Vom Schlafen und Durchschlafen 

Schlaf ist besonders am Anfang des Elternseins ein riesiges Thema. Kein Wunder, denn während das Neugeborene zunächst einfach weiter seinen Schlafgewohnheiten aus Bauchzeiten nachgeht, verändert sich für die Eltern vieles in Sachen Schlaf doch erheblich. Es gibt große Unterschiede im Schlafverhalten von Erwachsenen und Kindern. Aber wie ist das nun mit dem Schlafen und Durchschlafen von Babys und Kleinkindern?

Trotz aller damit verbundenen Anstrengungen ist es wichtig, den Blick immer wieder darauf zu lenken, dass Babys und Kleinkinder aus guten Gründen anders schlafen als wir Erwachsene. Und dass sie ganz sicher nicht erst „schlafen lernen müssen”. Babys schlafen von Anfang an altersgerecht, sicher und bedürfnisorientiert – nur eben leider ganz anders als Erwachsene.

Schlafphasen unterteilen sich grob in Tiefschlafphasen und in den REM-Schlaf (REM = Rapid Eye Movement, da sich in dieser leichten Schlafphase die Augen schnell unter den geschlossenen Lidern bewegen). Bei Erwachsenen findet der REM-Schlaf eher am Ende eines durchschnittlich 90 Minuten langen Schlafzyklus statt. Bei Säuglingen ist der REM-Schlaf anders verteilt: Vom Wachzustand geht das Baby erst in den REM-Schlaf über und dann in den Tiefschlaf. Das ist ein sehr sinnvolles Vorgehen, denn in der REM-Phase wird noch überprüft, ob die Rahmenbedingungen wirklich gut sind, um jetzt zu schlafen: satt genug, sicher genug, warm genug. So kommt es auch, dass Babys, wenn wir sie unmittelbar nach dem Einschlafen ablegen wollen, gleich wieder aufwachen. Sie spüren, dass sie nicht mehr in der schützenden Nähe einer Bezugsperson sind.

Satt und sicher schlafen

Nach etwa 20 Minuten REM-Schlaf geht das Baby dann in den Tiefschlaf über. Jetzt lässt es sich meistens leichter ablegen. Nach etwa 50 Minuten wacht es dann wieder mehr oder weniger kurz auf, oft aus Hunger, und überprüft erneut, ob es sicher weiterschlafen kann. Dabei ist es ganz normal, dass Babys und selbst Kleinkinder nachts Hunger haben. Das Gehirn verbraucht durch die Verarbeitung und Vertiefung der Eindrücke des Tages viel Energie während des Schlafens. Und auch der kleine Magen ist am Anfang nur auf die Aufnahme von vielen kleinen Mahlzeiten, verteilt über Tag und Nacht, ausgelegt. Das nächtliche Aufwachen von Babys, aufgrund von Nahrungaufnahme und Rückversicherung, sorgt also aus Babysicht für sichere Schlafbedingungen, wenn Eltern entsprechend diese elementaren Bedürfnisse stillen.

Auch ältere Kinder und selbst wir Erwachsene schlafen nicht ununterbrochen durch, sondern wachen häufiger kurz auf. Allerdings können wir uns selbst beruhigen, fühlen uns sicher in der Schlafumgebung und tauchen so wieder in den Schlaf ein. Und wir können tagsüber die Menge an Nahrung aufnehmen, die wir brauchen. Was aber nicht bedeutet, dass wir nicht auch als Erwachsene nachts manchmal unserem Durst oder auch Hunger nachgehen.

Im Laufe der Kindheit verändert sich der Schlafzyklus und passt sich immer mehr dem Schlaf von Erwachsenen an, die durchschnittliche Schlafzyklen von 90 bis 120 Minuten haben.

Durchschlafen falsch definiert

Während in den ersten Wochen oder Monaten noch recht gut akzeptiert wird, dass Babys nun mal so schlafen, steigt die Erwartungshaltung mit zunehmendem Alter. Ein Klassiker der Fragen an junge Eltern ist: „Schläft es denn schon durch?“. Können Eltern hier bejahend antworten, bekommen sie dafür nicht selten Anerkennung. Dabei ist ein bestimmtes Schlafverhalten kein elterlicher Verdienst, sondern entspricht viel mehr dem sehr individuellen Schlaftemperament des Babys. Auch ist oftmals unklar, wie Durchschlafen überhaupt definiert ist. Erwachsene meinen damit meist eine ununterbrochene Schlafphase vom abendlichen Ins-Bett-Gehen bis zum morgendlichen Aufwachen. Würde man sich hier das Schlafverhalten von 100 Erwachsenen anschauen, hätte man jeweils ganz unterschiedliche Schlafenszeiten. Das mit den Eulen und den Lerchen gibt es auch bei uns Menschen.

Der Begriff des „Durchschlafens” wird in Bezug auf Babys und Kleinkinder oft falsch benutzt, weil er sich am Schlafverhalten von Erwachsenen orientiert. Der Baby- und Kleinkindschlaf ist aber aus guten Gründen anders als der Schlaf von Erwachsenen. Er ist genau an die kindliche Entwicklung angepasst: Das häufige Aufwachen ist ein Schutzmechanismus des Babys, um die Versorgung sicherzustellen. 

„Durchschlafen” meint aber auch allgemein nicht, dass Babys abends die Augen schließen und erst am Morgen ohne nächtliches Aufwachen erwachen. Der US-Kinderarzt Dr. William Sears hat als Durchschlafen von Babys eine Schlafphase von Mitternacht bis fünf Uhr morgens definiert. Seiner Studie nach haben dies 70 Prozent der Babys im Alter von drei Monaten gezeigt, während zehn Prozent der Kinder in dieser Studie das gesamte erste Jahr nicht fünf Stunden am Stück schliefen. Es ist also höchst unterschiedlich, wie sich Babys und Kinder entwickeln. Wichtig ist, die individuellen Schlafgewohnheiten des Babys nach Möglichkeit anzunehmen. Und den eigenen Schlafbedarf daran angepasst zu decken – durch Mittagsschlaf und gute Aufteilung der nächtlichen Fürsorge zwischen den Elternteilen, sofern beide anwesend sind. Auch morgendliche Schlafzeiten, in denen sich das andere Elternteil um das Baby kümmert, helfen oft. 

Elterliche Erwartungen an Babyschlaf

Die Erwartung daran, dass kleine Kinder und Babys wie Erwachsene schlafen könnten und sollten, ist stark durch kulturelle Einflüsse geprägt. Werden Eltern gefragt, wann sie erwarten, dass Kinder alleine ein- und durchschlafen, geben sie sehr unterschiedliche Antworten. Dies unterscheidet sich besonders im kulturellen Vergleich. Während Eltern aus westlichen Ländern erwarten, dass ein Baby dies schon mit vier bis sechs Monaten kann, erwarten Eltern aus Ländern wie Costa Rica, Kamerun oder Indien das Durchschlafen nicht vor einem Alter von dreieinhalb Jahren. Das Alleineinschlafen erwarten sie erst im Alter von fünf bis sechs Jahren.

Es ist also durchaus hilfreich, nicht mit unrealistischen Erwartungen an die kindliche Entwicklung heranzugehen. Dies führt zu unnötigem Druck und Stress. Schlafmangel ist eine hohe Belastung für Eltern. Darum ist es auch wichtig, den Alltag daran anzupassen. Gerade in Zeiten von unruhigen Nächten ist es unerlässlich tagsüber Schlafmöglichkeiten in den Alltag einzubauen. Bei zwei Elternteilen sind hier gute Absprachen wichtig, denn geteilter Schlafmangel ist halber Schlafmangel.

Bei alleinerziehenden Eltern ist ein Notfallnetzwerk für schlafarme Zeiten wichtig. Am Tag „Schlaf nachzuholen“ bedeutet nämlich immer, dass Dinge liegen bleiben oder Termine verschoben werden müssen. Aber genug Elternschlaf ist essenziell, um weiterhin feinfühlig auf die Bedürfnisse eines Babys eingehen zu können. Zwischen ein bisschen Müde und völlig erschöpft ist es oft nur ein schmaler Grat. Je besser Eltern, aber auch die Menschen drum herum, über die Besonderheiten des Babyschlafes Bescheid wissen, desto eher sind Verständnis und Unterstützung dauerhafte Begleiter im herausfordernden Babyalltag.

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