Unsere erste Tochter kam Mitte 2005 auf die Welt. Damals gab es noch kein Baby-led weaning, jedenfalls nicht auf dem Papier. 2006 machte sie ihre ersten Beikostversuche. An unseren Breiangeboten war sie damals ziemlich uninteressiert. Und zunächst auch an dem, was wir so auf dem Teller hatten. Also pickte und spielte sie immer ein bisschen mit beim Essen – in ihrem Bäuchlein allerdings landete nur wenig davon. In dieser Zeit stillte sie weiterhin nach Bedarf so wie bisher. Irgendwann wurde das Essen selbst interessanter als das Spielen damit. Und sie hat mehr und mehr davon gegessen. Und weiterhin annähernd gleich viel gestillt. An manchen Tagen aber auch spürbar weniger. Und an anderen (Krank-)Tagen dann wieder ausschließlich.
Mal hat sie große, mal winzig kleine Mengen gegessen. Sie trank gelegentlich Wasser dazu, mal hat sie es nur auf den Tisch gekippt. Aber auch das war kein Problem, da sie ja weiterhin über das Stillen sowohl genug Nährstoffe als auch Flüssigkeit bekam. In dieser Zeit gab es alles, was auf dem Familientisch landete. Auch Brei, denn zum Beispiel essen hier alle gerne morgens Porridge, was nichts weiter ist als ein Getreidebrei aus Hafer.
Was sie nicht mochte: Wenn ihr dieser Brei gefüttert wurde. Aber das war auch nicht nötig, weil sie es mit ihren Händen und auch dem Löffel gut selbst schaffte, das Ganze in den Mund zu befördern.
Baby-led Weaning ist eher ein ursprünglicher Weg
Beim ersten Kind schreiben die meisten Eltern noch allerhand auf. Während ich heute also in diesen Aufzeichnungen nachlesen kann, wann der erste Zahn sichtbar war oder die ersten Schritte alleine gelaufen wurden, finden sich zum Thema Beikost oder Abstillen keine konkreten Angaben im „Babytagebuch“ der ersten Tochter.
Denn es gab diese konkreten Momente auch nicht, wo sich etwas von heute auf Morgen geändert hat. Klassische Breipläne geben ja vor, wann ich den ersten, zweiten, dritten oder fünfundzwanzigsten Brei einführe. Die Kinder geben so etwas eher selten vor. Und exakt das ist Baby-led weaning. Das gab es also auch schon 2006 und viele, viele Jahre zuvor. 2008 hat die Hebamme und Stillberaterin Gil Rapley dem Ganzen dann einen offiziellen Rahmen und Namen gegeben, als sie ihr Buch Baby-led Weaning: Helping Your Bay Love Good Food veröffentlichte. Darin ist dieser an den Bedürfnissen des Babys orientierte Beikostweg beschrieben. Erst im Jahr 2013 erschien dann die deutsche Übersetzung Baby-led Weaning – Das Grundlagenbuch: Der stressfreie Beikostweg.
Weitere deutschsprachige Bücher zum Thema folgten, wie auch 2014 mein mit verfasstes Buch Das breifrei!-Kochbuch: So schmeckt es dem Baby und der ganzen Familie. Völlig neu war das Thema aber nicht. Ganz im Gegenteil entspricht das Vorgehen des Baby-led weaning eher einem ursprünglichen Weg, wie Kinder an das Essen am jeweiligen Familientisch heran geführt wurden. Die Breifütterung hat eine wesentlich kürzere Historie. Sie ist auch eng verknüpft ist mit dem Rückgang der Stillquoten in den 1960er und 1970er Jahren und dem damals empfohlenen „Stillen und Füttern nach Plan“.
Viel verwechselt und einiges falsch verstanden
Mit „to wean“ wird im Englischen der Abstillprozess beschrieben, also der „Entwöhnungsprozess“ von der reinen Milchnahrung. Das ganze ist deshalb natürlich auch für mit Pre-Nahrung gefütterte Kinder ein guter Weg. Denn auch hier ist das Füttern nach Bedarf die Empfehlung. Dem schließt sich ganz logisch die „Beikosteinführung nach Bedarf“ an. Trotzdem wurde Baby-led weaning medial zum Trendthema. Und natürlich gab es deshalb die entsprechenden Skepsis gegenüber dem vermeintlich neuen Trend. Dabei existierten schon immer reichlich Babys, die ihr „Entwöhnungstempo“ selbst vorgegeben haben. Und Eltern, die sich darauf eingelassen haben.
Denn gerade dann, wenn ein Baby gar nicht einem vorgegebenen Schema folgen möchte, ließe sich eine Entwöhnung nur durch Ablenkung oder letztlich gegen den Willen des Kindes durchsetzen. Und das fühlt sich hoffentlich für Eltern so falsch an, dass sie dies intuitiv nicht tun. Oft bleibt aber eine emotionale Belastung zurück, weil sich die Eltern fragen, ob sie wohl etwas falsch machen, wenn ihr Kind nicht „nach Plan“ isst. Deshalb war es gut, dass dieses Thema zum Trend wurde. Doch natürlich wird schnell viel verwechselt und einiges falsch verstanden.
Baby-led weaning wird zum Beispiel immer wieder damit gleich gesetzt, dass statt Brei einfach die gleichen Zutaten in Fingerfood-Form gegeben werden. Also statt 190 Gramm Karotte-Kartoffel-Irgendwas-Brei bekommt das Baby dann vier Stück gekochte Möhre, zwei Kartoffeln und… nein, genau das ist nicht Baby-led weaning. Schon gar nicht, wenn damit die Erwartung verknüpft ist, dass das Kind anschließend bitte weniger stillt und somit eine Mahlzeit durch Beikost „ersetzt“ wäre.
Baby-led weaning berücksichtigt die Individualität jedes Kindes
Vor allem bedeutet Baby-led weaning, auf die Zeichen und Bedürfnisse des Kindes zu achten. Seine Entwicklung und sein wirkliches (also nicht nur dem Löffel hinterherschauen…) Interesse zeigen seine „Beikostreife“ an. Genauso wird es deutlich machen, was es probieren möchte, was es mag, was nicht und natürlich auch Hunger und Sättigung zeigen. Auch sein Bedürfnis, weiterhin gestillt zu werden, wird es so wie schon in den Monaten zuvor sichtbar anzeigen.
Aufgabe der Eltern ist es, die Zeichen ihres Kindes zu sehen, zu deuten und feinfühlig zu beantworten. Und natürlich ein gesundes Nahrungsangebot zu machen. Das geht am einfachsten, indem die Eltern selbst ausgewogen und gesund am Familientisch essen. Wie auch beim Laufen wird das Baby ins seinem ganz eigenen Tempo den jeweiligen Entwicklungsschritt machen. Ess- und Abstilltempo haben eine große Bandbreite. Genau wie einige Kinder eher früh oder eher spät laufen, hat auch das Entwöhnungstempo von der reinen Milchzeit zum Familientisch eine eigene innere Uhr.
Eltern sollten die Entwicklungsschritte ihrer Kinder nicht aufhalten, aber eben auch nicht zu versuchen, sie zu „beschleunigen“. Baby-led weaning, die Baby-geleitete Entwöhnung, berücksichtigt die Individualität jedes einzelnen Kindes. Genau das haben wir 2006 bei unserem ersten Baby auch getan. Und auch jetzt ist das der passende Weg für unser viertes Kind. Trend-Thema hin oder her…
Schreibe einen Kommentar