Dieser Text ist ein Gastbeitrag einer uns bekannten Hebamme, die anonym bleiben möchte. Er beschreibt ihre persönliche Situation, aktuell noch ungewollt kinderlos zu sein.
Was für die meisten der Paare, die ich täglich betreue, normal ist, grenzt für mich inzwischen an eine Art Weltwunder. Gemeint ist der Umstand, nach einer gewissen Zeit von ungeschütztem Geschlechtsverkehr erst die leise Ahnung (gute Hoffnung) und dann die Gewissheit zu haben, ein Baby vom (bestenfalls) geliebten Partner zu erwarten. Ich bin Hebamme, seit über 15 Jahren. Ich wollte schon mein ganzes Leben Mutter sein, und das am besten früh, so mit Mitte 20, am liebsten vierfach. Und ich bin eine von sieben. Ich bin ungewollt kinderlos.
Momentan füge ich ein gedankliches, großes NOCH hinzu. Denn die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben. Allerdings ist das natürliche Alter langsam aber sicher erreicht, indem klar ist, dass keine zehn Jahre mehr Zeit bleiben, um es ganz in Ruhe vor sich hin zu versuchen.
Nachdem klar war, dass mein Mann und ich auf natürlichem Wege keine gemeinsamen Kinder würden bekommen können, was sich nach einigen Jahren verhütungsfreier Zeit leider nicht negieren ließ, musste ich mich selbst mit den Wegen der künstlichen Befruchtung befassen. Ich wälzte vor allem Foren und schaute auf Social Media. Hier findet sich eine ziemlich große und überaus aktive Community, viele spannende Frauen (fast gar keine Männer). Und eine Vielzahl an Informationen ballert auf einen ein.
Eine Art wandelndes Kinderwunsch-Lexikon
Inzwischen bin ich quasi so eine Art wandelndes Kinderwunsch-Lexikon. Ich werfe problemlos mit Begriffen wie AMH, Dreischichtigkeit, Blastozyste, IUI, PKD und vielem mehr um mich, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Ich weiß ganz genau, was mit „Pimp my eggs“ gemeint ist (eine Sammlung verschiedener Nahrungsergänzungsmittel, die die Eizellqualität – noch so ein Wort – verbessern sollen).
Wie eine Insemination (IUI) abläuft, das weiß ich auch. Ich habe sogar eine zu Hause mit einer Kollegin gemacht, und das Sperma vorher zwischen meinen Brüsten erwärmt. Danach noch weitere bei einer Ärztin. Ich weiß, wie es sich anfühlt, ständige Ultraschall- und Blutkontrollen durchführen zu lassen. Wie es sich anfühlt, auf den nächsten Anruf zu warten. Und wieder auf den nächsten und den nächsten.
Follikelgröße? Schleimhautdicke? Dreischichtigkeit? Punktionsdatum? Wann setze ich die Auslösespritze? Wie viele Eizellen waren es? Wie viele waren reif? Und wie viele befruchtet? Die Menge der heute noch lebenden Eizellen? Und wie schaffen wir es zu einer „langen Kultur“? Die Qualität meiner Embryonen? Wann ist der Transfer? Und dann, der größte Alptraum: WIE verdammt nochmal überlebt man die Zeit nach dem Transfer bis zum Bluttest?
Hysterisch wie alle anderen KiWu-Mädels
Der berühmte Warteschleifenkoller überrennt auch mich als Fachperson. Auch ich tatsche sinnlos an meinen Brüsten herum, ob sie mehr spannen als sonst. Ich achte auf die Farbe meines Klopapieres beim Abtupfen (Profi-Tip: NUR weißes kaufen!). Auch ich horche in mich hinein: Ist da nicht eine kleine Übelkeit? Eine starke Müdigkeit?
Wenn es richtig schlimm ist, suche ich die Gauß’sche Wackelportio – denn hey, wofür ist man Hebamme? Man kennt sich ja aus. Pustekuchen! Man ist genau so hysterisch wie alle anderen KiWu-Mädels auch. Ja, hysterisch! Kommt launigerweise sogar vom gleichen Wort, wie Gebärmutter auf Schlau, Hystereia.
Ich weiß, wie es ist, mit einer Kühlbox im Gepäck zu einer Fortbildung zu fahren, die man lange gebucht hatte, und die nun genau in den Zeitraum der Stimulation fällt. Und natürlich ist auf JEDER dieser Fortbildungen mindestens eine Kollegin mit Baby. Meist eher mehr als drei Babies. Nicht Mal beim Lernen habe ich Ruhe vor den wandelnden Fruchtbarkeitsbeweisen anderer Leute. Das ist ehrlich gesagt, zusätzlich dazu, dass es einfach sachlich stört, sehr frustrierend.
Körperlich relativ gut ertragen
Ich kann launige Anekdoten davon erzählen, wie es ist, sich auf dem Klo während eines Konzertes, an einer Raststätte im Auto oder zu Besuch bei Freunden seine Spritze zu setzen. Hey, witzig, die Autobatterie war leider nach dem Spritzen leer und ich hing noch zwei Stunden auf den ADAC wartend im Dunkeln an der Raststätte rum. Tolle Performance!
Es ist doof, von Freunden aufbrechen zu müssen, obwohl man gerne bleiben würde – es aber sonst nicht im Zeitfenster nach Hause schafft, wo die Spritze wartet. Mehr als eine halbe Stunde nach hinten soll man doch bitte nicht abweichen. Die ganzen Prozeduren habe ich erlebt. Mehrere Male. Bisher ohne Erfolg.
Körperlich konnte ich es relativ gut ertragen. Ich habe das Glück, dass mir die Sondierung meiner Gebärmutter, die Punktionen nicht so stark schmerzen. Das ist nicht selbstverständlich, da habe ich Glück. Da mir medizinische Situationen, auch OP-Säale, berufsbedingt nicht fremd sind, fühle ich mich in diesen zudem nicht besonders unwohl. Auch dies: ein Pluspunkt, für den ich dankbar bin.
Meine ungeborenen Babies – sie fehlen mir so sehr
Ich bin freiberufliche Hebamme und ich muss leider immer wieder die betreuten Familien mit einer Notlüge anschummeln, wenn kurzfristig ein Eingriff oder eine Untersuchung ansteht. Ich kann mir nicht einfach „Urlaub nehmen“. Jeder nicht gearbeitete Hausbesuch ist nicht verdientes Geld, das fehlt. Wir müssen unsere Behandlungen selbst bezahlen. Wenn ich an die Summe denke, wird mir schlecht. Unsere Hoffnung kostete uns bisher etwa 35.000 Euro.
Meine behandelnde Klinik ist zwei Stunden Fahrt entfernt. Das hat besondere Gründe. Es heißt, mir geht immer mindestens ein halber Tag flöten und nach vier Stunden Autofahrt bin ich in der Regel auch nicht mehr so aufnahmefähig, um noch sechs Hausbesuche machen zu können. Daher bin ich dann meistens „krank“ oder besuche nur die allernötigsten, ganz frischen Neugeborenen und ihre Eltern.
Was aber am schlimmsten ist, sind die Fragen. Unbedacht, Smalltalk, gerne während eines der ersten Gespräche. Die Schwangere, die mich fragt: „Hast Du eigentlich Kinder?“ Und ich? Ich muss verneinen. Das Messer in meiner Brust dreht sich ein weiteres Mal. Meine ungeborenen Babies – sie fehlen mir so sehr, dass es schon im normalen Alltag schmerzt. Jedes Mal, wenn diese Frage kommt, schmerzt es tausendfach mehr.
Ich bin eine von sieben
Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch sensibilisiert wäre zu wissen, dass diese Frage einer der Intimsten ist, die man einer Frau zwischen 18 und 55 stellen kann. Es ist nicht leicht, professionell zu bleiben, wenn die 38-jährige Erstgebärende mit dickem Bauch vor einem sitzt und darüber jammert, wie „grauenhaft“ ihre eine (EINE!) Insemination gewesen sei. Und dass sie sich „so etwas niemals wieder antun würde“. Alles in mir möchte sie anbrüllen, wie glücklich sie sein soll! EINE!
Ich habe zehn Inseminationen hinter mir. Ich hätte auch noch 50 gemacht, wenn ich eine reelle Chance auf ein Kind gehabt hätte. Ich muss aber professionell und zugewandt bei ihr bleiben. Also heuchele ich kurz Verständnis und wechsele das Thema.
Noch schwerer zu ertragen ist es, wenn Frauen über das „falsche“ Geschlecht ihres Kindes traurig sind, über einen „zu kurzen Geschwisterabstand“ oder gar ein Kind unerwünscht ist. Oder die Schwangerschaft nicht ausgetragen wird, weil ein Kind nicht ganz „der Norm“ entspricht. Diese Momente kosten mich Kraft.
Ich bin Hebamme. Vermutlich keine Schlechte. Ich bin eine von sieben. Ich bin ungewollt kinderlos. #1von7
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