Emotionale Erstausstattung für alle Eltern

Gerade wenn Eltern ihr erstes Kind erwarten, ist das Thema Erstausstattung allgegenwärtig. In sämtlichen Broschüren oder Online-Angeboten für werdende Eltern finden sich Listen und Tipps dazu, was ein Baby so alles braucht. Diese Listen sind durchaus hilfreich zur Orientierung, aber oft ist weniger mehr.

So kann vielleicht das Gespräch mit bereits erfahrenen Elternfreunden oder mit der begleitenden Hebamme davor bewahren, zu viel anzuschaffen. Aber generell ist es natürlich gut und auch schön, sich mit einer entsprechenden Erstausstattung auf die Ankunft des kleinen neuen Menschen vorzubereiten.

Ebenso wichtig ist es aber auch zu schauen, was wir als Eltern brauchen, um möglichst gut vorbereitet in diese besondere und herausfordernde Zeit nach der Geburt zu gehen. Eine Zeit, in der die meisten Eltern die komplette Palette menschlicher Gefühle erleben und überrascht von ihrer Heftigkeit sein werden. Weil wir uns aber doch so oft mehr über den perfekten Schlafsack als darüber austauschen, steht man mit diesen Emotionen oft viel unvorbereiteter da.

Deshalb gibt es an dieser Stelle eine Liste für die „Emotionale Erstausstattung“, die Eltern bei der mentalen Vorbereitung hoffentlich etwas unterstützen kann:

1. Alle Gefühle dürfen gefühlt werden

Von der guten Hoffnung direkt ins Babyglück – mit diesen oft primär positiven Attributen zum Elternwerden steigt der Erwartungsdruck an die eigenen Gefühle nach der Geburt.  Besonders auf Müttern lastet dieser Druck. Wenn sich die Glücksgefühle dann nicht oder nur teilweise nach der Geburt einstellen, kommen oft noch Scham- und Schuldgefühle hinzu.

Darum ist es so wichtig, vorher zu wissen, dass alle Gefühle nach der Geburt gefühlt werden dürfen. Elternwerden ist ein Prozess zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Wir Hebammen sagen den Eltern oft: „Im Wochenbett fließen Milch, Schweiß, Wochenfluss und Tränen“. Denn das ist die Realität und nicht die seelig ihr Baby anlächelnde gestylte Frau in der weißen Bluse in der Windelwerbung. Seelig lächeln gehört auch zum Wochenbett, aber vielleicht eher ungeduscht und ohne Make-up. 

Da postpartale Depressionen bei Müttern, aber auch bei Vätern ein relevantes Thema im ersten Babyjahr sind, ist auch eine Auseinandersetzung mit diesem Thema schon vor der Geburt wichtig – besonders bei Eltern mit Vorbelastungen. Rechtzeitig erkannt, kann umso schneller adäquate Hilfe eingeleitet werden.

2. Zum weglassen: die Not-To-do-Liste 

In der Elternzeit ist bestimmt Zeit, um sich um die noch ausstehende Steuererklärung zu kümmern, das Foto-Archiv zu sortieren oder ausstehende Umbauarbeiten anzugehen. Schließlich sind ja ein oder sogar beide Elternteile zu Hause. Und so ein Baby schläft doch am Anfang noch relativ viel.

Vorstellungen wie diese und ein generell gesellschaftlich unzureichender Blick auf Sorgearbeit lässt Eltern immer wieder mit falschen Vorstellungen in die Elternzeit gehen. In der Regel ist nicht unbedingt mehr Zeit vorhanden. Und es wird unterschätzt, dass ein so kleiner Mensch gut ein oder zwei erwachsene Menschen auf Trab halten kann. Babys brauchen so viel mehr als ab und zu eine frische Windel. Allein das Stillen ist ein Vollzeitjob – ohne Wochenende, Feiertage und Urlaub. Auch feinfühliges Füttern, achtsames Pflegen und vor allem Beruhigen, in den Schlaf begleiten, Tragen, Trösten und sonstige Bedürfnisse herauszufinden braucht ziemlich viel Zeit. 

Zeit braucht auch ein Körper, um sich von Schwangerschaft und Geburt zu erholen. Rückbildung, Neufindung und Laktation benötigen Raum und Zeit. Eltern müssen essen, den Haushalt versorgen, Schlaf nachholen und vieles mehr. Dafür genug Zeit einzuplanen, erfordert sich mit den jetzigen To Dos auseinanderzusetzen und da noch die Babybedürfnisse – rund um die Uhr – oben drauf zu setzen.

Statt noch mehr To-dos in diese so intensive Babyzeit hineinzunehmen, sollten Eltern überlegen, was sie vielleicht von der Liste streichen oder abgeben können. Sind Familie oder Freunde für Unterstützung greifbar? Diese Hilfe muss meist konkret benannt und angefragt werden, sonst bleibt es oft nur ein Wunsch. Gibt es Einkauflieferdienste in der Stadt? Können wir uns eine Reinigungskraft leisten oder schenken lassen? Kommt die Unterstützung durch eine Haushaltshilfe oder eine Mütterpflegerin in Frage?

Diese Fragen können helfen, sich vorab um die individuelle passende Unterstützung zu kümmern. Weglassen ist auch beim Thema Besuch wichtig. Im Beitrag „Besuch im Wochenbett“ steht alles Wichtige dazu.

3. Niemand muss da alleine durch

Natürlich gehen wir mit den besten Erwartungen in die Schwangerschaft und auch in die Geburt. Aber die Realität sieht manchmal eben doch ganz anders aus und das betrifft auch die postpartale Phase. So wie es in der Schwangerschaft und beim Gebären zu besonderen Situationen und Problemen kommen kann, ist das auch danach der Fall. Eltern sollten nicht vom Schlimmsten ausgehen und alle möglichen Schwierigkeiten erwarten, aber es ist gut zu wissen, wo dann schnell Hilfe verfügbar ist.

Die Betreuung der Hebamme im Wochenbett hat auch eine Art Lotsenfunktion. Hebammen sind primär für den physiologischen Verlauf zuständig, können auch bei kleineren Schwierigkeiten gut weiterhelfen, aber auch weiterführende Hilfe bei Abweichungen ins Pathologische installieren. So kann die Hebamme zum Beispiel auf die Zeichen für eine beginnende Wochenbettdepression achten und dies mit den den Eltern thematisieren. Aber für die Behandlung sind Psycholog:innen und Psychater:innen zuständig.

Nicht jede Familie hat oder möchte eine Hebamme im Wochenbett. Auch dann sollten Eltern wissen, an wen sie sich wenden können, zum Beispiel bei Stillschwierigkeiten, die mit zu den häufigsten Problemen im Wochenbett gehören. Also besser vorab schauen, welche ärztlichen, therapeutischen und beratenden Unterstützungsangebote es für Eltern in der Nähe gibt. Wenn diese dann nicht gebraucht werden, umso besser. Aber in belasteten Situationen schnelle Hilfe zu bekommen, ist relevant.

Geteilte Elternschaft beinhaltet nicht nur das Teilen von Aufgaben, sondern auch das von Emotionen und Sorgen. Der Austausch mit dem anderen Elternteil und mit anderen Eltern generell ist ein wichtiger Baustein für die seelische Gesundheit. Dabei sollte es aber nicht um Vergleiche gehen, wessen Kind höher, schneller oder weiter krabbelt oder schläft, sondern um Verständnis und Anteilnahme. Oft ist es einfach schon wohltuend zu hören, dass es anderen Eltern genauso geht. Und dass auch sie in manchen Situationen an ihre Grenzen kommen.

Kursangebote für Babys sind darum oft viel wichtiger für den Austausch der Eltern untereinander als für die pädagogische Frühförderung. Auch hier kann schon vor der Geburt geschaut werden, welche Kurs- und Gruppenangebote für Eltern in der Nähe verfügbar sind.

4. Elternwerden ist ein Prozess

Genau wie das Baby geboren wird, werden auch die Eltern erst geboren. Das Elternsein lässt sich nicht vorab studieren oder erlernen.  Oft haben aber besonders Mütter ans sich den Anspruch, alles wissen und können zu müssen. Doch egal wie gut man sich mit Kursen, Literatur oder Gesprächen auf die Elternschaft vorbereitet hat, Eltern werden in Situationen kommen, in denen sie sich alles andere als kompetent fühlen. Und das ist okay. Genau wie Chaos – innen und außen.

Im Wochenbett muss sich die Familie in ihren neuen Rollen erst mal finden. Aufgaben und die Zeit dafür müssen neu verteilt werden. Das, was vorher vielleicht geplant wurde, passt nach der Geburt gar nicht mehr. Oder die Voraussetzungen dafür sind plötzlich ganz anders. Bei jedem Kind wissen Eltern erneut vorab nicht, wer und wie dieser kleine Mensch so ist, wenn er oder sie da mit allen Bedürfnissen zu ihnen kommt. Sich darauf einzustellen ist ein stetiger Prozess. Als Eltern wachsen wir mit unseren Aufgaben und mit unseren Kindern. Sich dafür gedanklich – und das auch gerne bereits in der Schwangerschaft – den Raum zu geben, kann in herausfordernden Phasen sehr erleichternd sein.

5. Ich bin auch noch da

Vor lauter Bedürfnisorientierung mit Blick aufs Baby vergessen Eltern schnell die eigenen Bedürfnisse. Müdigkeit und Erschöpfung gehört doch schließlich zum Elternsein dazu und wird an vielen Stellen nicht selten sehr humorig dargestellt. Dass richtiger Schlafmangel überhaupt nicht lustig ist, merken wir als Eltern oft erst, wenn wir mitten drin stecken. Sich vor der Geburt damit zu beschäftigen und schon jetzt mögliche Strategien für Überforderungssituationen zu entwickeln, ist sehr hilfreich.

In der Hebammenarbeit spreche ist das Thema Überlastung bereits an, wenn Eltern noch sehr in ihrer von Glückshormonen gefluteten Babyblase sind. Nicht um ihnen Angst zu machen, sondern um präventiv zu überlegen, welche Strategien dann hilfreich sein können. Die wenigsten Eltern wohnen in einem Großfamilienverband, der die Option gibt, ganz kurzfristig für Entlastung zu sorgen, daher braucht es andere dann akut verfügbare Wege.

Eltern sollten sich in der Schwangerschaft auch noch einmal bewusst darüber Gedanken machen, was ihnen persönlich gut tut. In welchen Settings oder bei welchen Tätigkeiten können sie auftanken? Und ja, einiges davon wird nach der Geburt erst mal nicht möglich sein. Aber es gibt auch die vielen kleinen Momente, die uns gut tun und stabilisieren. Diese Dinge sind die Basis für die seelische Balance und sollten auch nach der Geburt des Babys ihren Raum haben. Denn geht es den Eltern gut, geht es in der Regel auch dem Baby gut.

Autor.in dieses Beitrags

Beitrag veröffentlicht am

in

, , , ,

Von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert