Fragen an die Hebamme: Was ist ein Wehencocktail?

Normalerweise leitet das Baby seine Geburt selbst ein, wenn der passende Zeitpunkt gekommen ist. Der errechnete Termin (ET) ist nur eine Orientierung, um den Geburtszeitraum einzugrenzen. Am ET selbst machen sich nur rund vier Prozent der Kinder auf den Weg. Alle anderen kommen davor oder danach, wobei ein Zeitraum von vor drei Wochen bis zu zwei Wochen nach der Geburt als physiologisch gilt.

Ein Baby, das vor der 37+0 Schwangerschaftswoche geboren, gilt als Frühgeburt. Ab der 42+0 Schwangerschaftswoche wird von einer Übertragung gesprochen. Doch auch diese Angaben sind mit Vorsicht zu genießen. Denn so manches mal lässt sich der tatsächliche ET nicht genau bestimmen. Die Berechnung nutzt den Mentruationszyklus, wobei es hier große Abweichungen gibt und der Eisprung eben nicht immer exakt an Tag 14 in einem 28-Tage-Zyklus geschieht.

Überlegener in der Bestimmung des Geburtstermins ist der Einsatz des Ultraschalls. Das gilt allerdings nur, wenn das Kind (und dessen Scheitel-Steißlänge) im ersten Schwangerschaftsdrittel vermessen wird. Danach weicht das Wachstum zu stark ab und bereits im zweiten Trimester liegt die Genauigkeit nur noch bei plusminus sieben Tagen.

Das Baby nicht drängeln

Ist die 40+0 Schwangerschaftswoche erreicht, sprechen Hebamme und Frauenärztin von einer Terminüberschreitung. Diese stellt erst einmal keinen Handlungsbedarf dar, lediglich die Vorsorge durch beide intensiviert sich etwas. Wenn alles unauffällig ist, heißt es einfach abwarten, bis das Baby selbst das Signal für den Geburtsbeginn gibt. Diese letzten Tage des Wartens können körperlich aber auch emotional eine große Herausforderung für die Schwangere darstellen. Dennoch sollte das Baby nicht unnötig „gedrängelt“ werden.

Wann und ob eine Einleitung der Geburt empfohlen wird, hängt von vielen Parametern ab. In der aktuellen für die DACH-Länder geltenden AWMF-Leitlinie zur Geburtseinleitung wird empfohlen, aber der 41+0 SSW eine Einleitung anzubieten, ab 41+3 zu empfehlen und ab 42+0 dringend zu empfehlen. Dafür ist es natürlich wichtig, den Errechneten Geburtstermin zu wissen und andere mögliche Risikofaktoren mit einzubeziehen. So  beschreibt die Leitlinie einen wissenschaftlich begründeten Handlungsrahmen, in dem die Geburtshelfer den Eltern ein Vorgehen empfehlen. So können diese zu einer informierten Entscheidung kommen. Diese Entscheidung kann und wird individuell unterschiedlich aussehen.

Welche Variante der Einleitung sinnvoll ist, wird individuell in Absprache zwischen der Schwangeren und den Geburtshelfern entschieden. In der Klinik wird meist eine medikamentöse Einleitung empfohlen. Entweder durch die orale bzw. vaginale Gabe eines Prostaglandin-haltigen Präparates. Oder, abhängig vom Muttermundsbefund, mit einem Wehentropf, der den Wirkstoff Oxytozin enthält.

Der richtige Zeitpunkt

Darüber hinaus gibt es noch andere einleitende Maßnahmen wie die Eipollösung, Akupunktur, Stimulation der Mamillen oder die Verabreichung von mit Nelkenöl getränkten Tampons. Wie effektiv diese wirken, ist immer auch stark abhängig von der tatsächlichen Geburtsreife. Wenn alles einfach „noch nicht so weit“ ist, werden alternative und medikamentöse Maßnahmen kaum oder gar nicht anschlagen.

Dies gilt auch für alle anderen guten Tipps wie Treppensteigen, Sex, das Trinken bestimmter Tees oder warme Bäder. Wenn diese Empfehlungen anschlagen, liegt es meist vor allem daran, dass Mutter und Kind ohnehin wirklich geburtsbereit waren. Es ist ja auch sehr sinnvoll, dass der Körper sich nicht so leicht zum Gebären überreden lässt, wenn der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen ist. Denn es wäre in früheren Wochen fatal, wenn Treppensteigen oder die Tasse Ingwertee gleich Wehen auslösen würden.

Zu den nicht zu unterschätzenden „Hausmitteln“ zur Einleitung der Geburt gehört auch der so genannte Wehencocktail. Das hört sich irgendwie nett und nach Wellness an. Im Internet kursieren zahlreiche Rezepte und Erfahrungsberichte dazu. Dennoch ist dies keine Einleitungsmaßnahme, die ohne fachliche medizinische Absprache und Begleitung zum Einsatz kommen sollte. Die Wirkung und auch das Komplikationspotenzial werden hier oft unterschätzt.

Wehencocktail ist keine Wellness

Der Wehencoktail ist in der Regel eine Mischung aus Rizinusöl, Aprikosensaft sowie Alkohol (z.B. Sekt oder klarer Schnaps). Der Alkohol (meist ein Teelöffel ) hat hier die Funktion eines Emulgators, damit sich das Rizinusöl besser im Saft lösen und aufgenommen werden soll. Generell ist der Verzicht auf Alkohol in der gesamten Schwangerschaft empfohlen. Eine für das Baby unbedenkliche oder risikolose Alkoholmenge oder ein Zeitfenster in der Schwangerschaft, in dem Alkoholkonsum keine Risiken birgt, kann aufgrund der verfügbaren Evidenz nicht definiert werden.

Aprikosensaft ist kaliumreich und soll einen Kaliumverlust ausgleichen, der durch die abführende Wirkung des Rizinusöls möglich ist. Es gibt auch Rezepte mit Mandelmus oder Sahne. Manchen ist auch Eisenkraut zugefügt. Die uneinheitlichen Rezepte, Dosierungen und Anwendungsschemata machen deutlich, dass es hier keine „Empfehlung für den Hausgebrauch“ gibt.

Der im Wehencocktail primär wirksame Bestandteil ist das Rizinuöl (Castor Oil). Die darin enthaltene Rizinolsäure wirkt auf die glatte Muskulatur im Körper und damit auch im Magendarm-Trakt und in der Gebärmutter. Die Darmperistaltik wird verstärkt, was auch die Wehentätigkeit anregt. Die Rizinolsäure stimuliert zudem die Prostaglandinrezeptoren und fördert die Prostaglandinbildung. Diese Faktoren fördern die Wehentätigkeit. Die Wirkung auf die Darmmuskulkatur führt bei den meisten Frauen zu weicherem Stuhl oder leichtem Durchfall. Ein dabei entstehender Kaliumverlust soll durch den Aprikosensaft ausgeglichen werden.

Wirkung und Nebenwirkungen

Der Wehencocktail kann bei entsprechender Indikation eingesetzt eine gute Alternative zur medikamentösen Einleitung darstellen. Eine kleine Studie mit 103 Schwangeren (Einlingsschwangerschaften) mit intakter Fruchtblase in der 40. bis 42. Schwangerschaftswoche bestätigte die Wirkung. Als Erkenntnis kam heraus, dass Frauen, die Rizinusöl erhalten, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, innerhalb von 24 Stunden unter der Geburt zu sein im Vergleich zu Frauen, die keine Behandlung erhalten.

Bei rund 58 Prozent der mit Rizinus behandelten Frauen begann anschließend die Geburt, verglichen mit vier Prozent in der abwartenden Kontrollgruppe. Von den Frauen, deren Geburtseinleitung mit Rizinus gelang, haben 83 Prozent vaginal geboren.

Das Befinden der Schwangeren und des Babys angemessen zu überwachen gilt auch bei einer Einleitung mit Rizinussöl. Kontraindiziert ist der Wehencocktail natürlich bei Allergien gegen den Wirkstoff. Auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Gallenwegserkrankungen darf keine Anwendung erfolgen.

Kein Rezept für einen Wehencocktail

Als Nebenwirkungen sind am häufigsten gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und zum Teil schwere Durchfälle zu beobachten. Es besteht die Gefahr von Elektrolytverlusten (v.a. Kalium) und daraus resultierenden Störungen der Herzfunktion. Auch Hautausschläge wurden nach der Einnahme von Rizinusöl beobachtet. Zudem kann es – bei Überdosierung aber auch bei regulärer Einnahme – zu einem „Wehensturm“ (uterine Polysystolie) kommen, wenn die Gebärmutter überstimuliert wird. Diese Situation führt nicht nur zu einer Überforderung der Gebärenden im Umgang mit der Wehentätigkeit, sondern kann auch Stress beim Baby verursachen.

Die Studienlage zum Wehencocktail ist insgesamt eher dünn. So ist in der aktuellen AWMF-Leitline (Stand März 2021) zur Geburtseinleitung empfohlen, Rizinusöl nur im Rahmen von klinischen Studien zur Einleitung zu verwenden. Von der Geburtseinleitung mit Rhizinusöl im ambulanten Bereich wird abgeraten. Der Hauptgrund ist die beschriebene mögliche Überstimulation der Gebärmutter.

All diese Punkte machen es unerlässlich, dass die Anwendung bei entsprechender Indikation immer geburtshilfliches Personal begleitet. Deshalb gibt es an dieser Stelle auch kein Rezept für einen Wehencocktail. Sondern die deutliche Empfehlung, diese durchaus sinnvolle Option im Einzelfall immer persönlich abzuklären.

Aktualisiert im April 2021.

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Kommentare

4 Antworten zu „Fragen an die Hebamme: Was ist ein Wehencocktail?“

  1. I
    Isi

    Mein drittes Kind wurde an ET +13 um 16:40 geboren. Morgens war ich noch bei meiner Hebamme zum CTG. Sie gab mir das Rhizinus Öl mit und empfahl mir, den Cocktail zwischen 16:00 und 17:00 zu trinken, sie käme dann vorbei. Dazu ist es zum Glück nicht mehr gekommen.. Schließlich war mein Kindlein um die Zeit gerade geboren. Ich war heilfroh, hatte ich doch etwas Respekt vor solchen Mitteln.

  2. A
    Antje

    In den Genuss eines Wehencocktails bin ich bei der Geburt meines zweiten Kindes auch schon gekommen und er hatte auch durchschlagende Wirkung – sozusagen. Bei 39+1 hatte ich einen vorzeitigen hohen Blasensprung. Nachdem sich durch die Gabe von Globuli nichts tat, habe ich am nächsten Tag gegen 11:00 einen Wehencocktail bekommen. Anderthalb Stunden später begannen schon die Wehen (nach einmal ordentlich Durchfall) und nochmal 4 1/2 Stunden später war meine Tochter geboren. Für uns hat das also super funktioniert. Ich denke aber auch, dass es nur noch einen kleinen Stupser gebraucht hat und der richtige Zeitpunkt einfach nah war.
    Lieben Dank nochmal für den informativen Text! 🙂

  3. N
    Nadine B.

    Hier wurden zwei von drei Kinder noch vor der drohenden klinischen Einleitung wg. Terminüberschreitung mit Wehencoktail gelockt…und jeweils ca. 5-6 Stunden später gings los mit der Geburt…und beide wurden nicht grad‘ schnell, aber letztendlich gut einmal zu Hause und einmal noch Klinik (grünes Fruchtwasser) vaginal geboren. Alles Hebammenbegleitet mit vorher noch CTG und genauer Absprache. Führt Rizinus auch gerne zu grünem Fruchtwasser (und nicht nur Stress des Kindes)? Für uns wars eine wunderbare Hilfsmöglichkeit…weil es auch einfach Zeit war für die Kinder…

  4. N
    Nina Friedl

    Aus meiner geplanten Geburt im Geburtshaus wurde leider nichts, weil sich unsere Babymaus bis 42+0 nicht auf den Weg machte. Wir probierten alle o.g. Mittelchen und Aktivitäten aus, nur den Wehencocktail (leider) nicht, weil es direkt vorher ein auffälliges CTG gab.
    Nach einer medikamentösen Einleitung an 42+1 kam die Maus dann recht flott zur Welt. Nur eben leider in der Klinik. Damit (und mit den Folgen: Ausschabung, leichtes Fieber beim Baby, 1 Woche Kinderklinik inkl. „Photobett“ usw.) hadere ich noch heute manchmal, bzw. wünsche mir einfach so sehr, dass wir bei Nr. 2 eine außerklinische Geburt schaffen…
    Danke dir für deine tollen Texte!

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