Als Hebamme muss man Mütter mögen

Als ich selbst werdende Hebamme war, hatte ich irgendeine heute vergessene Funktion im Betriebsrat der Klinik inne. Die Aufgabe beinhaltete auch, dass ich an den Bewerbungsgesprächen der zukünftigen Hebammenschülerinnen teilnahm. Damals kamen noch Hunderte von Bewerbungen auf jeden der zwölf freien Plätze. Es gab tagelang zahlreiche Bewerbungsgespräche. Es war immer wieder spannend zu hören, mit welcher Motivation die Bewerberinnen gekommen waren. Oft hörten wir, dass sie Baby sehr mögen und gerne mit kleinen Kindern arbeiten würden. In der Regel führte diese Aussage nicht dazu, dass diese Frauen ihrem Traumberuf näher kamen.

Natürlich finden auch Hebammen Babys wundervoll. Auch wir nehmen den kleinen damit verbundenen Oxytocin-Rausch gerne mit, wenn wir sie im Rahmen unserer Arbeit sehen, berühren und begleiten. Vor allem aber sollte man als Hebamme Frauen mögen, die Mütter sind oder gerade Mütter werden. Denn unsere Hauptaufgabe ist es, diese Frauen so zu begleiten, dass sie gesund und gestärkt in ihren mütterlichen Kompetenzen durch Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit gehen. Damit sind dann gute Voraussetzungen gegeben, dass diese Mütter wiederum gut und kompetent für ihre Kinder sorgen. Als Hebamme werde ich dann dieses Baby nur wenig bis selten auf dem Arm haben, es wickeln, umziehen oder gar der Mutter an die Brust legen. Denn das kann und macht sie dann idealerweise selbst.

Es sind nicht die süßen kleinen Babys, die meinen Beruf für mich zu einem der schönsten Berufe machen. Es ist das Dabeisein dürfen, wenn eine Frau Mutter wird, wenn aus einem Paar Eltern werden. Zu sehen, wie Mütter so manches Mal über sich selbst hinauswachsen. In dieser Bandbreite von Emotionen, die das Kinderkriegen mit sich bringt, immer wieder etwas Ruhe und Sicherheit vermitteln zu können – auch das ist ziemlich erfüllend.

Mütter unterstützen sich aufs Muttersein einzulassen

Und natürlich wahrlich nicht immer leicht. Denn es ist nicht alles nur rosig und süß, wenn es ums Baby geht. Ganz im Gegenteil ist es oft richtig kompliziert oder auch dramatisch, wenn die Dinge anders laufen als erwartet oder gehofft. Damit das Mitgefühl nicht in ein Mitleiden übergeht, muss man selbst gut in seiner Mitte sein. Und die eigenen Sorgen und Erfahrungen beiseite schieben. Das ist manchmal gar nicht so einfach.

Was ich als Mutter meiner eigenen Kinder dabei für richtig und sinnvoll erachte, ist nicht unbedingt das, was für die Mutter in meinem beruflichen Kontext passt. Sie bringt ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Erfahrungen mit. Und mit diesem Gepäck muss sie den für sich und ihr Kind bestmöglichen Weg finden.

Aber letztlich ist das auch so mit der anderen Mutter auf dem Spielplatz, deren Verhalten ich vielleicht innerlich kritisiere. Was weiß ich schon über sie, wenn ich nur eine Momentaufnahme sehe? Wie war ihr Tag? Und wie sieht ihr Gepäck aus, mit dem sie in die Mutterschaft gestartet ist? Es reicht nicht, Babys und Kinder wundervoll zu finden, wenn ich keine Empathie für ihre Eltern gerade auch in schwierigen Situationen aufbringen kann.

Wer schafft das schon?

Natürlich ist es für ein Kind wunderbar, wenn seine Eltern immer liebe- und verständnisvoll, gelassen, bedürfnisorientiert, altersgemäß und ruhig agieren können. Doch wer schafft das schon? Es gibt die guten und die nicht so guten Elternmomente, die aber auch einfach dazu gehören. Und aus denen wir oft am meisten lernen. Manchmal ist dieses Elternsein schon am Anfang richtig anstrengend und bringt Menschen an ihre Grenzen.

Wo diese Grenzen liegen, ist sehr unterschiedlich. Natürlich besteht auch für Hebammen bei akuter Gefährdung des Kindeswohl Handlungsbedarf, doch davon betroffene Situationen gibt es zum Glück eher seltener im regulären Hebammenalltag. Die meisten Eltern machen ihre Sache, so gut sie können. Und das ist eine recht gute Voraussetzung, nicht allzu viel falsch zu machen.

Und als Hebamme sehe ich auch gerade da die Herausforderung, die Mütter zu unterstützen, denen es vielleicht besonders schwer fällt, sich auf das Muttersein einzulassen. Jener Mutter zu helfen, für die die Schwangerschaft schon sehr belastend ist. Oder für die das Stillen mit zu viel körperlicher Nähe verbunden ist. Natürlich fordert ein Baby vieles alternativlos ein. Und ich sehe meine Rolle als Hebamme auch immer ein bisschen in der der „Übersetzerin“ für das Baby.

Aber meine Erfahrung ist, dass eine gut umsorgte Mutter auch leichter für ihr Kind sorgen wird. Wohingegen Kritik in dieser sensiblen Lebensphase schnell zu großer Verunsicherung führt und den intuitiv richtigen Umgang mit dem Baby stören kann. Ich freue mich natürlich, Babys wachsen und gedeihen zu sehen. Aber ebenso freut es mich, wenn mir eine Mutter erzählt, dass sie es geschafft hat, etwas Schlaf nachzuholen und sich jetzt viel besser fühlt. Oder lieber mit ihrem Baby gekuschelt hat, anstatt dem Haushalt zu viel Aufmerksamkeit zu widmen.

Es geht also im Hebammenalltag vor allem darum, die mütterlichen Kompetenzen zu stärken, damit diese gut für ihr Baby sorgen kann. Und dafür muss man vor allem Mütter mögen – und eben nicht nur kleine Babys.

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Kommentare

4 Antworten zu „Als Hebamme muss man Mütter mögen“

  1. K
    Katha

    Hallo Anja,
    Vielen Dank für diesen Artikel. Er hat mein Bild einer guten Hebamme wieder zurechtgerückt. Ich musste leider feststellen, dass meine Wochenbetthebamme nicht besonders gut zu mir und meinen Bedürfnissen gepasst hat. Ich habe Ende letzten Jahres mein erstes Kind geboren. Dieses Kind haben wir uns sehr gewünscht und da ich mein erstes Baby in der 12.SSW verloren habe, bin ich umso glücklicher, dass ich das Wunder eines Babys nun erleben darf. Trotzdem ist mir die Umstellung in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt nicht so ganz leicht gefallen. Ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch. Wie sehr dieses kleine Menschlein mein bisheriges Leben nun auf den Kopf stellen würde, wusste ich zwar irgendwie, aber irgendwie dann auch doch nicht…Ich hätte mir beim Ankommen in der Mutterrolle gerne mehr Sensibilität und Bestärkung von meiner Hebamme gewünscht. Stattdessen verkündete sie bei einem ihrer ersten Besuche, dass sie während ihres vorangegangene Urlaubs eigentlich nur die Babys vermisst habe. Die Väter überhaupt nicht und die Mütter eigentlich auch weniger.
    Bei unserem letzten Treffen sagte sie zu mir: „Also bei Ihnen, da dachte ich ja am Anfang: Was ist DAS denn?“ Ich denke, sie meinte damit, dass ich nach der Geburt gleich wieder ziemlich viel auf den Beinen war und eben (dummerweise) versucht habe, meinen bisherigen Alltag wieder aufzunehmen. Im Nachhinein ärgere ich mich über mich selber. Ich hätte das Wochenbett wirklich dringend gebraucht. Dann hätte es vielleicht auch mit dem Stillen besser geklappt. Meine Hebamme hat das aber nie thematisiert oder mit mir darüber gesprochen, dass ich mich vielleicht mehr schonen und die Zeit lieber mit dem Baby im Bett verbringen sollte.
    Ich möchte ihr nicht die komplette Schuld dafür geben, dass einige Dinge zu Beginn nicht ganz so gelaufen sind, wie es für mich und meine Tochter gut gewesen wäre. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sie sich auch mehr dafür interessiert, wie es mir geht und meine Sorgen und Ängste ernst nimmt. Stattdessen hatte ich immer das Gefühl mich besonders dumm und hilflos anzustellen. Ich hätte Hilfe und Bestärken beim Ankommen in der neuen Rolle einfach gut gebrauchen können.

  2. J
    Julia

    So sehe ich das auch. Ich finde es immer schade, wenn werdende Mütter bzw frisch gebackene Mütter nicht richtig betreute werden und oftmals dadurch nicht stillen usw.
    Habe es selber erleben müssen, wie eine Freundin sich nicht auf das „Mama dasein“ einlassen konnte und lange Zeit keine richtigen Gefühle aufbauen konnte , vor allem in der Schwangerschaft. Diese Erfahrung hat mich sehr verändert und berührt.
    Ich wäre gerne Hebamme geworden, aber ich bin mir nicht sicher ob das so mit meinem Alltag als 2-fach Mama möglich wäre.

    Deine Worte sind wirklich toll !!

  3. S
    shiri

    Genau so ist es. Danke für diese wahren Worte.

  4. L
    Lilien

    Bewundernswert, dass du das so hinbekommst.

    Aus dieser Sicht wäre ich wohl wirklich niemals eine Gute Hebamme geworden. Ich liebe babys, aber genau dadurch mag ich die meisten Mütter nicht. Einfach weil ich finde sie sind zu ihren Babys überhaupt nicht nett. Verlangen viel zu viel von diesen kleinen, wundervollen und so hilfsbedürftigen Geschöpfen.
    Die sich doch bitte selbst beschäftigen, im eigenen Bett schlafen, durchschlafen, im Wagen zufrieden ,… sein sollen.

    Durch deine Kinder hast du ja sicher auch eine klare Meinung was du für den richtigen Umgang mit Kinder hälst. trotzdem scheinst du dich da Beruflich wirklich toll zurück nehmen zu können. Das finde ich wirklich sehr bewundernswert!

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