Keine Wahlfreiheit am Geburtsort

Wer gerade ein Kind geboren hat, wird wahrscheinlich bestätigen, dass in den letzten Stunden weder die Bilder an der Wand noch der Ausblick aus dem Fenster oder die Farbe des Gebärbettes eine wesentliche Rolle gespielt haben. Auch bei einer Hausgeburt wird das Interieur oder sogar der liebevoll zuvor gestaltete Gebärraum irgendwann egal sein. Dann entscheidet der Körper und nicht mehr der Kopf darüber, wo der beste Ort zum Gebären ist.

Dennoch ist das Thema Geburtsortwahl ein sehr wichtiges – aber hierbei sind nicht Ausstattungsmerkmale einer Klinik oder eines Geburtshauses der wirklich entscheidende Faktor. Schwangere haben in Deutschland das Recht, den für sie und ihr Baby passenden Geburtsort zu wählen. Dabei können Sie sich zwischen der klinischen Geburtshilfe, dem Geburtshaus oder einer Hausgeburt entscheiden. 

Zwischen Theorie und Praxis

Soweit ist das Ganze zumindest in der Theorie, denn im § 24f SGB V1 werden diese verschiedenen Geburtsorte explizit aufgeführt. So heißt es hier:

§ 24f SGB V Entbindung

Die Versicherte hat Anspruch auf ambulante oder stationäre Entbindung. Die Versicherte kann ambulant in einem Krankenhaus, in einer von einer Hebamme oder einem Entbindungspfleger geleiteten Einrichtung, in einer ärztlich geleiteten Einrichtung, in einer Hebammenpraxis oder im Rahmen einer Hausgeburt entbinden. Wird die Versicherte zur stationären Entbindung in einem Krankenhaus oder in einer anderen stationären Einrichtung aufgenommen, hat sie für sich und das Neugeborene Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung. 

Wie gesagt, das ist die Theorie. Doch die Einschränkung dieser Wahlfreiheit fängt oft schon damit an, dass in der näheren Umgebung der Schwangeren eine oder mehrere dieser Optionen gar nicht erst vorhanden sind. Oder die jeweiligen Wartelisten sind übervoll. Es existiert aber noch eine ganz andere, viel gravierendere Hürde: die freie Wahl der Geburtsbegleitung ist noch wesentlich eingeschränkter als die des Geburtsortes. Denn gerade mit der Wahl eines klinischen Geburtsortes ist längst noch nicht sicher, welche Begleitung am Geburtstag dann tatsächlich zur Geburt möglich sein wird. Die in geburtshilflichen Leitlinien empfohlene 1:1-Betreuung jedenfalls ist in Deutschland alles andere als sicher. Oftmals teilen sich drei oder mehr Gebärende eine Hebamme im Kreißsaal.

Begleitbeleghebammen sind in vielen Regionen gar nicht erst vorhanden, in anderen jenseits der 6.SSW längst ausgebucht. Gleiches gilt auch für die Hebammenbegleitung im Geburtshaus oder bei einer Hausgeburt. Wie eingangs beschrieben ist in den herausfordernden Momenten einer Geburt nicht die Kreißsaalfarbe relevant, sondern die unterstützende Fachperson an meiner Seite. Ich rede hier bewusst von der Fachperson, denn natürlich sind auch Partner oder Partnerin sehr wichtige Begleiter unter der Geburt – aber auch diese werden gerade Eltern. Ihre Aufgabe ist es nicht, die lückenhafte Hebammenbetreuung zu übernehmen – ganz im Gegenteil. 

Freie Wahl der Geburtsbegleitung

Welchen Wert also hat das Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes, wenn an diesem Ort nicht ausreichend Fachpersonal vorhanden ist, um die Geburt adäquat zu begleiten?

Das Sozialgesetzbuch spricht von der Entbindung und nicht vom Gebären. Vielleicht reduziert es damit auch das Geschehen auf den vergleichsweise kurzen Moment, in dem das Baby heraus in die Welt tritt. Meist lässt sich auch im unterbesetztesten Kreißsaal für diesen Moment noch kurz eine Hebamme oder eine Gynäkologin finden, um diesen kürzesten Teil der Geburt zu begleiten. Und kurz sind sie vielleicht auch vergessen, die langen Stunden, die man sich im Kreißsaal so allein gefühlt hat, weil die Hebamme in dieser Nacht von Saal zu Saal springen musste.

Aber die beim Gebären gemachten Erfahrungen begleiten uns ein Elternleben lang. Dass es nicht egal ist, wie wir geboren werden und aber auch wie wir gebären, ist längst gut untersucht. Dennoch ist die Umsetzung dieses Wissens zunehmend schwieriger.

Es braucht eine freie Wahl des Geburtsortes und eine freie Wahl bei der Geburtsbegleitung. Die freie Wahl, dass jede Gebärende so viel Hebamme und bei Bedarf genau jene fachärztliche Begleitung unter der Geburt bekommt, die sie für sich und ihr Kind benötigt.

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