Fast täglich bekomme ich Anfragen für eine Stillberatung, da ich neben meinem Hebammenexamen auch eine Weiterbildung zur Still- und Lakatationsberaterin IBCLC gemacht habe – sehr oft von Frauen, die aktuell im Wochenbett sind. Denn gerade am Anfang gibt es natürlich häufiger Schwierigkeiten, wenn sich alles zunächst erst einspielen muss. In der Regel werden die Familien von einer Hebamme im Wochenbett begleitet, die schon viele wertvolle Tipps gegeben hat, aber an der einen oder anderen Stelle vielleicht gerade nicht weiterkommt. Oft kontaktieren mich auch Kolleginnen direkt – eine schöne Zusammenarbeit. Mit ein oder zwei Hausbesuchen lässt sich in aller Regel die Stillsituation nachhaltig verbessern. Ich bleibe mit den Müttern in Kontakt, aber die weitere Begleitung wird vor allem durch die betreuende Hebamme abgedeckt. Da die Still- und Laktationsberatung zumindest in Deutschland noch keine Leistung der Krankenkassen ist, die Hebammenbetreuung aber schon, ist das natürlich auch aus finanziellen Aspekten betrachtet sinnvoll.
Zunehmend melden sich aber mehr und mehr Mütter mit Stillproblemen bei mir, die gar keine Wochenbetthebamme haben. Und das, obwohl sie nach eigener Aussage bereits viele Monate vor der Geburt mit der Suche nach einer Hebamme begonnen hatten. Und hier wird immer wieder deutlich, dass wir das Wochenbett nicht in Brust oder Bauch oder sogar in Körper oder Seele aufteilen können. Denn diese besonderen sechs bis acht Wochen nach der Geburt sind eine Phase, in der sich alles umstellt und manchmal die Welt gefühlt auf den Kopf stellt.
Wenn wir bei den körperlichen Fakten bleiben, stellen sich der Kreislauf und der Hormonhaushalt um. Es bildet sich die Gebärmutter zurück, heilen Geburtsverletzungen und die Milchbildung kommt in Gang. Aber es passiert noch wesentlich mehr. Es ist die Zeit, in der Eltern ihre Bindung zum Kind aufbauen, aus der die einstige Zweierbeziehung zu einer Dreierbeziehung wird – was durchaus als Krise erlebt werden kann. Selbst wenn schon ältere Kinder in der Familie sind, braucht es auch hier wieder Zeit, damit jeder seinen Platz in der Familie findet. Plötzlich ganz real Geschwisterkind zu sein oder Eltern von zwei, drei oder mehr Kindern, es verändert eben einfach die bisherige Situation. Alle brauchen Zeit zum Ankommen.
Eine Zeit, in der alles fließt
Gerade die Mütter sind in der Phase des Wochenbetts sehr offen und verletzlich. Diese erhöhte Sensibilität sorgt dafür, dass sie sich voll und ganz auf ihr Kind einlassen können. Gleichzeitig kann eine Mutter häufig Belastungen von außen nicht mehr so gut filtern und lässt vieles nah an sich herankommen. Da in unserer Gesellschaft das Wochenbett keinen wirklich Schutz genießt, sind die Erwartungen, dass eine Frau nach der Geburt schnell wieder „funktioniert“ leider entsprechend hoch. Sorglose Medien, die strahlende und durchtrainierte Mütter nur wenige Wochen nach der Geburt abbilden, tragen ein Übriges zu diesem Zerrbild bei. Große Müdigkeit, Erschöpfung oder einfach benötigte Zeit zum Heilen werden in diesem Kontext ausgeblendet.
Viele Frauen brauchen im Wochenbett erst einmal Zeit und Raum, um die Geburt zu verarbeiten. Leider nicht selten eine Geburt, die sie für sich nicht als gut und in ihrer eigenen Kraft stärkend wahrgenommen haben. Manche Geburten werden sogar zum Trauma. Das liegt nicht unbedingt daran, ob es ein Kaiserschnitt oder die Wassergeburt bei Kerzenschein war, sondern wie sehr die Selbstbestimmung der Frau unter der Geburt gewahrt wurde. Wie sie begleitet wurde und ob sie informiert mit allen eventuell notwendigen Entscheidungen mitgehen konnte. Das alles sind Faktoren, die natürlich auch von einer ausreichenden personellen Besetzung abhängig sind. Die Schwangere, die keine Hebamme mehr für die Wochenbettbetreuung hatte, konnte erst recht keine Hebamme mehr finden, die sie bei einer Geburt inner- oder außerhalb der Klinik hätte begleiten können. Denn die Anzahl der freiberuflichen geburtshilflich tätigen Hebammen ist noch wesentlich geringer, als die derjenigen, die eine Betreuung vor und nach der Geburt anbieten.
Das Thema „alleine gelassen sein“ beginnt also oft nicht erst im Wochenbett.
Das Wochenbett ist eine Zeit, in der alles fließt – nicht nur der Wochenfluss und die Milch, sondern auch Tränen haben im Wochenbett ihren Platz. Tränen vor Freude, aber auch aus Angst, Sorge oder Trauer, weil alles doch ganz anders als erwartet ist. Man kann vorher noch so viele Ratgeber gelesen, Experten befragt oder Freunde beobachtet haben. Wie es sich anfühlt, Geburt und Wochenbett zu erleben, lässt sich nicht theoretisch erfassen. Und ja, es wird insgesamt gerne etwas unterschätzt. Gerade in den letzten Wochen der Schwangerschaft steht so ein „Wenn die Geburt erst einmal geschafft ist, wird alles gut…“ im Raum. Wochenbett und Stillzeit werden dann schon irgendwie funktionieren. Es ist wahrscheinlich auch ein gewisser Selbstschutz, dass man sich gerade beim ersten Kind alles ein bisschen einfacher und „romantischer“ ausmalt. Das Wochenbett, auch Babyflitterwochen genannt, kann durchaus eine irgendwie romantische Zeit sein. Das ist sie aber nicht unbedingt, wenn die Brüste schmerzen, das Baby sehr hohe Bedürfnisse hat und die externe Unterstützung ausbleibt.
Keine Option für die sensible Zeit des Wochenbettes
Wenn sich nun also Frauen mit Stillproblemen im Wochenbett melden, lässt sich das meist nicht mit einer einzelnen Stillberatung lösen. In sehr vielen Fällen brauchen die Mütter einfach eine Wochenbettbegleitung, die den „Schwiegermuttermilchstau“ genauso wie die Verdauungsprobleme des Babys und den ersten großen Streit mit dem Partner einfach ein bisschen mit auffängt. Diese Frauen brauchen jemanden, der sich die Geburtsgeschichte so lange anhört, bis es ihnen gut damit geht oder der andere Hilfe vermittelt, wenn sich ein Trauma daraus entwickelt hat. Sie brauchen jemanden, der eindringlich auf die Notwendigkeit der Bettruhe hinweist, wenn die Frau ihren Beckenboden gefühlt „zwischen den Knien hängen hat“. Jemanden, der erinnert, dass auch ein Kaiserschnitt eine große Bauch-OP ist, nach der sich eine Mutter besonders gut ausruhen und nicht zu früh belasten sollte. Jemanden, der Eltern noch mal sagt, dass die meisten Babys mit zwei, drei Wochen etwas unruhiger werden und sie nichts falsch machen, auch wenn das Baby gerade vermehrt weint.
All das kann ich nicht in einer einzelnen oder auch nicht in zwei Stillberatungsterminen leisten, sondern nur dann, wenn ich eine Familie anfangs sogar täglich, aber auch im späten Wochenbett kontinuierlich begleite. Aber die Realität sieht anders aus und ist anders geplant von den Gesundheitsbehörden. Stattdessen sollen Mütter jetzt mit der Brust zur Stillberaterin, mit der schmerzenden Dammnaht zum Gynäkologen und mit dem unruhigen Baby zum Kinderarzt rennen. Und zum Verarbeiten der Geburt wäre dann noch die Psychologin aufzusuchen?
Ja, wir haben in Deutschland viele Angebote, die irgendwie zerstückelt alles mögliche anbieten. Aber das ist keine Option für die sensible Zeit des Wochenbettes. Und in den Anfragen, die ich bekomme, höre und lese ich die Verzweiflung der Mütter und auch der mit der Situation oft überforderten Väter heraus. Die erste Wochenbettzeit fühlt sich wackelig und verunsichernd an. Wenn man Eltern aber über diese Wochen begleitet, merkt man, wie sie wachsen und sich alles stabilisiert. Das passiert aber vor allem dann, wenn sie gerade bei Schwierigkeiten gut unterstützt werden. Natürlich geht es auch irgendwie ohne Hebamme – das sehen wir ja gerade auch in den Kreißsäalen, wo eine Hebamme sich zwischen drei und mehr Geburten gleichzeitig aufreibt. Aber geht es GUT? Nein.
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