Manchmal sind Mütter müde – sehr müde sogar. Und noch während sie das äußern, begibt sich das Umfeld schon auf Ursachensuche. Wenn eine Mutter zu diesem Zeitpunkt noch stillt und das auch noch in der Nacht, ist die vermeintliche Hauptursache für die Müdigkeit schnell gefunden. Auch wenn Mütter zu schnell abnehmen, ist meist die anstrengende Muttermilchproduktion schuld. Und nicht etwa die Tatsache, dass man manchmal im chaotischen Babyalltag ohne Unterstützung oftmals nicht richtig zum Essen kommt. Häufige Infekte im Winter bringen manche Leute auch gerne mit der Stillerei in Zusammenhang.
Auch bei einer etwas schleppend laufenden Kitaeingewöhnung, wird gerne mit der zu großen Abhängigkeit durch die Stillbeziehung argumentiert. Genauso wird das bisweilen fehlende Interesse an Beikost oder überhaupt der Ernährungszustand des Kindes – wahlweise zu dick oder zu dünn – auf die Muttermilchernährung zurückgeführt. Und wenn die Beziehung der Eltern kriselt, kann das ja nur mit dem Stillen zusammenhängen…
Es ist bisweilen recht kurios, was Mütter in der Stillgruppe oder im Hebammenalltag da so berichten. Aber ich kann nach all den Jahren als Hebamme, Stillberaterin und Mutter glaubhaft versichern, dass all diese Zustände im Babyalltag relativ unabhängig von der Form der Milchernährung sind. Auch Mütter, die mit Fläschchennahrung füttern, sind müde, haben eher kleine oder eher große Babys, die mehr oder weniger anhänglich sind und sich auch mal mehr oder weniger für Beikost interessieren. Und die Streitereien mit dem Partner oder der Partnerin sind eben auch ganz ernährungsformunabhängig.
Verständnis statt Abstilltipps
Warum wird also immer noch vieles so vehement auf das Stillen geschoben? Nicht nur von der Oma, die vielleicht nur kurz oder gar nicht gestillt hat. Selbst Fachleute kommen gerne mit der Abstillempfehlung als Problemlösung für alles um die Ecke. Die Idee dahinter ist bisweilen sogar sicher eine gute Absicht – nämlich der zu müden oder zu dünnen Mutter zu helfen. Aber ist die Abstillempfehlung wirklich eine Hilfe?
Mütter, die länger als die in Deutschland üblichen 6,9 Monate stillen, entscheiden sich in der Regel aus freien Stücken dafür. Das heißt, Mutter und Kind stillen gerne. Natürlich ist man auch mal vom Stillen genervt, genauso wie vom Kind anziehen, vom Spielplatzbesuch oder der täglichen Beikostschlacht. Weil man manchmal genervt ist von allem, was mit dem Kind zusammenhängt. Wenn man phasenweise gefühlt gar keine Atempause mehr hat und einem alles zu viel wird.
Doch dann möchten die meisten länger stillenden Mütter nicht den obligatorischen Abstilltipp bekommen, wenn sie mal über ihre Müdigkeit oder die phasenweise sehr anstrengende hohe Anhänglichkeit des Kindes berichten. Nein, Mütter möchten Verständnis oder Anerkennung, dass sie einen guten Job machen (ob stillend oder nicht) und manchmal auch einfach konkrete Hilfe. Ein gekochtes Essen, Entlastung im Haushalt oder eine Auszeit, weil mal jemand anders mit dem Kind eine Runde spazieren geht. Und wenn stillbedingte Schwierigkeiten da sind, sollte jede Stillende auch eine zeitnahe fachliche und vor allem die Situation individuell betrachtende Unterstützung bekommen. Es gibt auch sicherlich Stillprobleme, die dann in der Entscheidung zum Abstillen münden. Aber das dann eben gut informiert und nicht, bevor andere mögliche Optionen in Erwägung gezogen werden konnten.
Stillen und abstillen lassen…
Wenn Mütter abstillen möchten, haben sie sich das meist überlegt und können diesen Wunsch auch konkret äußern. Da müssen keine Gründe gesucht werden, sondern der entsprechende innere Entschluss ist Grund genug, eine besondere Zeit langsam ausklingen zu lassen. Genauso wissen aber auch „Langzeitstillende“ (die in unseren Breitengraden ja irgendwie bereits alle Mütter sind, die länger als die durchschnittlichen sieben Monate stillen), dass sie gerne noch stillen möchten. Weil es normal ist. Weil es der mütterlichen und kindlichen Gesundheit gut tut. Oder einfach weil es Mutter und Kind wichtig ist.
Das muss also nicht bei jeder anstrengenden Phase im Babyalltag neu verhandelt werden. Abstillen ist keine „Therapie“ gegen Erschöpfung. Genauso darf ein mütterlicher Abstillwunsch einfach da sein – ganz unabhängig vom Erschöpfungsgrad. Also leben und leben lassen bzw. stillen und abstillen lassen, wann immer es Mutter und Kind auch gefällt.
Aktualisiert im März 2021
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