Wochenbettwissen: Wochenbett mit Geschwisterkindern

Im ersten Wochenbett mit „nur“ einem Baby (zumindest wenn man keine Mehrlinge geboren hat) können sich die Eltern idealerweise ganz auf den Rhythmus dieses Kindes einlassen. Sie können sich in der Wochenbetthöhle verkriechen, so lange sie es brauchen. Trotzdem ist es natürlich eine große Herausforderung, vom Alltag als Paar zum Familienalltag mit einem in vielen Bereichen sehr bedürftigen Baby umzuschalten.

Wenn sich ein weiteres Kind ankündigt, hat man zwar schon eine gute Idee davon, wie die erste Zeit nach der Geburt aussehen kann. Dennoch ist dieses zweite Wochenbett eine andere Situation mit anderen und neuen Herausforderungen. Aber auch mit vielen neuen wunderschönen und berührenden Momenten, die diese Familienerweiterung mit sich bringt.

Ein paar Überlegungen vorab können auf das Wochenbett mit Geschwisterkindern etwas vorbereiten. Aus meiner Hebammenerfahrung heraus ist es wirklich wichtig, dass sich Mütter auch nach einer zweiten, dritten oder vierten Geburt klar machen, dass die Wochenbettruhe genauso wichtig ist. Die körperliche Leistung ist ebenso groß – egal, ob die Geburt kürzer und gefühlt leichter war oder nicht. Gerade der Beckenboden wird mit jeder weiteren Schwangerschaft und Geburt ordentlich gefordert. Umso wichtiger ist es, der notwendigen Ruhe zur Regeneration genug Zeit einzuräumen. Auch das neue Geburtserlebnis braucht einen Raum. Denn jede Geburt ist einzigartig und besonders.

Familienteam muss sich neu aufstellen

In Bezug auf das erneute Elternwerden sollten sich Eltern klar machen, dass auch das zweite oder dritte Mal ein erstes Mal ist. Dieses kleine Menschenkind wird zum ersten Mal geboren. Bereits erfahrene Eltern kennen zwar das Elternsein an sich bereits. Aber dieses neue Baby, seine eigene Persönlichkeit und seine Bedürfnisse müssen sie erst kennenlernen.

Und natürlich verändert sich auch etwas für das große Geschwisterkind. Gerade für Erstgeborene ist das Teilen der elterlichen Aufmerksamkeit und der Ressourcen eine große Veränderung. Je nach Alter sind die Geschwister mehr oder weniger darauf vorbereitet. Je jünger ein Kind ist, umso weniger kann es sich vorstellen, wie die kommende Zeit werden wird.

Natürlich bringt bereits die Schwangerschaft einiges an Veränderungen mit sich. Wenn diese eher belastet oder komplikationsreich verläuft, ist schon hier vieles im Umbruch. Wenn das Baby dann da ist, muss sich ein eingespieltes Familienteam wieder neu aufstellen. Das ist unter Umständen ziemlich herausfordernd. Aber man kann als Eltern ein paar Punkte bedenken:

Bindung zum Kind vertiefen

  • Vorbereitung ist nicht nur für Eltern, sondern auch für Geschwisterkinder wichtig. Dabei muss natürlich das Alter berücksichtigt werden. Aber durch das gemeinsame Ansehen von Büchern, durch Rollenspiele oder auch den Besuch eines Geschwister-Vorbereitungskurses kann sich der große Bruder oder die große Schwester auf die neue Situation etwas einstellen. Auch der Besuch von anderen befreundeten Familien mit Baby ist für zukünftige Geschwisterkinder meist sehr spannend.
  • Wenn die Anwesenheit der Geschwister bei der Geburt eine mögliche Option ist, muss die Situation gut vorbereitet sein. Das heißt zum Beispiel, dass es unter der Geburt eine Person gibt, die ausschließlich für das Geschwisterkind zuständig ist. Mehr dazu kannst du in unserem Beitrag „Wo sind die Geschwister bei der Geburt“ lesen.
  • Gerade wenn die Geburt mit einer mehr oder weniger lange andauernden Abwesenheit der Mutter einhergeht, kann das je nach Alter des Kindes eine ziemliche Herausforderung sein. Es ist darum hilfreich, dass die Person, die sich in Abwesenheit kümmern wird, in den letzten Tagen vor der Geburt im Alltag schon präsenter ist. So lässt sich die Bindung zum Kind vertiefen.

Ankunft des Babys „greifbarer“ machen

  • Organisatorisch kann das natürlich schwierig sein, wenn z.B. Großeltern extra anreisen. So ein Geburtstermin ist ja alles andere als planbar. Vielleicht gibt es noch andere Menschen aus dem Alltag des Kindes, die in dieser Phase ein bisschen auf Abruf präsent sein können. Das können die Eltern von Kitafreunden des Kindes ebenso sein wie die vertraute Babysitterin.
  • Für die Mutter ist es emotional wirklich wichtig, dass sie ihr erstes Kind gut betreut weiß, wenn sie in die Geburt geht. Darum verzichten auch manche Frauen auf die Anwesenheit des Partners, damit dieser in der Zeit das große Kind betreuen kann. Wichtig ist, sich früh genug mit diesem Thema zu beschäftigen und die individuell bestmögliche Option zu finden.
  • Wenn das Baby geboren ist, ist es schön, wenn das größere Kind das Geschwisterchen sobald wie möglich kennenlernen kann. In der Klinik ist in der Regel ein zeitnaher Besuch möglich. Auf die Intensivstation verlegte Babys dürfen wegen des Infektionsrisikos meist nicht von den Geschwistern besucht werden. Fotos und Videos können in dieser belastenden Zeit die Ankunft des neuen Babys etwas „greifbarer“ machen.

Zwischen Liebe und Ablehnung

  • Die Reaktionen von Geschwistern auf das neue Baby fallen sehr unterschiedlich aus. Das ist vom Alter, aber ebenso auch von der Tagesform und einfach von der Individualität des Kindes abhängig. Neben großer Freude und Geschwisterliebe auf den ersten Blick gehören auch Desinteresse und Ablehnung zu den normalen Reaktionen.
  • Natürlich verschicken wir Eltern am liebsten „Geschwisterplüsch“-Bilder. Aber genauso ist es okay, wenn das Baby nicht auf den Arm genommen werden möchte oder es vielleicht aus Kindersicht „langweilig“, „verschrumpelt“ oder sogar „blöd“ ist. Genau wie Eltern sich Zeit nehmen sollten, ihr Kind kennenzulernen und die Bindung zu intensivieren, darf es ein bisschen dauern, bis die ersten Geschwisterbande geknüpft werden. Andere Kinder wiederum sind so verzückt von dem Geschwisterbaby, dass man sie direkt etwas ausbremsen muss, damit es wiederum für das Baby nicht zu viel ist.
  • Und schon ist man mittendrin in der Aufgabe, die einen ab jetzt viele Jahre begleiten wird: mit mehr als einem Kind im Haus müssen immer wieder Bedürfnisse austariert werden, damit keiner zu viel oder zu wenig bekommt. Der ewige „Kampf um elterliche Ressourcen“ rührt sicherlich noch aus Zeiten, in denen mit der Geburt des nächsten Kindes wirklich das Leben des zuvor geborenen Kindes in Gefahr war. Etwa weil vielleicht nicht genug Nahrung vorhanden war, wenn die Stillzeit dadurch endete.

Kennenlern- und Kuschelzeit

  • Heute geht es viel mehr um die Aufmerksamkeit der Eltern, aber auch das bedingt sich eben daraus, dass kleine Menschen sehr von ihren Eltern abhängig sind – auch wenn es um ihre emotionalen Bedürfnisse geht. Und Eltern von mehr als einem Kind wissen, dass immer genug Liebe, aber eben nicht immer genug Zeit für alle Kinder da ist.
  • Dieses Hin- und Herpendeln zwischen kleinen und großen Kinderbedürfnissen ist eine ziemlich große Herausforderung. Gerade in der hochemotionalen Wochenbettzeit schwanken wir als Mütter zwischen Glück, Überforderung und nun auch noch einem schlechten Gewissen, weil wir statt mit dem großen Kind zu spielen das kleine stillen.
  • Oder wir sehen, wie die Bande zum anderen Elternteil immer enger werden und spüren vielleicht sogar Eifersucht. Vielleicht vermissen wir in manchen Momenten unser großes Kind und die Nähe zu ihm so sehr, dass es körperlich fast weh tut. Oder wir betrauern ein bisschen, dass wir mit dem zweiten Kind nicht so viel exklusive Kennenlern- und Kuschelzeit wie im ersten Wochenbett haben. All diese Gefühle dürfen gespürt und auch ausgesprochen werden. 

„Wachstum über Nacht“ der Erstkinder

  • Natürlich kann man mit einem Geschwistergeschenk, was das Baby „mitbringt“, für einen guten Einstand des Babys sorgen. Ein Korb mit besonderen Spielsachen kann die Stillzeiten des Babys auch für das ältere Kind etwas interessanter machen. Es ist auch sinnvoll, dass große Geschwisterkind in die Versorgung des Babys einzubeziehen. Es kann beim Anziehen, Wickeln, Baden und auch beim Trösten helfen. Und trotzdem wird es Tage geben, in denen man spürt, dass das große Kind etwas anderes braucht. Und weil das kleine Baby auch so viel braucht, kann man nicht alles so geben und tun, wie es mit „nur“ einem Kind der Fall wäre.
  • Im Vergleich zu einem Neugeborenen wird einem auch das vielleicht erst zwei Jahre alte Geschwisterkind plötzlich riesengroß erscheinen. Und mit diesem „Wachstum über Nacht“ steigen oft auch die Erwartungen an das Kind. Auch von Schulkindern oder Teenagern wird bisweilen zu viel erwartet, wenn ein Geschwisterchen dazu kommt. Darum müssen wir uns als Eltern immer wieder klar machen, dass auch dieses „plötzlich so riesige Kind“ gerade erst drei, fünf oder acht Jahre alt ist.
  • Kinder sind kleine Gewohnheitstiere. Mit der Ankunft des Babys ändern sich oft – zumindest vorübergehend – bestimmte Abläufe. Das Wochenbett ist ein Ausnahmezustand. Aber gerade den Geschwistern gibt es Halt, wenn sich nicht zu viel ändert. Gemeinsame Mahlzeiten können dann ja vielleicht zusammen an der Bettkante im Schlafzimmer stattfinden, wenn die Mutter aufgrund von Geburtsverletzungen noch nicht am Tisch sitzen kann.

Auf die eigenen Ressourcen achten

  • Oft entwickelt sich ein bisschen automatisch eine Aufteilung der Eltern, wobei die Mutter das Baby und der Vater das ältere Kind mehr umsorgt. Für alle Familienmitglieder ist es sinnvoll, das wieder etwas zu verändern, wenn es sich eingeschlichen hat. Die Gute-Nacht-Geschichte kann auch vom Wochenbett aus vorgelesen werden, während das Baby vom Partner im Tuch geschaukelt wird. Wenn das Geschwisterkind in die Kita geht, stellen sich Eltern vielleicht die Frage, ob das große Kind eine Zeit lang pausieren oder weiter hingehen sollte. Darauf gibt es keine pauschale Antwort, aber ein paar Denkanstöße im Beitrag „Kitapause im Wochenbett?“
  • Was Eltern oft im „zweiten“ Wochenbett vergessen ist, wie wichtig und wertvoll Unterstützung ist. Diese bezieht sich diesmal nicht nur auf Unterstützung im Haushalt, sondern auch auf die Versorgung der Geschwisterkinder. Und mit Versorgung ist vor allem gemeint, dass es wirklich unterstützend ist, wenn ausgeschlafene, liebe Freunde oder Familienmitglieder mit dem großen Kind spielen, toben, lesen oder etwas schönes unternehmen. Denn natürlich sind auch bereits erfahrene Eltern an so manchen Wochenbetttagen einfach müde und alle. Wie gut fühlt es sich an, wenn dann jemand mit dem Kind auf den Spielplatz geht und man tagsüber einfach mal zwei Stündchen Schlaf nachholen kann.
  • Wer einen Babysitter für das größere Kind hat, sollte diesen auch im Wochenbett kommen lassen, anstatt zu denken „Ich bin ja sowieso zu Hause“. Unterstützung anzunehmen bedeutet nicht, dass man es mit zwei oder mehr Kindern nicht hinbekommt. Ganz im Gegenteil. Je mehr Kinder da sind, desto mehr muss man auf die eigenen Ressourcen achten. Denn die sich „einfach so“ ergebenden Regenerationszeiten werden mit jedem Kind mehr weniger. Deshalb am besten gleich von Anfang an darauf achten, dass man vor lauter Kindern auch gut auf sich selbst achtet.

Wunderschön und ruckelig zugleich

  • Das Zusammenleben von Geschwistern ist ein Thema, das Eltern natürlich weit über das Wochenbett heraus beschäftigt. Eifersucht tritt oft auch gar nicht unbedingt in den ersten Wochen, sondern viel später auf. Oder auch gar nicht. Wie diese erste Zeit verläuft hängt oft viel weniger vom Verhalten der Eltern, als vom Temperament und Wesen der Geschwisterkinder ab.
  • Unsere Aufgabe ist es, die damit verbundenen Gefühle der Kinder zu begleiten. Und auch unsere eigenen Gefühle anzuerkennen und einen guten Weg zu finden, mit ihnen umzugehen. Der Kinderarzt Dr. Carlos Gonzales beschreibt in seinem Buch „In Liebe wachsen“ den Einzug des neuen Geschwisterchens mit folgenden Worten: „Wir dürfen nicht anstreben oder erwarten, dass ein Kind nicht eifersüchtig ist. Stellen sie sich einmal vor, ihr Mann kommt eines Tages mit einer jüngeren Frau nach Hause: ‚Liebling, ich möchte dir die Laura, meine zweite Frau, vorstellen. Da sie neu ist und sich erst eingewöhnen muss, werde ich ihr viel Zeit widmen müssen. Ich hoffe, da du schon älter bist, wirst du dich gut benehmen und mehr zu Hause helfen. Sie wird bei mir im Zimmer schlafen, damit ich leichter für sie sorgen kann, und du wirst ein eigenes Zimmer ganz für dich alleine haben, da du ja schon groß bist. Du bist doch sicher froh ein eigenes Zimmer zu bekommen? Ach ja, deinen Schmuck teilst du natürlich mit ihr.‘ Na wären sie da nicht auch ein bisschen eifersüchtig?“
  • Ob dieses Bild oder ein anderes dabei hilft, sich in die Situation des Kindes hineinzufühlen, ist unerheblich. Wichtig ist nur anzuerkennen, dass die Geburt eines Kindes die bisherige Familiendynamik verändert. Das darf sich wunderschön und ruckelig zugleich anfühlen, wenn man als Familie gemeinsam wächst.

Buchempfehlungen:
Das Wochenbett von A. Gaca und L. Stern (Kösel 2016) | Geschwister als Team von N. Schmidt (Kösel 2018)

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Kommentare

2 Antworten zu „Wochenbettwissen: Wochenbett mit Geschwisterkindern“

  1. F
    Franziska

    Vielen Dank für diesen Artikel! Die Themen Geschwister und Wochenbett mit dem zweiten Kind kommen sonst überall zu kurz, so dass ich wirklich froh bin, darüber zu lesen.
    Ich fühle mich absolut verstanden und ihr habt genau die Dinge angesprochen, die mich seit der Geburt unseres zweiten Kindes beschäftigen.

  2. K
    Kerstin

    Beim ersten Kind viel das Wochenbett umständehalber aus. Also so richtig, komplett. Die Geburt im Krankenhaus war überstürzt, die Entlassung an einem Freitag Nachmittag auch. Und obwohl ich von einer unglaublich engagierten Hebamme begleitet wurde und körperlich alles in Ordnung schien, blieb meine psychische Gesundheit auf der Strecke. Die Umstellung von unabhängiger Frau auf Mutter eines High-Need Babys hat mich trotz einer Liegendschwangerschaft komplett aus den Angeln gerissen.
    4 Jahre später kam die kleine Schwester. Wir waren besser vorbereitet aber kurz vor der Entbindung hat das Leben wieder andere Pläne gemacht und so viel das Wochenbett wieder eher kurz aus. Dieses Mal hatte ich mehr körperliche Probleme, Lochienstau, Blutsturz, Gebärmutterentzündung, Milchstau, Brustentzündung und dazu Tage an denen das Haus voll Menschen war die teilweise ihr RatSchläge nicht für sich behielten. Trotzdem gab es viel mehr Wochenbett, gemeinsam kuscheln, schöne und gute Momente.

    Die Gewissheit dass auch die anstrengenden Tage wieder anders werden, egal ob man was tut oder nicht und dass die Zeit neues bringen wird war in der Zeit als Mutter schon gewachsen und auch das aussortieren bei Menschen die eigentlich keinen Rat haben sondern sich nur sich selbst ihrer eigenen Großartigkeit versichern wollen.

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