„Meine Mütter“

Wer beruflich mit jungen Familien arbeitet, bekommt es oft zu hören und allzu schnell gleitet es einem selbst über die Lippen. Das Klientel, mit dem man arbeitet wird gerne „meine Mütter“ oder „meine Frauen“ beziehungsweise „meine Eltern“ genannt. Wenn ich hier über Erfahrungen aus dem Hebammenalltag schreibe, kommt mir das ausformulierte „von mir begleitete Frauen“ auch oft recht sperrig vor. Doch ich bemühe mich dieses „meine Mütter“ möglichst zu umgehen oder es zumindest in Anführungsstriche zu setzen. Denn es sind nicht „meine Mütter“, „meine Frauen“ oder „meine Schwangeren“. Auch das dazugehörige Kind ist nicht „mein Baby“.

Ich denke, es ist wichtig, sich das immer wieder bewusst zu machen, denn man ist auch im beruflichen Kontext schnell mal dabei, sich diese Mutterrolle aufzuerlegen. Ja, natürlich hat das Umsorgen und Begleiten einer (werdenden) Mutter auch immer etwas Mütterliches. Nicht umsonst nannte man die Hebamme früher auch Wehe-Mutter. Aber als Mutter nehmen wir unseren Kindern (je nach Alter) auch Entscheidungen einfach ab und tragen die ganze Verantwortung für ihr Tun. Eine Frau, die ich als Hebamme, Arzt, Stillberaterin, Kursleiterin oder in welchem Kontext auch immer begleite, ist aber erwachsen. Und so sollte sie auch behandelt werden.

Es ist nicht die Aufgabe der „professionellen Helfer“, einen Weg vorzugeben, sondern dabei zu unterstützen, einen eigenen Weg zu finden. Das gilt natürlich auch für meine eigenen Kinder, die ich als Mutter begleite. Aber im Familienalltag muss ich bestimmte Entscheidungen für das Kind übernehmen, eben weil sie noch zu klein sind, viele Dinge und deren Tragweite umfassend zu begreifen. Im beruflichen Kontext ist es aber so, dass wir den Eltern die Information an die Hand geben müssen, mit denen sie eine Situation bestmöglich überblicken können, um dann selbst zu einer informierten Entscheidung kommen zu können.

Und das ist manchmal gar nicht so einfach, weil das Thema „Kinder und Elternschaft“ immer hoch emotional besetzt ist. Und wirklich jeder hat eine Meinung dazu. Aber es hilft weder den Eltern noch dem Kind weiter, wenn von außen vorgegeben wird, was zu tun sei. Wir haben alle unsere eigenen Idealvorstellungen – diese sind aber allzu oft nicht das Ideal der anderen. Und haben darum im beruflichen Kontext nicht mehr zu suchen als allenfalls eine mögliche Idee oder ein Gedankenanstoß zu sein.

Selbst gewählte Wege begleiten

Bei sehr vielen Themen geht es aber um Fakten, die sich allerdings auch alle Nase lang mal ändern. Deshalb ist es wohl die größte Herausforderung, auf einem aktuellen Stand zu medizinischen, pädagogischen und anderen Fachfragen zu bleiben. Und man muss einfach zugeben, dass das nicht immer gelingt und man von der einen oder anderen neuen Leitlinie erst etwas später als die Kollegin hört, die gerade auf einer ganz aktuellen Fortbildung zum Thema war. Doch man darf auch als Fachperson zugeben, dass man etwas gerade nicht weiß, sich aber entsprechend informieren wird.

Das klingt jetzt alles sehr rational und irgendwie einfach, doch genau das ist es oft nicht. Die Familien, die man begleitet, liegen einem am Herzen und man wünscht sich das Beste für sie. Und wenn man sich dann schon ein Weilchen kennt, meint man auch gerne schnell mal zu wissen, was das Beste ist. Doch so einfach ist es nicht und man muss sich immer wieder daran erinnern, dass es nicht der eigene Job ist, den Eltern ihre Entscheidungen abzunehmen. Oft ist es darum hilfreich, mehr Fragen zu stellen, als immer nur Antworten zu geben. Fragen, die dazu führen, dass eine Frau oder ein Paar selbst herausfindet, was wichtig und richtig für sie und ihr Kind ist.

Ja, und manchmal findet man das dann „blöd“, was diese Eltern da machen. Aber wenn man objektiv darauf schaut, gibt es nur selten wirklich berechtigte Sorge, dass es sich hierbei um eine Kindeswohlgefährdung oder die Gefährdung der eigenen Gesundheit handelt. Ist ein Kind tatsächlich in Gefahr, bin ich zumindest als Fachperson sogar verpflichtet, tätig zu werden. Und an dieser Stelle muss ich dann auch die Entscheidung treffen und Verantwortung für eine Situation übernehmen.

Aber das ist zum Glück nur sehr selten der Fall. In allen anderen Fällen entscheiden die Eltern dieses Kindes. Mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren ganz persönlichen Ressourcen. Und in der Regel auch mit all ihrer Liebe zu ihrem Kind. Und die kann sich auf viele Weisen zeigen. Man muss nur genau hinschauen und vor allem nicht voreilig „urteilen“. Und man sollte auch immer klären, was als Fachperson überhaupt der eigene Auftrag in jedem einzelnen Fall ist. Viele von uns sind mit einem ausgeprägten Helfer-Syndrom ausgestattet. Schnell reißt man da mal Dinge an sich, die von den Eltern eigentlich gar nicht angefragt waren. Es ist nicht immer leicht, die gesunde Balance zu behalten, wenn man in einem so vertrauten Verhältnis arbeitet. Doch auch ein Zuviel tut genauso wenig gut wie ein Zuwenig. Als Hebamme, Ärztin oder Beraterin kann ich zuhören, informieren und die gewählten Wege dann möglichst gut begleiten. Das ist meine Aufgabe, mehr aber auch nicht. Denn es sind nicht „meine“ Mütter, Väter und Kinder.

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