Muss ich mein Baby oder Kleinkind erziehen?

„Pass auf, sonst tanzt es dir eines Tages auf der Nase herum!”

„Du kannst das Baby doch nicht bei jedem Piep hochnehmen!”

„Die Kleinen gewöhnen sich da ganz schnell dran, dass immer jemand angerannt kommt und dann kommst du aus dem Rennen gar nicht mehr raus!”

Diese und ähnliche Sätze hören Eltern von Babys leider noch immer recht häufig von Verwandtschaft und Bekanntschaft – und manchmal sogar von fremden Menschen im Supermarkt oder im Park.

Und natürlich trifft die Vorstellung, ob es immer so anstrengend bleibt wie es manchmal am Anfang ist, einen Nerv bei müden und erschöpften Eltern. Was, wenn das jetzt wirklich immer so bleibt und ich für immer springen muss? Ab wann muss ich mein Baby oder Kleinkind erziehen?

Babys kommen schon mit vielen Kompetenzen auf die Welt. Sie können sich bereits mit einigen nicht-sprachlichen Signalen mitteilen. Aber sie sind dennoch in den wesentlichen Punkten ihres Überlebens darauf angewiesen, dass sich eine Bezugsperson um sie kümmert. Sie zeigen Suchbewegungen mit dem Mund und Kopf, wenn sie Hunger haben. Durch Unruhe wird ihr Ausscheidungsbedürfnis sichtbar. Oder sie drehen den Kopf weg, um anzuzeigen, dass sie sich nun nach einem Spiel ausruhen müssen.

Am Anfang braucht das Baby viel Hilfe

Die Feinsignale und auch die Zeit, in der Kinder von „0 auf 100 gehen”, unterscheiden sich von Kind zu Kind etwas. Und Eltern lernen erst nach und nach „die Sprache” ihres Kindes kennen. Manchmal werden dabei Signale übersehen – das ist ganz normal. Vielleicht gelingt es dem Kind durch dieses Übersehen sogar, den Verhaltenszustand selbst zu regulieren und sich zu beruhigen. Auch das gehört zum Babyalltag dazu.

Werden die Feinsignale übersehen und das Baby kann sich nicht selbst beruhigen, weint und schreit es, um so die Hilfe einer Bezugsperson zu erlangen. Dabei braucht das Baby nicht nur Hilfe, um Hunger, Durst, Kälte oder Wärme durch das Elternteil reguliert zu bekommen. Es braucht auch Hilfe bei Emotionen und Verhaltenszuständen wie beispielsweise beim Übergang vom Wachsein zum Schlafen. 

Dadurch, dass die Bezugsperson auf die Signale des Babys reagiert, erfährt das Baby Selbstwirksamkeit: Ich tue etwas und mir wird geholfen, ich kann eine Situation selbst beeinflussen! Das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist für Menschen jeden Alters wichtig und unterstützt darin, neue Aufgaben mit einer positiven Grundstimmung anzugehen und sich als aktiv die Welt beeinflussend zu erleben.

Reagieren stärkt Selbstwirksamkeit und Vertrauen

Neben Selbstwirksamkeit entwickelt das Baby auch Vertrauen in die Verlässlichkeit des Elternteils: Wenn ich ein Problem habe, hilft mir dieser Mensch zuverlässig. Dieses Vertrauen ist wichtig für die Ausbildung der Bindung vom Kind zum Elternteil: Verlässliche, sichere, angemessen rechtzeitige und passende Reaktionen geben dem Kind ein geborgenes Gefühl. Auf der anderen Seite werden durch die positiven Reaktionen des Babys auch Selbstwirksamkeit und Vertrauen beim Elternteil unterstützt: Puh, ich verstehe mein Baby immer besser und kann es beruhigen

Mit den wachsenden Kompetenzen des Babys verändern sich auch die Signale und die Notwendigkeit der Unterstützung: Durch die Fortbewegungsfähigkeit versucht das Baby, den Eltern hinterherzurollen, zu robben, zu krabbeln, um Nähe herzustellen. Es beginnt damit, Nahrung gezielt zu greifen, zum Mund zu führen und zu zermahlen und mit der Zunge befördern zu können. Die Fähigkeit, für sich selbst in bestimmten Teilen sorgen zu können, nimmt zu.

Durch das gewonnene Vertrauen, dass Hilfe eigentlich sicher kommt, erweitert sich auch der Toleranzspielraum des Kindes. Es muss nicht mehr so schnell reagiert werden wie in den ersten Monaten. Durch den Aufbau von Vertrauens in den ersten Monaten entwickelt sich mehr und mehr Selbständigkeit. Und damit genau das Gegenteil von dem, was vielen Eltern immer mahnend gesagt wird.

Angst vor dem Weinen?

Wichtig ist dabei, dass Eltern die wachsenden Fähigkeiten des Babys im Blick haben und sich selbst mitentwickeln. Manchmal ist das schwer: Gerade Eltern viel weinender Babys können durch die Anstrengungen der ersten Zeit eine Angst aufbauen vor dem Weinen des Kindes. Sie sind dann darum bemüht, dieses möglichst schon vor dem Entstehen ausbremsen. So sind sie in ständiger Alarmbereitschaft und Anspannung und springen tatsächlich beständig auf.

Hier kann der Besuch einer Beratung zur „Emotionalen ersten Hilfe” hilfreich sein, die bis zum Alter von drei Jahren Ansprechpartner ist für Eltern von viel weinenden Babys. Aber auch neben dieser Belastungssituation fällt es manchen Eltern schwer, oft aufgrund eigener negativer Erlebnisse, das Weinen des Kindes auszuhalten. Sie möchten es gerne vermeiden. Auch hier kann eine pädagogische oder psychologische Beratung helfen, denn für Kinder ist es nicht hilfreich, wenn die Eltern Konfliktsituationen oder bestimmte Emotionen beständig vermeiden.

Grenzen werden wichtig

Mit den wachsenden Kompetenzen des Babys werden aber auch Grenzen ein immer wichtigeres Thema: Grenzen bei Menschen, beispielsweise wenn beim Stillen nicht in die andere Brustwarze gekniffen werden soll. Oder Sicherheitsgrenzen, wenn das Krabbelkind nicht die Steckdose erkunden darf.

Grenzen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Für einen Elternteil ist es in Ordnung, wenn das Kind zum Einschlafen an den Barthaaren zwirbelt, für den anderen nicht. Während es zu Hause in Ordnung ist, dass das Baby mit den Fingern isst, will Oma aber, dass es den Löffel nutzt. Jede Person darf die eigenen Grenzen definieren und dafür eintreten. Ebenso muss jede Familie Grenzen festlegen für den Umgang miteinander.

Hier beginnt das, was oft als Erziehung bezeichnet wird: Das Aufzeigen sowie Ein- und Aushalten von Grenzen. Manchmal ist das gar nicht so einfach, die Emotionen des Kindes in Bezug auf die Grenzsetzung auszuhalten. Aber es ist wichtig, auch hier wieder mit klarer Sicherheit voranzugehen. Auch das vermittelt dem Kind Sicherheit.

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