Stillen ist ein Vollzeitjob

Dies ist der 31. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier). Heute erzählt Ann-Kathrin ihre Geschichte. Sie lebt mit ihrem Freund und Sohn Paul (15 Monate) in Berlin. Vor kurzem ist sie von Prenzlauer Berg nach Karlshorst gezogen. „Liebste Hobbys: Tango tanzen, Yoga und reisen. Ersteres kommt zur Zeit ein bisschen zu kurz, letzteres geht mit Kind ganz wunderbar.“ Nach einer langen Geburt hatten Ann-Kathrin und ihr Sohn einen guten Stillstart. Nach zwei Wochen jedoch traten Stillprobleme auf. Wie Ann-Kathrin diese bewältigt hat und die Stillzeit weiter ging, erzählt sie hier.

Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht? In meinem Freundeskreis hatten schon einige Kinder, bevor ich schwanger wurde. Die meisten stillten. Für mich war klar, dass ich auf jeden Fall stillen wollte. Ich hatte mir nicht wirklich Gedanken gemacht, ob das klappen würde oder nicht. Ich hatte allerdings auch keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit stillen ist. Das es wirklich ein Vollzeitjob ist, zumindest die ersten Monate und eben nicht so nebenbei passiert.

Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit? Während der Schwangerschaft habe ich mich etwas intensiver in das Thema Stillen eingelesen und wusste ab da, dass ich auch so lang stillen wollte, wie es sich für mich und das Kind gut anfühlen wird. Und eben nicht ab einem bestimmten Alter des Kindes aufhören würde.Da ich nach ca. einem Jahr wieder arbeiten gehen wollte und Paul dann für einige Stunden in der Kita sein würde, war klar, dass sich ab dann das Stillen zumindest auf morgens, abends und nachts beschränken würde oder er sich vielleicht selbst abstillte. Das ist allerdings nicht passiert 😉

Wie verlief der Stillstart und wie ging es Dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente? Der Stillstart verlief anfangs problemlos. Wir waren in einem stillfreundlichen Krankenhaus und bekamen nach der Geburt viel Zeit für das Bonding mit unserem Baby. Paul suchte recht schnell nach der Geburt meine Brust und dockte gut an. Er war die ersten Tage überhaupt sehr ruhig, schrie fast nie, trank, schlief und guckte nur.

Wir blieben nur eine Nacht im Krankenhaus

Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung? Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für Dich da? Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen? Wir blieben nur eine Nacht im Krankenhaus und hatten eigentlich ein sehr harmonisches Wochenbett. Nach zwei Wochen wurde das Stillen jedoch schmerzhaft, insbesondere an der linken Brust. Die Brustwarzen wurden wund und zum Teil leicht blutig. Ich fing an zu verkrampfen, wenn ich merkte, dass Paul wieder an die Brust wollte. Insbesondere, wenn die linke Seite an der Reihe war. Das erste Andocken war dann auch immer ein kurzer stechender Schmerz, der mir die Tränen in die Augen trieb.

Ich besprach mich mit meiner Hebamme, die dann das Andocken kontrollierte, mit mir unterschiedliche Stillpositionen ausprobierte und mich ermutigte, durchzuhalten. Im Krankenhaus hatte mir eigentlich niemand gezeigt, wie es richtig ging. Ich hatte bis dahin alles rein intuitiv gemacht. Ich benutze Salben und probierte alle gängigen Tipps aus, suchte im Internet nach weiteren Hilfen, aber so richtig besser wurde es nicht. Ich fing an, mich damit abzufinden. Irgendwann nachdem ich ein Video zur richtigen Andocktechnik angesehen hatte, beobachtete ich Paul beim Trinken und da fiel mir auf, dass er die Unterlippe nicht richtig ausstülpte und im Laufe des Trinkens immer wieder einzog und quasi mit seinem Zahngaumen auf der Brustwarze „kaute“.

Zufällig bekam ich dann eine Beratung bei einer Stillberaterin. Sie empfahl mir, Paul wirklich jedes Mal abzudocken, wenn er nicht richtig mit ausgestülpten Lippen andockte, damit er sich das Lippeneinziehen wieder abgewöhne. Sie sah auch, dass sein Unterkiefer relativ weit hinten lag, dieser aber im Laufe der Zeit mehr nach vorne kommen würde. Vermutlich fiel Paul das Ausstülpen der unteren Lippe schwer. Sie machte mir aber auch sehr viel Mut, dass ich das schaffen würde und in ein paar Wochen Stillen das Normalste der Welt sein würde.

Ungewohnte Stillpositionen einnehmen

Und sie machte mir Mut, auch ganz ungewöhnliche Positionen auszuprobieren. Alles, was sich gut anfühle, sei erlaubt. Das nahm ich mir zu Herzen und es klappte. Es dauerte ein bis zwei Wochen, bis Paul etwas besser andockte, aber das war bereits eine unglaubliche Erleichterung. Dieser Fortschritt spornte mich an. Jetzt ist mein Sohn 2 Jahre alt und ich stille manchmal immer noch zum einschlafen oder morgens. Für Paul ist das ein Rückzugsort der ihm Geborgenheit und Sicherheit gibt und ich genieße diese kleinen innigen Momente mit ihm.

Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen? Ich konnte meine Hebamme immer fragen und sie nahm sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch viel Zeit, zeigte mir viele unterschiedliche Stillpositionen und ermutigte mich. Auch mein Freund war eine sehr große Hilfe. Er half mir, ungewohnte Stillpositionen einzunehmen, auch nachts, obwohl er nach vier Wochen wieder Vollzeit arbeiten musste. Er fragte immer, wie er mir noch was Gutes tun könnte. Außerdem besuchte ich das Stillcafé des Krankenhauses, in dem ich entbunden hatte. Dort berieten Hebammen und Stillberaterinnen. Mir half aber auch der Austausch mit anderen Frauen. Dass man nicht allein war und hörte, dass es wirklich besser werden kann, half mir auch weiter.

Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert? Ich hatte eigentlich keine wirklichen Erwartungen an den Beikostbeginn. Nach vier Monaten lief das Stillen so selbstverständlich, ich stillte überall: zu Hause, im Café, im Park, in der S-Bahn (übrigens ohne jemals einen dummen Spruch zu hören). Ich wollte Paul die ersten sechs Monate voll stillen, beobachtete ihn aber, wie er sich verhielt, wenn wir aßen. Er zeigte zunehmend Interesse, aber so richtig erst mit sieben Monaten.

Mischung aus Stillen, BLW und Breikost

Von Anfang an hatten wir keinen festen Beikostplan, sondern praktizierten eine Mischung aus stillen, BLW und Breikost. Bis zum zehnten Monat nahm das Stillen noch am meisten Raum ein, obwohl Paul gerne andere Dinge aß und ausprobierte. Es waren eben nur noch nicht konstant so Riesenmengen. Das Mittagessen wurde die erste Mahlzeit, die eine Stillmahlzeit ersetzte. Peu a peu wurde es über den Tag weniger mit dem Stillen. Nachts und zum einschlafen verlangte und verlangt Paul aber immer noch ausschließlich die Brust.

Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit? Durch die Kita ist das Stillen über den Tag automatisch deutlich weniger geworden und pendelte sich auf morgens, abends und nachts ein. Gleichzeitig wollte Paul seit der Kita abends und nachts aber oft umso mehr stillen. Ich merke ganz deutlich, dass es für ihn dabei nicht primär um Nahrungsaufnahme geht (denn er ist ein guter Esser). Es ist für ihn eine Rückversicherung und ein Beruhigungsmoment. Ich glaube, er holt sich so seine Zeit mit mir, die er tagsüber nicht hat. Er weiß ja, beim Stillen hat er mich ganz für sich alleine.

Ich hatte vorher gedacht, dass er sich eher selbst abstillen würde, da er ansonsten eher ein kleiner Draufgänger ist und wie gesagt auch ein guter Esser. Aber das ist nicht passiert. Nachdem ich wieder angefangen hatte zu arbeiten, wurden die Nächte sehr anstrengend und nach einem dreiviertel Jahr – Paul war 20 Monate alt – entschied ich, ihn nachts nicht mehr zu stillen. Dieser Abstillprozess verlief problemloser als erwartet. Paul verstand und akzeptierte, dass wir jetzt nur noch morgens und abends stillen würden und nachts nur noch kuscheln. Seitdem schläft er auch fast durch und für den Papa ist es auch einfacher ihn abends ins Bett zu bringen.

Ein Gefühl von Stolz

Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen? Dieser innige Moment, den man mit sich und seinem Baby hat. Stillen bedeutet im Hier und Jetzt zu sein, ist ganz Sein. Du kannst es nicht beschleunigen, und nicht viel anderes nebenbei machen. Ich finde es nach wie vor ein Wunder, dass mein Körper diesen kleinen Menschen hervor gebracht und ernährt hat. Das ist auch ein Gefühl von Stolz.

Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit? In der sehr schmerzhaften Phase im Wochenbett war das Anlegen wirklich jedes Mal eine Überwindung. Und später die Nächte, weil Paul zum Teil stündlich wach war und nur durch stillen wieder einschlief. Das kostete viel Energie, besonders als ich wieder anfing zu arbeiten und es tagsüber keine Ausruhmöglichkeit mehr gab. Aus meinem Umfeld kamen dann auch schon öfter mal Aussagen wie „Ach, du stillst noch“, „Du musst abstillen, dann schläft er durch, war bei uns auch so“ oder „Er braucht das Stillen doch eigentlich nicht mehr“… es war anstrengend, sich in dieser Sache erklären zu müssen. Wobei ich ja zugeben muss, dass Paul tatsächlich besser schläft, seit wir nachts nicht mehr stillen, aber vielleicht hat es auch nur etwas mit seinem Alter und Entwicklungsreife zu tun. Denn er sagt auch öfter, dass er allein in seinem Bett schlafen will.

Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest? Ich würde von Anfang an darauf achten, die richtige Andocktechnik gezeigt zu bekommen. Im Krankenhaus oder von der eigenen Hebamme, damit nach Möglichkeit das Wundwerden so gering wie möglich ist. Und diese Hilfe auch wirklich einfordern. Obwohl ich in einem stillfreundlichen Krankenhaus war, war die Beratung rund ums Stillen direkt nach der Geburt sehr gering. Meiner Ansicht auch aus Zeitmangel seitens des Personals. Man musste schon proaktiv sein, dann wurde einem auch alle gezeigt, nur weiß man ja anfangs gar nicht, auf was man alles achten muss. Und ist ja ohnehin völlig überwältig von dem Wunder der Geburt in den ersten Tagen.

Professionelle Unterstützung fehlt

Mein Tipp an andere Mütter ist: Nutzt das Netzwerk über Stillcafés, Pekip-Gruppen, Freunden und so weiter. Ein Termin bei einer Stillberaterin kann Wunder wirken. Ansonsten sollte frau auf ihr Gefühl hören. Ob sie stillen möchte, wie lange… das ist von so vielen individuellen Faktoren abhängig und niemand sollte sich durch die Geschichten anderer Reinreden lassen.

Es gibt auch gute Gründe nicht zu stillen. Ich glaube aber, viele geben quasi „zu früh auf“, weil ihnen die professionelle Unterstützung fehlt. Und stillt auch in der Öffentlichkeit. Es ist das Natürlichste der Welt und sollte viel sichtbarer sein. Wir haben in unserer Gesellschaft ja auch kein Problem damit, dass uns überall halbnackte Brüste auf Werbeplakten anspringen. Ich persönlich habe überhaupt keine negativen Erfahrungen mit dem Stillen in der Öffentlichkeit gemacht, im Gegenteil.

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