wurden zunehmend intensiv und ich spürte jetzt plötzlich ganz deutlich, dass ich sie bei mir haben wollte. Als sie dann bei uns eintraf, es war inzwischen 18.30 Uhr, war ich so froh, dass sie da war. Sie fragte mich nach einer Weile, ob sie mich untersuchen soll und ich war selbst auch neugierig. Der Muttermund war sieben bis acht Zentimeter geöffnet – und ich weinte vor Freude.

Die Badewanne fühlte sich sehr bald viel zu eng an und ich zog in unser Schlafzimmer um. Ich hatte kurz das Gefühl, dass die Wehenintensität mich überrumpelt. Aber lautes Tönen tat gut und ich kam wieder rein in meinen Rhythmus, in meine Ruhe. Der Druck wurde immer mehr und der permanente Schmerz im Becken war sehr unangenehm. So hatte ich mir das nicht vorgestellt! Ich hatte das Gefühl, dass mein Becken springt. Mein Mann war die ganze Zeit bei mir und war eine super Unterstützung. Die Fruchtblase sprang um 21.19 Uhr, kurz nachdem die zweite Hebamme bei uns zuhause ankam. Und obwohl ich mich wie in einer Geburtsblase und ganz bei mir fühlte, sprang kurz mein Hebammenkopf an: Ist das Fruchtwasser klar? Ist alles ok?

Es gab später Phasen, da hatte ich das Gefühl, dass sich nichts tut und es einfach nicht voran geht. Irgendwann merkte ich dann aber eine Veränderung des Druckes und spürte, wie das Köpfchen meines Kindes immer mehr nach unten drückte. Es war so warm in unserem Schlafzimmer! Ich empfand mich als wahnsinnig laut und habe in meinen Augen viel geflucht und manchmal auf jede Wehe geschimpft, die kam. Das Gefühl, wenn der Kopf tiefer tritt, ist unbeschreiblich und schwer zu erklären. Es fühlte sich alles viel zu eng im Becken an und es fiel mir erst schwer, weit zu sein und den Druck zuzulassen.

So weich und warm und schön

Mir fehlte manchmal die Luft zum Atmen. Mein Körper hat automatisch gedrückt und ich hatte manchmal das Gefühl, ich schaffe es gar nicht, zwischendurch Luft zu holen. Gegen Ende sagte ich, dass ich nicht mehr kann und wusste schon, bevor ich es aussprach, dass es nicht stimmt und ich selbst weiß, dass ich noch kann. Dennoch musste es raus. Der Kopf, der sich immer mehr Raum macht: schmerzhaft, positiv, beängstigend, befreiend, einfach unglaublich. Ich hatte schon seit dem Nachmittag keinerlei Zeitgefühl mehr. Als der Kopf stand und stehen geblieben ist, war es die letzte Geduldsprobe für mich. Mich noch einmal fallen lassen, weich sein und locker lassen. Die Nachbarn unter uns dachten, dass unsere Tochter da geboren wurde – plötzlich war ich ja leise geworden.

Kurz bevor unser Kind geboren wurde, fragte mein Mann die zweite Hebamme, ob wohl noch der 24. Juli der Geburtstag unserer Tochter wird? Die Hebamme vermutete nicht. Ich dachte kurz, dass das ja wohl nicht wahr sein kann und ich wirklich nicht mehr lange möchte. Dass es 23.56 Uhr war und unsere Tochter fünf Minuten später da sein würde, wusste ich nicht. Meine Hebamme erinnerte mich noch einmal daran, nur die Wehe schieben zu lassen und zu atmen, damit sich alles in Ruhe dehnen kann. Ich blaffte sie an: „Das ist mir so egal!“ Sie erwiderte, dass ich es versuchen solle und es mir morgen nicht egal ist: „Mach dich weit!“ Ich schrie geradezu: „Doch! Das ist mir scheißegal!“ Ein Wortwechsel, über den wir im Nachhinein immer mal wieder schmunzeln mussten.

Um 0:01 Uhr am 25. Juli 2018 ist unsere kleine Tochter dann geboren. So weich und warm und schön war sie! Sie weinte kurz und ich sang ihr das Lied vor, das ich auch immer in der Schwangerschaft für sie gesungen hatte – und sie wurde ruhiger. Ich konnte es kaum glauben, dass es geschafft war und war so froh und stolz, dass ich sie zuhause geboren hatte. Das Gefühl von unendlicher Dankbarkeit über dieses schöne gesunde Kind, unendlicher Liebe und Demut, es begleitete uns die erste Zeit ständig. Und tut auch jetzt noch. Nun ist sie zehn Monate alt, macht ihre ersten wackeligen Schritte an der Hand und ich freue mich so sehr auf alles, was kommt.

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