Wie Bindung entsteht

Über die Bedeutung der Bindung fürs Baby haben Eltern oft bereits in der Schwangerschaft gehört. Damit verbunden haben sie aber vielleicht auch Erwartungen oder Sorgen. Nicht selten stehen Eltern sogar unter „Bindungsdruck“. Und sind geplagt von Fragen. Wie sehr muss ich mein Baby im Bauch schon lieben? Was macht es mit der Bindung, wenn ich nicht stillen kann oder will? Welche Auswirkungen könnte der Geburtsmodus haben? Und wie entsteht Bindung überhaupt?

All diese Fragen lassen außen vor, dass der Bindungsaufbau kein einmaliges Geschehen ist. Es gibt sicherlich begünstigende und belastende Faktoren für den Bindungsaufbau. Aber es gibt keine Bindungs-Checkliste, die Punkt für Punkt abgearbeitet werden muss, um dem Kind eine sichere Bindung zu ermöglichen. Es ist hilfreich zu wissen, wie Bindung überhaupt entsteht. So können sich Eltern die Zeit und den Raum geben, den es für den Bindungsaufbau braucht.

Raum für alle Gefühle

Die Bindung zwischen Kind und einer Bezugsperson können wir uns vorstellen wie ein unsichtbares Band, das einmal vom Kind zu seiner Bezugsperson und einmal von der Bezugsperson zum Kind verläuft. Diese Bänder sind anfangs oft noch recht dünn, können sich aber im Laufe der Zeit verändern. Wie viel Zeit die Veränderung in Anspruch nimmt, ist individuell: Schon in der Schwangerschaft kann das Gefühl und der Bezug zum Baby ganz unterschiedlich sein. Eine an schwerer Hyperemesis leidende Schwangere hat ganz andere Ausgangsbedingungen dafür, als eine Frau, die sich rundum wohl in der Schwangerschaft fühlt.

Es sind natürlich nicht nur die körperlichen Bedingungen, die hier einen Einfluss haben. In der Hebammenarbeit ist es wichtig, allen Gefühlen zum Kind und zur neuen Lebenssituation Raum zu geben. Denn gerade die belastenden oder negativen Gefühle in Bezug auf eine Schwangerschaft sind oft mit Selbstvorwürfen oder Scham verbunden.

Auch nach der Geburt ist es nicht immer die medial gerne dargestellte „Liebe auf den ersten Blick“. Ein beeinflussender Faktor kann hier das Erleben der Geburt sein. Aber selbst nach vermeintlichen „Traumgeburten“ braucht es manchmal Zeit, bis sich ein Elternteil an die neue Situation gewöhnt hat und die Beziehung zum Kind intensivieren kann. Manchmal muss das Kind auch direkt nach der Geburt zunächst anderweitig versorgt werden. Dann kann es von sich aus erst später eine intensive Beziehung mit einem oder mehreren Elternteilen eingehen. 

Bindung ist ein Schutzsystem

Wichtig zu wissen ist, dass Bindung für das Baby zunächst ein Schutzsystem ist. Auch wenn Babys zwar von Geburt an mit vielen Kompetenzen ausgestattet sind, sind sie in Bezug auf die Erfüllung ihrer Bedürfnisse auf Bezugspersonen angewiesen. Diese müssen ein Baby umsorgen und ihm Nahrung, Pflege und Nähe zukommen lassen. Werden seine Bedürfnisse wahrgenommen und angemessen beantwortet, bildet sich ein Vertrauen im Baby aus: Es weiß, dass es sicher umsorgt wird.

Im Laufe der Baby- und Kleinkindzeit entsteht auf Basis der Bedürfnisbefriedigung von Nähe und Zuwendung, aber auch Freiheit und Selbstwirksamkeit, dann nach und nach ein Bindungsmuster. Das wiederum wird durch das Verhalten der Bezugsperson geprägt. Wenn sicher auf Bedürfnisse eingegangen wird, entsteht ein sicheres Bindungsmuster. Wenn Bedürfnisse eher unsicher oder schwankend erfüllt werden, entsteht ein unsicheres. Ein solches Muster oder Faden (wenn wir bei unserem anfänglichen Bild des Fadens bleiben) unterschiedlicher Stärke bildet das Kind zu jeder Bezugsperson aus, die an der Bedürfniserfüllung beteiligt ist. Es kann also verschiedene Bindungsbeziehungen zu mehreren Menschen eingehen – und dies auch schon in der Babyzeit.

Das ist besonders wichtig zu wissen, wenn es darum geht, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Nicht selten geraten Mütter in Übermüdungs- und Überforderungssituationen. Sie gehen einfach davon aus, dass das Baby nur zu ihnen die entsprechende Bindung hat und dementsprechend auch nur von ihnen versorgt werden kann. Evolutionär ist das Bindungssystem aber nicht auf unser heutiges Kleinfamilienkonstrukt ausgelegt. Es fußt darauf, dass sich die Fürsorgearbeit für Kinder auf mehrere Schultern verteilen darf.

Bindung und Beziehung

Während sich die Bindung vom Baby zur Bezugsperson entwickelt, entwickelt sich auch eine Bindungsbeziehung von der Bezugsperson zum Baby. Hierfür sind die gemeinsame Zeit und Interaktion wichtig, denn der Aufbau der Bindungsbeziehung wird besonders hormonell beeinflusst. Körperkontakt hilft dabei, dass die entsprechenden Hormone ausgeschüttet werden. Wenn unmittelbar nach der Geburt kein entspannter und ausgiebiger Hautkontakt möglich war, kann hier immer auch nachgeholt werden. Was den Bindungsaufbau im Wochenbett unterstützt und was ein Bondingbad ist, wird in diesem Artikel erklärt

Die Bedeutung des Hautkontaktes spielt auch in der Versorgung von zu früh oder krank geborenen Kindern eine große Rolle. Deshalb sollte dieser immer ermöglicht werden, sobald es der gesundheitliche Zustand des Babys zulässt. Neben der emotionalen Bedeutung stabilisieren sich im Hautkontakt auch die Atmung und die Temperaturregulation beim Baby. Auch auf den Stillbeginn und die Milchbildung hat das Kuscheln Haut auf Haut erwiesen positive Auswirkungen.

Bindung ist geschlechtsunabhängig

Die Ausschüttung der Hormone ist übrigens nicht geschlechtsabhängig: Mütter wie Väter haben entsprechende Hormonausschüttungen und können gleichzeitig mit dem Bindungsaufbau beginnen. Wird ein Baby gestillt, ergeben sich daraus automatisch mehrere Stunden Hautkontakt am Tag. Aber auch das andere Elternteil kann mit dem Kind im direkten Hautkontakt kuscheln. Nicht gestillte Kinder erfahren beim bedürfnisorientierten Füttern liebevolle Zuwendung.

Auch durch achtsame und angenehme Berührungen bei der Babypflege intensiviert sich die Bindung. Blickkontakt, Ansprache und vor allem das feinfühlige Reagieren auf die Babybedürfnisse lassen das Bindungsband fester werden. Mehrere Bindungspersonen bedeuten nicht nur für das Baby eine Sicherheit, sondern auch für jenes Elternteil, das sich primär kümmert. Das Kümmern um einen so kleinen Menschen ist eine herausfordernde Aufgabe – 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche. Zu wissen, dass das Baby bei einer weiteren Bindungsperson gut aufgehoben ist, stellt eine wichtige Voraussetzung dar, um wirklich kleine oder große Pausen im Babyalltag machen zu können. 

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